Rassismus in Brasilien:140 Schattierungen von Braun

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Die Hautfarbe wird in Brasilien nicht wie in den USA nach der ethnischen Zugehörigkeit benannt, sondern nur nach der Erscheinung. (Foto: dpa)

Egal, ob kaffeefarben, sonnengebräunt, halb-weiß, halb-schwarz oder getoastet - die Hautfarbe spielt in Brasilien eine enorme Rolle. Doch die Debatte um den Rassismus im Land wird verschleiert durch Höflichkeit und Klischees von multikultureller Lebensfreude. Das wird auch in Frankfurt so sein, wo sich das Land im Oktober auf der Buchmesse vorstellt.

Von Michaela Metz

Auf der Buchmesse in Frankfurt sind in diesem Jahr siebzig brasilianische Autoren eingeladen, die dem deutschen Publikum einen Eindruck vom Gastland dieses Jahres und von seiner Literatur vermitteln sollen. "Auf der Liste stehen Vertreter der indigenen Kultur ebenso wie Nachfahren der Afrikaner und Europäer", sagte Galeno Amorim, Präsident des brasilianischen Organisationskomitees.

Auf den ersten Blick ist allerdings nur ein einziger afrobrasilianischer Autor Teil der Delegation: Paulo Lins, der in der Favela "Cidade de Deus" in Rio de Janeiro aufwuchs, und mit dem Bestseller "City of God" bekannt wurde. Aus dem Roman wurde ein Film, der 2004 für vier Oscars nominiert war. Der einzige angekündigte indigene Vertreter Brasiliens auf der Buchmesse ist der Philosoph Daniel Monteiro Costa aus Belém do Pará im Norden. Er gehört zum Stamm der Munduruku. 2004 erhielt er den in Brasilien hoch angesehenen Jabuti-Preis für sein Buch "Coisas do Indio" (Dinge des Indio).

Rassentrennung und die Last der Kolonialzeit

Ganz so genau lässt sich das aber auch nicht sagen, denn es gibt in Brasilien über 140 verschiedene Bezeichnungen für Hautfarben, darunter: kaffeefarben, Kaffee mit Milch, Zimt, Schokolade, sonnengebräunt, galicisch, halb-weiß, halb-braun, halb-schwarz, oder getoastet. Viele dieser Begriffe sollen die Hautfarbe etwas weißer klingen lassen. Auch im Alltag neigen Brasilianer dazu, ihr Gegenüber heller einzustufen - aus Höflichkeit. Denn die Hautfarbe wird in Brasilien nicht wie in den USA nach der ethnischen Zugehörigkeit benannt, sondern nur nach der Erscheinung.

Hinter der Höflichkeit verbirgt sich allerdings eine brutale Wirklichkeit. Der Journalist und Autor Luiz Ruffato, der auf der Frankfurter Buchmesse die Eröffnungsrede des Gastlandes Brasilien halten wird, beschrieb das auf dem internationalen Literaturfestival FLIP in Paraty: "Wir haben in Brasilien eine extrem ungerechte Gesellschaft. Wir leben mit einer Rassentrennung. Es gibt Indianer und Schwarze. Und es gibt eine Elite in der Gesellschaft ohne jegliche Verantwortung für das Land, in dem sie leben." Die brasilianische Gesellschaft trage immer noch die Last der Kolonialzeit in sich, sagte Ruffato.

Der Fußball liefere da ein passendes Bild. Zum Beispiel beim Endspiel des Confederations Cup im Maracanã-Stadion, Brasilien gegen Spanien Ende Juni: "Oben auf den Rängen sitzen die Weißen und Reichen und unten auf dem Feld spielen die Schwarzen. Die Schwarzen schwitzen, um für die Weißen ein Spektakel zu liefern."

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Aufgebrochene Bankautomaten, brennende Stühle, heruntergerissene Absperrungen: Hunderttausende gehen in den Großstädten Brasiliens auf die Straße und protestieren - gegen die hohen Lebenserhaltungskosten, die Ausgaben für den Confed Cup und die Fußball-WM 2014. Es sind die größten Demos im Land seit 20 Jahren.

Sind Paulo Lins und Daniel Munduruku also die Quotenmänner zweier Minderheiten? Keineswegs. Zwar stellen die Indios tatsächlich nur noch 0,4 Prozent der brasilianischen Bevölkerung, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie seit dem 16. Jahrhundert immer wieder massakriert wurden. Die Afrobrasilianer dagegen sind die Mehrheit im Land. Mit der letzten Volkszählung 2010 kippte erstmals das Verhältnis. Von den knapp 191 Millionen Brasilianern bezeichneten sich 47,73 Prozent als weiß, 50,74 Prozent als schwarz oder braun.

Die Befragten mussten sich zwischen den fünf Optionen weiß, schwarz, braun (pardo), gelb und indigen entscheiden. Die Bezeichnung "pardo" ist dabei der Versuch, einen Sammelbegriff für die unzähligen Schattierungen der Hautfarbe zu finden. Pardo heißt aber auch "grau, zweifelhaft". "Pardo ist keine Farbe von Menschen, es ist eine Farbe von Katzen oder Packpapier", sagte die Historikerin Wania Sant'Anna. Auch die Schwarzenbewegung lehnt das Wort pardo als Kategorie für Hautfarben ab.

