"Rocketman" im Kino:Therapie für den Teufel

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Der britische Schauspieler Taron Egerton wurde vom Meister persönlich für den Film ausgewählt. (Foto: David Appleby/Paramount)
  • In "Rocketman" erzählt Elton John sich und der Welt, warum er der wurde, der er war.
  • Die großen Hits kommen ebenso vorwie eine etwas merkwürdige Form des Rockstar-Exorzismus.
  • Am schönsten ist jedoch die Szene, die den Künstler und das Publikum schweben lässt. Handlung ist da nebensächlich.

Von David Pfeifer

Mit "Rocketman" kommt Elton Johns Lebensgeschichte als Musical in die Kinos. Im Gegensatz zum Queen-Biopic "Bohemian Rhapsody" geht es aber nicht darum, wie seine Hits entstanden, sondern wie Elton John der wurde, der er war - und der er nicht mehr sein will.

Von den Rockstars der Siebziger- und Achtzigerjahre, dem Zeitalter des geilen Glamours und der Exzesse, sind die einen früh gestorben. Die anderen machen sich daran, ihren Nachlass zu verwalten, als relativ alte Männer, und es sind fast nur Männer. Keith Richards und Rod Stewart haben ausgesprochen unterhaltsame Autobiografien veröffentlicht, die verbliebenen Musiker von Queen haben einen furiosen Band-Film drehen lassen. Auch Elton John hat eine Autobiografie verfasst, "Me", die am 15. Oktober zunächst auf Englisch erscheint. Aber zuerst kommt "Rocketman" in die Kinos. Elton John hat den Film koproduziert und den Hauptdarsteller selber ausgewählt. Er will seinen Fans also womöglich ein Dokument hinterlassen, in dem sie ihn immer wieder erleben können, den Kanon seiner Hits feiern, da seine aktuelle Tour nicht nur "Farewell" heißt, sondern wirklich die letzte sein soll.

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Der Film startet mit einem Abgang. Zwei Türen fliegen auf, und der Teufel stampft über den Flur. Er ist freilich in Gestalt des verkleideten Elton John auf der Erde erschienen, der Glamour-Teufel hat die Bühne verlassen und setzt sich nun, mit Flammenmustern auf der Brust, feuerroten Flügeln auf dem Rücken und Hörnern auf der Kappe in eine Therapiegruppe und fragt: Wie lange wird das wohl dauern? Er bekennt sich dann, unter anderem, als alkohol-, drogen-, sex- und auch shoppingsüchtig.

Ärzte tragen den ohnmächtigen Star in einer wilden Choreografie zum Magen auspumpen

Der Film geht also gleich mit der Katharsis los, die normalweise ins letzte Drittel einer Erzählung überleitet, so gesehen ein willkommener Bruch. Es bleibt dann aber sehr linear. Den Kreis der Süchtigen betritt nun Reginald Dwight, so wurde Elton John getauft. Und der kleine Reginald erzählt eine Geschichte von Hochbegabung und Liebesmangel. Der Vater umarmt ihn nicht, obwohl der Kleine es sich wünscht, er lässt ihn auch nicht die Count-Basie-Platte hören, überhaupt darf Reginald nicht an die Schallplatten, obwohl er gut Klavier spielen kann. Auch die Mutter ist nicht besonders freundlich, die Großmutter scheint als einzige in der Familie Liebe geben zu können. Sie bezahlt den Klavierunterricht.

All das wird in einer fließenden, schön choreografierten Szene erzählt, in der Reginald, Vater, Mutter und auch Oma "I Want Love" singen, einen späteren Hit von Elton John. Ab da ist klar: Bei dem Film handelt es sich um ein Musical, das auf der Leinwand aufgeführt wird. Wie bei "Mamma Mia" werden die Lieder in eine Rahmenhandlung gebettet, nur dass diese Handlung eben Elton Johns Leben erzählt.

Immer wieder springen Menschen in Spielszenen auf und singen, bis hin zur Notaufnahme, in die Elton John schließlich gebracht wird. Die Ärzte und Pfleger tragen den bewusstlosen Star in einer exaltierten Choreografie auf Händen zum Magenauspumpen, dazu singen sie einen seiner Superhits. Überhaupt werden wirklich viele dieser Hits gesungen, übrigens nicht von Elton John selber, sondern von den Darstellern. Manche werden auch nur angerissen, "Your Song" untermalt eine Szene, in der John (fantastisch gespielt und gesungen von Taron Egerton) und sein Schreiber Bernie Taupin ihre gemeinsame Genialität entdecken. Da läuft dem geneigten Zuseher schon ein Schauer über den Nacken, wenn der junge Elton John zu Taupins Text nach der richtige Melodie sucht, erst nach oben klimpert, dann nach unten. Und schließlich die Tonfolge findet, die wohl jedem, der in den vergangenen 50 Jahren gelegentlich mal Musik gehört hat, so tief ins Unterbewusstsein gesickert ist, dass man auch ohne je eine Elton-John-Platte besessen zu haben, mitsingen könnte, "It's a little bit funny/This feeling inside...".

