Was haben Robin Hood, der Blade Runner und Moses gemeinsam? Im Kopf des Regisseurs Ridley Scott sind sie alle reale Figuren. Denn, so erzählte es Scott vor ein paar Jahren beim Interview in den Abbey Road Studios in London, wo er gerade seinen Moses-Film "Exodus" fertigstellte: "Wenn ich von einer Figur nicht glaube, dass sie auch im echten Leben um die Ecke biegen könnte, dann bin ich auch nicht in der Lage, einen guten Film über sie zu machen."
Der gebürtige Engländer Scott spricht nach seiner langen Hollywoodkarriere eine interessante Mischung aus britischem und amerikanischem Englisch, am wohlsten fühlt er sich aber immer noch in seiner Heimat London, wo er im Stadtteil Soho sein Büro hat. Geboren wurde er 1937 zwar im nordenglischen Küstenstädtchen South Shields, aber seine wichtigen Lehrjahre - den ersten Kinofilm drehte er erst mit 40 - hatte er im Swinging London der Sechziger; wobei ihn die erotische und ideologische Überhitzung jener Ära nie sonderlich interessierte. Scott legte schon in jungen Jahren großen Wert auf Fleiß. Während viele Altersgenossen von Großkünstlerkarrieren träumten, aber nie über die Theorie hinauskamen, absolvierte Scott ein Grafik-Design-Studium. Danach verdingte er sich ein paar Jahre als Szenenbildner bei der BBC, die er aber als recht verstaubten Betrieb erlebte, wo die Mitarbeiter schlecht bezahlt wurden.
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Deshalb wurde er ein britischer "Mad Man": Um seine Einnahmen aufzubessern, stieg er in die Werbebranche ein, wo er zu einem der gefragtesten Clipregisseure wurde. Das erzählt er heute noch mit großem Stolz, denn damals trainierte er sich sein irres Arbeitstempo an: "Ich habe in den Sechziger- und Siebzigerjahren über 2000 Clips gedreht, teilweise drei, vier pro Woche. Und mit dem Filmemachen ist es wie mit dem Tennis. Wenn Sie die ganze Woche spielen, dann treffen Sie den verdammten Ball. Und wenn Sie die ganze Woche am Set stehen, dann wissen Sie, wo der Kameramann seine verdammte Kamera hinstellen soll!"
In die Werbebranche ist er auch später ab und an zurückgekehrt, zum Beispiel mit seinem George-Orwell-Clip "1984" für Apples Macintosh. Aber da das britische Kino so brav vor sich hin döste, während in den USA die Regisseure des New Hollywood tobten, bekam er Lust, es mal mit einem Spielfilm zu probieren. Das Ergebnis war 1977 das Fechtabenteuer "The Duellists". Ein Film, der im Deutschen korrekt "Die Duellanten" hätte heißen müssen, aber wohl aufgrund eines Übersetzungsfehlers unter dem merkwürdigen Titel "Die Duellisten" ins Kino kam. Die Geschichte basiert auf einer Erzählung von Joseph Conrad, der unter den damaligen Cinephilen beliebt war - zwei Jahre später machte Francis Coppola aus dessen "Herz der Finsternis" sein "Apocalypse Now".
"Die Duellisten" jedenfalls war eine tragikomische Schelmenstory über zwei Husarenoffiziere der napoleonischen Armee - Harvey Keitel und Keith Carradine - die in Streit geraten. Über 15 Jahre hinweg duellieren sie sich immer wieder, mit dem Degen, mit Pistolen, ohne dass einer die Gnade hätte, dem anderen mit seinem Tod zur Genugtuung zu verhelfen. Scotts Gespür für Actionszenen ist in diesem Debüt eindrucksvoll zu sehen. Auch ist der Film von einer feinen Ironie beseelt, mit der er bis heute gern von der Obsession der Menschen erzählt, sich gegenseitig ins Unglück zu stürzen. Womit das Werk genau den Humor besitzt, der Stanley Kubricks thematisch ähnlicher Perückenorgie "Barry Lyndon" kurz zuvor vollkommen abging.
Weil Scott das exzessive Genre-Hopping liebt, folgte danach ein ziemlicher Sprung. Nach dem Erfolg von "Star Wars" beschloss er, dass es Zeit für einen Science-Fiction-Film ohne Disney-Seligkeit sei. Ihm schwebte ein Albtraum im All vor, der das Publikum ins Schwitzen bringt. Das Aufwühlende an seinem "Alien", dem unheimlichen Wesen aus einer fremden Welt, war weniger das Monster selbst als die Stimmung der permanenten Bedrohung, die dieser Film transportiert - ein einziger Stresstest für den Zuschauer.
"Alien" kostete wenig, spielte aber unglaublich viel ein, beim Folgeprojekt "Blade Runner" (1982) war es leider genau umgekehrt. Die visionäre Kraft des Films, in dem Scott die Verführungslust des Noir-Kinos mit der emotionalen Kälte einer Dystopie mixte, erschloss sich den Zuschauern erst in den Jahren danach: Erst die VHS-Kassette und der Videothekenboom der Achtziger machten "Blade Runner" zum Kultfilm und zur Hollywood-Blaupause des Science Fiction-Genres. Richtig glücklich war Scott mit dem Film nie: "Die Effekte waren für die damaligen Verhältnisse schon gut, aber man hat eben immer noch gesehen, dass es Effekte sind. Mein Perfektionismus und mein Arbeitstempo haben eigentlich immer auf die Möglichkeiten des digitalen Filmemachens gewartet."
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Scott dreht heute, im fortgeschrittenen Alter, immer noch in beeindruckender Geschwindigkeit und zum Teil mit hohen Budgets: "Prometheus", "The Counselor", "Exodus", "Der Marsianer", "Alien: Covenant". Dieses Tempo führt zwar auch ab und an zu Ausrutschern, wie zum Beispiel seiner "Robin Hood"-Variation mit Russel Crowe, wo ein bisschen mehr Arbeit an den Dialogen nicht geschadet hätte ("Mylady, ich bräuchte Hilfe mit dem Kettenhemd"). Es verleiht seinen Filmen aber auch eine Energie und eine Dringlichkeit, wie sie in Hollywood selten geworden sind, weil die meisten Regisseure nur noch Konfektionsware ohne Leidenschaft herstellen.
In diesem Sinne ist es eine gute Nachricht, dass Scott seinen 80. Geburtstag an diesem Donnerstag bei der Arbeit verbringen wird: Er dreht Szenen für seinen Thriller "All the Money in the World" , um den gefallenen Kevin Spacey nachträglich durch Christopher Plummer zu ersetzen. Schon am 22. Dezember soll der überarbeitete Film in den US-Kinos starten. Aber Rente kommt für Scott, der auch schon seine nächsten zwei Filme in Vorbereitung hat, sowieso nicht infrage: "Diese Leute, die mit 60, 70 aufhören, was machen die den ganzen Tag? Ich passe auf, dass ich gesund bleibe, ich versuche, acht Stunden Schlaf pro Nacht zu bekommen - und solange das klappt, werde ich auch arbeiten."