Nachruf auf Peter Brook:Leer ist der Raum

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Ein Mann und sein Spiegelbild: Peter Brook (1925 - 2022). (Foto: imago stock&people/El Mundo)

Peter Brook ist tot, der große Regisseur, der das Theater zu seinem Urgrund, dem Menschen auf der Bühne, zurückführte.

Von Egbert Tholl

Es gebe, schrieb Peter Brook in den Sechzigerjahren in seinem Essay "Der leere Raum", vier Formen von Theater: das konventionelle, das er für tödlich hielt, das heilige, das an Ritualen festhalte und deshalb wohl überlebensfähig sei, das volksnahe, derbe und das unmittelbare. Das mochte er am liebsten. Denn, und mit dieser Definition wurde er berühmt, bedeutend, hunderttausendmal zitiert: "Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist."

Dieser Raum ist nun wirklich leer. Da kommt auch keiner mehr. Peter Brook, geboren am 21. März 1925 in London als Sohn jüdischer Einwanderer aus Lettland, ist tot. Wie die französische Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Brooks privates Umfeld am Sonntag vermeldete, sei er im Alter von 97 Jahren am Samstag in Paris gestorben, wo er seit den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts lebte.

Es gibt unendlich viele Theateraufführungen, viele Filme, die ohne Brook und sein Besinnen aufs Wesentliche nie entstanden wären. Ein einziges, singuläres Beispiel, das einem gerade einfällt: Lars von Triers "Dogville" kann man als eine direkte Umsetzung von Brooks Essay im Film verstehen. Vielleicht ist es so, dass die Bedeutung des Theatermachers, Theaterdenkers und Theaterausführenden Brook so Legende wurde, dass sich viele auf ihn berufen, ohne je etwas von ihm gesehen zu haben. Doch "Der leere Raum" war sehr lange Zeit Pflichtlektüre für alle, die sich mit Theater intellektuell beschäftigen. Heute ist das vielleicht nicht mehr so, allein deshalb, weil hier ja ein Mann durch den Raum geht. Heute müsste mindestens ein halbes Dutzend sehr unterschiedlicher Menschen durch diesen gehen.

Monolithische Meisterwerke: vom Shoah-Drama zum Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

1943 inszenierte Brook seinen ersten "Faust" (nach Marlowe), da studierte er noch. Ein paar Jahre später fiel er bereits als Regisseur auf, arbeitete in Birmingham und Stratford-upon-Avon, wurde Produktionsleiter am Königlichen Opernhaus in Covent Garden in London und stellte hier "Boris Godunow", "La Bohème" und auch eine "Salome" in Bildern Salvador Dalís auf die Bühne. In den Fünfzigerjahren arbeitete er dann vor allem in Belgien, Großbritannien und Paris, 1951 war er mit dem Stratforder Ensemble auf Tournee durch die Bundesrepublik und stellte damals seine legendäre Inszenierung von Shakespeares "Maß für Maß" vor.

Weiß niemand mehr, muss niemand mehr wissen, weil er danach monolithische Meisterwerke der Theaterkunst ablieferte. Das erste: Die Inszenierung des Shoah-Dokudramas "Die Ermittlung" von Peter Weiss, auch dessen klug reflektierendes Revolutionsdrama "Marat/Sade", das war Mitte der Sechzigerjahre an der Royal Shakespeare Company in London, vom "Marat" folgte auch eine Verfilmung. Zuvor hatte er schon William Goldings Roman "Herr der Fliegen" verfilmt. Brook wählte seit Beginn seiner Theater- und eben auch Filmarbeit Texte aus, die sich ins gesellschaftliche Leben einmischen und Stellung beziehen wie etwa ein Jahr nach der "Ermittlung" die Vietnam-Collage "Us". Ein weiteres zeitgenössisches, gesellschaftskritisches Stück brachte er später noch einmal mit "Woza Albert!" gegen die Apartheid in Südafrika heraus (1989). Aber diese eher tagespolitischen Engagements blieben die Ausnahme in seinem Werk, das den Grundlagen, dem Gedächtnis von Theater und Gesellschaft nachspürte. Der Drang des Theaters unserer Tage, die Bühnen mit Alltag, Aktionismus und scheinbar realitätsnahen Ästhetiken vollzustopfen, dürfte ihm eher fremd geworden sein. Bereits 1970 verabschiedete er sich mit einer "Sommernachtstraum"-Inszenierung vom konventionellen Theaterbetrieb.

In diesem Jahr gründete er in Paris das Centre International de Recherche Théâtrale (CIRT), aus dem 1974 das Théâtre des Bouffes du Nord hervorging, das er bis 2010 leitete. Hier kam auch seine letzte Premiere heraus, am 21. April 2022, das "Tempest Project", inszeniert von ihm und Marie-Hélène Estienne. Von diesem leicht verfallenden Theater an der Gare du Nord in Paris aus tourte Brook immer wieder mit seinen fantastischen Produktionen durch die Welt. Etwa von 1993 an mit "L'homme qui", einer "Recherche théâtrale" im Kopf des Menschen, der aber natürlich nie Kopf bleibt, sondern mit einer Wesenhaftigkeit auf der Bühne lebt, wie wohl nur Brook ein Bühnenleben erfinden konnte. Die Arbeit beruhte auf Oliver Sacks' Buch "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte". Touren ging er auch mit Musiktheater, etwa einer auf 80 Minuten konzentrierten "Carmen"; die Welttourneen funktionierten, weil Brooks Arbeiten mit ihrem reduzierten, aber genau eingesetzten Gestenrepertoire, mit ihrer auch jenseits jeder Sprache durchscheinenden Menschenliebe überall verstehbar waren.

Peter Brook machte humanitäres Theater, jenseits aller Diskurse

Falls nötig, ging er nicht von Zentraleuropa in die Welt, sondern wählte den umgekehrten Weg: Beseelt vom Gedanken einer Weltkultur brachte Brook nach zehnjähriger Vorbereitung 1985 beim Theaterfestival von Avignon seine Dramatisierung des Sanskrit-Epos "Le Mahabharata", das in der Bearbeitung jener indischen Fassung der Urgeschichte der Menschheit vom englischen Sender Channel 4 im Dezember 1989 gezeigt wurde. Ein Filmepos, das zehn Stunden Theater auf drei Filmstunden verdichtet, mit einer Besetzung aus aller Welt - vielleicht der größte künstlerische Ausdruck von Brooks weltumspannender Theaterauffassung.

Brook war Commander des Order of the British Empire, Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, Mitglied der American Academy of Arts and Sciences, Offizier und Kommandeur der Ehrenlegion. Er war Träger des Europäischen Theaterpreises (1989), erhielt den mit einer Million US-Dollar dotierten Dan-David-Preis (2005) sowie den Internationalen Ibsen-Preis (2008). 2019 wurde Brook mit dem Prinzessin-von-Asturien-Preis für Kunst in der Sparte Künste ausgezeichnet.

Alles im Nachhinein nicht wichtig. Wichtig ist die Erinnerung an seine Inszenierungen, die alle, selbst nur die wichtigsten, hier zu behandeln unmöglich ist. Man erinnert sich an ein Gastspiel bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen vor drei Jahren, "The Prisoner". Eine Stunde dauert die Parabel, die keine ist, dauert das Gleichnis, das alles Gleichnishafte durch die Anwesenheit der Menschen überwindet. Hier spürte man: Peter Brook macht humanitäres Theater, das jenseits aller Diskurse des Stadt- und Staatstheaters steht. Das immer gültig ist.

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