Alben der Woche:Groß bist du erst, wenn du's im "bible belt" schaffst

Und da sieht es für Rufus Wainwright mit seiner poetisch-morbiden Kitsch-Vorliebe schlecht aus. "The Streets" hätte bessere Chancen - aber auch der wechselt langsam auf die Seite der Lieben.

Margo Price - "That's How Rumors Get Started" (Loma Vista Records)

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(Foto: N/A)

Nach ihren beiden Alben für Third Man Records, das Label von Jack White, galt Margo Price als so etwas wie der alternative Star der Countryszene von Nashville, Tennessee. Mit diesem Ruf bricht sie auf ihrem dritten Album "That's How Rumors Get Started" (Loma Vista Records). Neues Label, neuer Produzent (Sturgill Simpson), stilistisch abwechslungsreicherer. Gleich im Eröffnungstrack sind kalifornische Westcoast-Pop-Vibes à la Fleetwood Mac zu hören, in "What Happened To Our Love" packt Price ihre beste Achtziger-Power-Balladen-Stimme aus, "Twinkle Twinkle" ist Blues-Rock Marke Black Keys. "That's How Rumors Get Started" ist damit eine zutiefst amerikanische Rock-Platte, voller Tramp-Romantik. Im Herzstück "Prisoner Of The Highway" schwoft eine Orgel satt und saftig herum, während Price davon singt, dass sie ihren Koffer niemals abstellen kann und sich der Wind nach Freiheit anfühlt. Natürlich sind das Klischees vom ewig ungebundenen Streuner und Herzensbrecher. Dass es aber eine Frau ist, die hier ihr Sweetheart im Staub zurücklässt, ist dann doch eine neu.

Galcher Lustwerk - "Proof" (Ghostly International)

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(Foto: N/A)

Mitte Juni machte der Produzent und DJ Galcher Lustwerk seinem Frust Luft. In einer Reihe von Tweets ließ er sich über den Rassismus aus, den er als Schwarzer Künstler in der elektronischen Musikszene viele Jahre erlebt hatte. Weiße Promoter, die das N-Wort benutzen. Türsteher, die ihm nicht glauben, dass er der DJ ist. Hotelangestellte, die ihn auf Tour schief anschauen. Verletzungen und Traumata, sie brechen dieser Tage vielerorts auf. Auch unter der glitzernden Oberfläche von "Proof" (Ghostly International), Lustwerks neuer EP, brodelt es. Es gibt keine Hooks, an die man sich in diesen Tracks klammern kann, nur das stoische Wummern der Beats und ein Sog, der einen immer tiefer in die Nacht zieht.

The Streets - "None Of Us Are Getting Out Of This Life Alive" (Island/Universal)

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(Foto: N/A)

Und es melden sich The Streets zurück. "None Of Us Are Getting Out Of This Life Alive" (Island/Universal) heißt das neue Mixtape des Ein-Mann-Projekts um den britischen Rapper Mike Skinner, der - so eine der bemerkenswerteren Textzeilen der Platte - lieber eine Niere hergeben würde als sein Handyladekabel. Muss ja auch ganz schön viel Akkuleistung gekostet haben, die vielen Kollaborateurinnen und Kollaborateure auf diesem selbsternannten "Rap-Duett-Album" zusammenzutrommeln. Das erste Duett mit Tame Impala gibt das Tempo vor, gemütlich groovt die Platte voran, Skinner wühlt sich stilsicher durch die Kiste mit aktuellen Trends, bisschen Psychedelic-Nebel hier, bisschen Schlafzimmer-Soul da. Interessanterweise sah sich der Rapper jüngst in mehreren Interviews mit der Frage konfrontiert, ob er "gecancelt" werden würde, wenn er heute noch so sexistische Songs wie "Fit But You Know It" schreiben würde. Dass seine musikalische Antwort darin besteht, zurückzutreten und die Bühne mit jungen Talenten zu teilen, ist für einen (mittel)alten weißen Mann dann aber doch erstaunlich.

Rufus Wainwright - "Unfollow the Rules" (BMG)

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(Foto: dpa)

Rufus Wainwright zwischen Größenwahn und Selbsternüchterung: "You Ain't Big" ist einer der zwölf herrlichen Songs auf seinem neuen Album "Unfollow The Rules" (BMG). In ihm findet sich der kanadische Songwriter und Operetten-Lover halbironisch damit ab, dass er niemals zu den ganz großen Popstars gehören wird. Denn ein ganz großer Popstar ist man ja nur, wenn man auch in Texas, Kansas, West Virginia und "God forbid, Southern Pennsylvania" die Hallen füllt, also: Wenn man das stockkonservative Publikum im sogenannten bible belt für sich begeistert. Kann einem das als schwuler Sänger mit Kitsch- und Camp-Vorliebe gelingen? Eher nicht. Wainwright zuckt also stolz mit den Schultern und singt diesen herrlichen Glam-Blues-Country-Hybriden mit Schubidu-Schunkel-Feeling. Auch "Peaceful Afternoon" ist dem 46-Jährigen wunderbar gelungen: ein Lied über das Altwerden mit Ehemann und den üblichen Krisen zwischendurch. "But between sex and death and tryin' to keep the kitchen clean / Remember wild roses bloom best in ruins forever after", singt er - hochpoetisch und morbide. Letztlich geht es darum, dass er am liebsten friedlich an einem Nachmittag sterben will und dass das letzte Gesicht, das er sehen möchte, das seines Ehemannes Jörn ist. Man könnte das ein bisschen egoistisch finden. Weswegen Rufus mit seinen supersanften, superlangen Vibrati nachschiebt, dass er natürlich auch das letzte Gesicht sein wird, das sein Mann sieht, sollte er vor ihm sterben. Hach, seufz!

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(Foto: Tony Hauser/BMG)

Das letzte Gesicht, das der Mann von Rufus Wainwright sieht, sollte er vor Rufus Wainwright sterben. Mehr Pop gibt es hier.

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