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Gerade weil diese Lieder so im kollektiven Gedächtnis verankert sind, entfaltet ihre Paraphrasierung enorme Sogwirkung. Und es ist nicht so, dass Elton John seine Biografie beschönigt. Ganz im Gegenteil. Die Szenen wechseln vom Glamour zu elenden Momenten, wenn der einsame Künstler sich vor einem Auftritt zukokst oder, bereits unglücklich mit einer Frau verheiratet, ein großes Glas Wodka zum Frühstück trinkt und sich sogleich mit Tränen der Scham in den Augen entschuldigt.

Aber spätestens im letzten Drittel, wenn der Stuhlkreis, den die Zuseher schon eingangs kennengelernt haben, zu einer vertonten Familienaufstellung zusammentritt, in der Manager, Vater, Mutter und Songschreiber ihre Gedanken zu Johns Exzessen aus voller Kehle singen, merkt man, dass man nicht Zeuge einer musikalischen Biografie wird, sondern einer vertonten Therapiesitzung beiwohnt.

Elton John erklärt sich und der Welt, warum er der wurde, der er war. Warum er gesoffen und gekokst hat, warum er mit so vielen Männern geschlafen und doch eine Frau geheiratet hat. All das geschah anscheinend, weil der kleine Reginald nicht genug umarmt wurde und sich auch als Superstar einsam fühlte. Dass es sogar besonders schwer war, für einen mittelhübschen Mann mit Haarausfall, echte Liebe zu finden, weil alle immer nur sein Geld wollten.

Er singt seinen "Crocodile Rock", und das Publikum in Los Angeles hebt wortwörtlich ab

Es ist eine etwas seltsame Erzählperspektive, weil alles so angerichtet wird, dass es auf den Elton John zuläuft, als der sich der mittlerweile 72-Jährige heute darstellen möchte. Der geläuterte Vater, der seit Jahrzehnten keinen Alkohol mehr trinkt, der glücklich mit einem Mann verheiratet ist, der eingesehen hat, dass er normaler sein sollte, als er es einmal sein wollte. Der, kurz gesagt, ein wenig langweiliger geworden ist und nun versucht, seinem Leben rückwirkend eine Kohärenz zu geben, die es vermutlich nie gegeben hat.

Der Teufel muss ausgetrieben werden, also rupft sich der Film-Elton im Stuhlkreis die Teufelshörner vom Kopf, so wie man Schauspieler beim Abschminken zeigt, wenn es melancholisch werden soll. Es bleibt dann aber doch ein Klischee. Wer in der Biografie von Rod Stewart stöbert, findet eine Szene, in der Freddie Mercury, Stewart und Elton John im Dauerrausch verabredeten, eine Band zu gründen, die "Hair, Nose & Teeth" hätte heißen sollen, nach den drei Makeln der Stars: Stewarts Zinken, Mercurys Vorbiss und Johns Haarausfall, der in "Rocketman" fast eine Nebenhandlung bestreitet, so sehr hat der Verlust ihm offenbar zugesetzt.

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Rod Stewart erzählt solche Anekdoten heute noch mit kindlicher Freude. Für Elton John sind es offenbar Momente einer Unvernunft, er kann sie im Nachhinein nicht feiern. Was bleibt, ist die Inszenierung der Musik. Die hat schon "Bohemian Rhapsody" zu einem Blockbuster gemacht. Den Film hatte zu Teilen Dexter Fletcher inszeniert, der einsprang, als der ursprüngliche Regisseur das Projekt verließ. Fletcher hat auch "Rocketman" gedreht, wo er wieder zeigt, dass er ein gutes Gespür für Musik hat. Die schönste Szene ist Elton Johns erster Auftritt in den USA, im "Troubadour"-Club in Los Angeles. Er spielt "Crocodile Rock" und plötzlich heben er und das Publikum gemeinsam ab. Und das ist es ja, was diesen Mann bis heute ausmacht, dass er Lieder geschrieben hat, die Menschen einen Moment lang schweben lassen können und die Zeit und auch ihn überdauern werden. Da ist die Handlung oder die Moral der Geschichte dann vielleicht auch nicht mehr so wichtig.

Rocketman , GB 2019 - Regie: Dexter Fletcher. Buch: Lee Hall. Kamera: George Richmond. Mit: Taron Egerton, Jamie Bell. Paramount, 121 Minuten.

© SZ vom 28.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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