Deutsches Theater Berlin:Falsches Theater

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Ein Alien gibt sich die Ehre: Kotbong Yang, Sophie Rois und Trystan Pütter in René Polleschs Theater-Spaß "Liebe, einfach außerirdisch". (Foto: Luna Zscharnt/Deutsches Theater)

Ein großer Triumph und ein noch größeres Ärgernis: René Polleschs "Liebe, einfach außerirdisch" am Deutschen Theater Berlin.

Von Peter Laudenbach

Die letzte Berliner Premiere der Spielzeit, René Polleschs Alien-Culture-Clash-Sex-Komödie "Liebe, einfach außerirdisch", ist gleichzeitig ein wunderbares Gute-Laune-Geschenk und eine Zumutung. Eine Freude ist die Inszenierung am Deutschen Theater, weil Pollesch so lässig wie in seinen besten Zeiten darauf vertraut, dass seine tollen Schauspieler, Musik von den "Ramones", ein paar B-Movie-Zitate, die alte Pollesch-Poesie und die noch älteren Boulevard-Tricks genügen, um für anderthalb Stunden eine Bühnenparty zu zünden.

Sie bläst das ganze Elend jenseits der Bühne einfach weg: Wusch! So wie Sophie Rois sich als Alien die Ehre gibt, auf diesem kleinen, trostlosen Planeten vorbeizuschauen und in die heitersten romantischen Verwicklungen zu stolpern, will man mit ihr sofort in das Sonnensystem ihrer Wahl emigrieren: Beam me up, Sophie! Wer nach dieser Aufführung nicht glücklich, beschwingt und bereit ist, sich sofort zu verlieben oder zumindest erfreuliche Unbekannte zu Kaffee und Torte einzuladen (in Polleschs Stück eine sehr direkte Umschreibung für Sex), hat kein Herz, kein Gehirn, keine Augen und keine Libido.

Die Frage, ob angesichts von Krieg, Pandemie, Klimawandel, Kapitalismus und den anderen Depressions-Plagen noch irgendjemand Theater braucht, ist mit diesem Abend aufs Schönste beantwortet: Und wie! Unbedingt! Wenn Sie jemanden kennen, der das irdische Elend aus guten Gründen satt hat (oder mit dem Sie gerne bei Gelegenheit Kaffee und Torte teilen wollen), schenken Sie ihm oder ihr sofort eine Karte für diese Theatervorstellung - die schönste legal erhältliche Glücksdroge des Planeten. Und auf jeden Fall die erfreulichste Berliner Inszenierung dieser seltsamen Spielzeit. Mindestens.

Hat Pollesch nichts Besseres zu tun, als seinem Theater Konkurrenz zu machen?

Ein echtes Ärgernis ist die Inszenierung allerdings, weil sie am Deutschen Theater stattfindet. Nichts gegen dieses brave Schauspielhaus, aber Polleschs Premieren-Tatort ist keine zehn Minuten von der Volksbühne entfernt, dem Theater, das er seit dieser Spielzeit angeblich leitet. Angesichts der durchaus unerfreulichen Bilanz seiner ersten Volksbühnen-Saison stellt sich die Frage: Hat der gute Mann nichts Besseres zu tun, als seinem Theater in der gleichen Stadt Konkurrenz zu machen? Interessiert ihn die Volksbühne überhaupt noch - oder ist das nur der Laden, der ihm jeden Monat ein Intendantengehalt überweist?

Im ersten Jahr seiner Intendanz hatte Pollesch offenbar genug Zeit, nebenbei nicht nur am Deutschen Theater Berlin, sondern auch am Deutschen Schauspielhaus Hamburg zu inszenieren. Kurz vor Beginn dieser Spielzeit, in der gut bezahlten Vorbereitungszeit seiner Intendanz, brachte er schon eine andere Inszenierung bei den Nachbarn vom Deutschen Theater raus. Das ist etwa, als würde ein neuer Spiegel-Chefredakteur drei Wochen vor der ersten Redaktionskonferenz eine wichtige Investigativ-Geschichte in der Zeit veröffentlichen, und im ersten Spiegel-Jahr nebenbei mit großen Geschichten in der Süddeutschen Zeitung und der FAZ fremdgehen, während die Auflage seines Arbeitgebers in den Keller rauscht. Oder als würde der Bundeskanzler kurz vor und auch noch nach der Amtsübergabe mit Jobs für die Deutsche Bank (oder für die Cum-Ex-Profis der Hamburger Warburg Bank) sein bescheidenes Gehalt aufbessern. In jedem anderen Bereich wäre der Leiter einer nicht ganz unwichtigen Einrichtung bei so offensiv demonstriertem Desinteresse an der ihm anvertrauten Aufgabe sofort weg vom Fenster. In Berlin, an einem mit 23 Millionen Euro im Jahr subventionierten Theater, geht das.

Erkundigt man sich bei der Berliner Kulturverwaltung, immerhin die Aufsichtsbehörde und Geldgeberin der Volksbühne, ob das nicht vielleicht ein Problem ist, wird der sonst immer freundliche Pressesprecher auffällig schmallippig und formell: "Gastregien stehen René Pollesch laut Intendanzvertrag zu. Über konkrete Inhalte seines Vertrages kann leider keine Auskunft gegeben werden. René Polleschs Verbundenheit zum DT reicht weit zurück." Deshalb, so der Sprecher von Kultursenator Lederer, wollte Pollesch alte Regie-Verabredungen einhalten. Das ist lächerlich. Regie-Verträge kann man beenden. Ulrich Khuon, der Intendant des Deutschen Theaters, scheint gegenüber seinen Mitarbeitern immer ausgesprochen fair und entgegenkommend. Ein Gespräch hätte wahrscheinlich genügt, um die Regie-Verabredung in aller Freundschaft zu vergessen - erst recht angesichts des Premieren-Overkills nach dem Lockdown. Würde Pollesch seine Intendanz ernst nehmen, hätte er am Tag der Vertragsunterzeichnung zumindest für diese und die folgende Spielzeit seine zahlreichen Gastverträge auflösen müssen. Würde die Berliner Kulturverwaltung ihre Arbeit machen, hätte sie zumindest nachgefragt, ob diese Auswärtsspiele sein müssen. Will man Pollesch nicht Geldgier und ein zynisches Verhältnis zur Volksbühne unterstellen, bleibt als Erklärung nur ein schaler Witz übrig: Vielleicht wollte der Volksbühnen-Intendant zur Abwechslung mal an einem professionell geführten Theater arbeiten.

Das Kollektiv-Gerede ist Quatsch. Es hat vor allem die Funktion, Verantwortung zu vernebeln

Seine Freude an Gastregie-Gagen ist kein guter Stil. Zum massiven Ärgernis wird sie angesichts des desaströsen Zustands der Volksbühne. In manchen Monaten hatte das Haus auf der großen Bühne mehr Schließtage als Vorstellungen. Die Auslastung: bescheiden. Die mit großem Brimborium angekündigte Show "Smak!" ("SuperMachoAntiKristo") des philippinischen Selbstdarstellers Khavn war nur eine der Peinlichkeiten der Spielzeit. Der grenzdebile Absturz in die Analphase spart nicht mit Nazi-Vokabeln, wenn Andersdenkende von der Bühne herab hysterisch als "Untermenschen" beschimpft werden. Nach wenigen Vorstellungen musste die aufwendige und teure Show abgesetzt werden.

Auch wenn auf der Bühne wenig los war, gab Pollesch vollmundige Interviews zum angeblich kollektiv geführten Theater. Das Kollektiv-Gerede ist Quatsch. Es hat, ähnlich wie bei der "Documenta", vor allem die Funktion, Verantwortung zu vernebeln. Rein formal liegt die künstlerische Leitung allein bei Pollesch. Allerdings ist es interessant, dass zum ominösen Leitungs-Kollektiv auch die Schauspieler Martin Wuttke und Kathrin Angerer und der Bühnenbildner Leo Neumann gehören. Verhandeln sie ihre Verträge mit sich selbst? Konnte Neumann als informeller Mit-Intendant den Werbe-Etat der Volksbühne der Grafik-Agentur LSD zuschieben, die er mit seiner Mutter betreibt? Woanders wäre das ein Skandal. In Berlin stört das niemanden. Auf Nachfrage erklärt der Pressesprecher der Kulturverwaltung diplomatisch: "Die Information zum Grafikbüro liegt uns vor. Wir werden das Gespräch suchen, um zu einer Klärung zu kommen." Na, dann.

Angesichts des dünnen Spielplans und des konfus wirkenden Programms attestiert die Fachzeitschrift "Theater heute" der torkelnden Volksbühne, dass "Polleschs internationales Programm jenseits seiner eigenen Inszenierungen genauso gut bei seinem verhassten Vor-Vorgänger Chris Dercon hätte stattfinden können." Angesichts von Dercons krachendem Scheitern an der Volksbühne ist das eine so ironische wie vernichtende Krisen-Diagnose. Kein Wunder, dass in der Berliner Gerüchteküche in letzter Zeit öfter der Name Matthias Lilienthal fällt - sei es als möglicher Chefdramaturg, sei es als Co-Intendant. Der Ex-Volksbühnen-Chefdramaturg, Ex-Dercon-Kumpel und Ex-Kammerspiel-Intendant hat derzeit nicht viel zu tun. Und im Gegensatz zur offenkundig heillos überforderten Dramaturgie des Hauses und dem ominösen Leitungs-Kollektiv ist er wenigstens ein Profi. Die Wetten, ob Pollesch in einem oder erst in zwei Jahren hinwirft, ob ein gnädiger Kultursenator ihm ein vorzeitiges Vertragsende vorschlägt oder ob sich die Misere am Rosa-Luxemburg-Platz noch länger hinzieht, laufen. So oder so wäre die Befreiung von der Intendantenrolle das Beste, was dem Regisseur Pollesch passieren könnte.

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