Weiße werden zuerst bedient

Seit 1988 sind Rassismus und Diskriminierung in Brasilien eine Straftat. Der Alltag sieht anders aus. Schwarze Anwälte, Fußballer oder Politiker werden regelmäßig mit vorgehaltener Waffe von der Polizei kontrolliert, wenn sie mit dem Auto unterwegs sind. Sie werden aus Bürogebäuden oder Restaurants (vom ebenfalls schwarzen Portier) abgewiesen. Kellner bedienen zuerst den weißen und dann den dunkelhäutigen Gast. Die Models auf den Covern der brasilianischen Magazine sind weiß, so weiß wie etwa Gisele Bündchen. Ebenso wie die Stars in den populären Telenovelas weiß sind und blond. Mit Schwarzen besetzt man eher Nebenrollen wie Hausmädchen, Chauffeur oder Ganove.

Die grausamen Rassentheorien, mit denen die weißen Eliten im 19. Jahrhundert noch Pläne zur Umsiedlung, Abschiebung, Sterilisierung und Ausrottung der Schwarzen planten, waren ursprünglich aus Europa herübergekommen.

Als Reaktion auf die finsteren Jahre begründete Gilberto Freyre 1938 mit seinem soziologischen Grundlagenwerk "Herrenhaus und Sklavenhütte" den Mythos von einer Rassendemokratie in Brasilien. Er sah die Gesellschaft der Weißen, Schwarzen und Indigenen als Chance für Brasilien, die auf das harmonische Zusammenleben der Ethnien gründen sollte. Heute kritisiert man seine Thesen, da diese vorgebliche Harmonie eine Debatte um das eigentliche Problem verhinderte.

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Die Politik spannte Freyres Thesen bald für ihre Ziele ein. Getulio Vargas, der Brasilien von 1930 bis 1945 als Diktator regierte, brauchte für seinen zentralistischen Staat ein starkes Nationalgefühl. Möglichst schnell sollte eine eigene brasilianische Identität her, die das riesige Land einen konnte. Zu dieser Zeit wurde die afrobrasilianische Kultur mit ihrem Samba, den Karnevalsumzügen, der Kampfkunst Capoeira und dem Candomblé-Glauben Teil der brasilianischen Identität.

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Im Karneval von Rio de Janeiro ist die Parade der zwölf besten Sambaschulen ein harter Wettbewerb, der aber ganz leicht aussehen muss. Nun hat die Jury entschieden - und Vila Isabel die Krone verliehen.

Was heute als der Inbegriff Brasiliens gilt, war früher unter Strafe verboten. Capoeiristas und Candomblé-Priester wurden verfolgt, der Karneval war für Schwarze tabu. Samba galt als unzivilisierte "Negermusik".

Die Vereinnahmung ihrer Kultur schützte die Afrobrasilianer jedoch nicht vor Diskriminierung. Noch 124 Jahre nach dem Ende der Sklaverei besuchen Farbige und Indios heute schlechtere Schulen als Weiße, sie verdienen weniger, können sich Arztbesuche nicht leisten und sterben statistisch früher. Oft durch Gewalt.

Gilberto Carvalho, Chef des Präsidialamtes in Brasília, beklagte kürzlich: "Die Gewalt gegen schwarze Jugendliche ist stark angestiegen. Das ist, als fiele jede Woche ein Flugzeug mit über dreihundert jungen Leuten vom Himmel". Insgesamt wurden 2010 in Brasilien knapp 35.000 Schwarze getötet. Zum Vergleich - in den USA, deren Bürger im Umgang mit Schusswaffen bekanntermaßen nicht zimperlich sind, starben 2010 knapp 13.000 Menschen gewaltsam.

Der einzige Weg, dieser Misere zu entkommen ist Bildung. 15 Prozent der weißen Schulabgänger schaffen mit einem Studienplatz an einer staatlichen Universität den sozialen Aufstieg. Doch nur knapp fünf Prozent der Afrobrasilianer. Brasiliens öffentliche Schulen sind miserabel, wer sich kein privates Institut leisten kann, ist im Nachteil. So endet für viele Farbige die Schulzeit auch schon nach vier oder fünf Jahren.

"Belindia" nennen viele Brasilianer ihr Land. Wer Geld hat und die richtige Hautfarbe, führt dort ein Leben mitteleuropäischen Standards. Alle anderen kämpfen mit den Problemen eines Entwicklungslandes, wie in Indien. Und der Rassismus ist in Brasilien nicht nur Alltag. Er ist auch institutionalisiert: Von den 513 Abgeordneten im Brasilianischen Nationalkongress bezeichnen sich nur dreißig als dunkelhäutig.

Empregadas, die Rechtlosen des Landes

Trotzdem gibt es auch positive Signale: Ein Durchbruch war die Wahl von Joaquim Barbosa zum ersten farbigen Präsidenten des Obersten Gerichtshofs in Brasilien im vergangenen Jahr. Sein Erfolg hat Symbolkraft. Nun plant Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff sogar eine Quote für Farbige in öffentlichen Ämtern. Ein echtes Erfolgsrezept ist das von Ex-Präsident Lula da Silva als Herzstück seiner engagierten Sozialpolitik geschaffene Programm "Bolsa Familia". Ein Stipendium, das Familien unterstützt, wenn sie ihre Kinder regelmäßig zur Schule schicken und impfen.

Nach einer Verfassungsänderung im März haben die meist schwarzen Empregadas, die in den weißen Familien rund um die Uhr putzen, waschen und die Kinder betreuen, die gleichen Rechte wie andere Angestellte. Bisher galten Hausangestellte als quasi Privatbesitz ihrer Arbeitgeber, rechtlos und immer verfügbar, untergebracht in einer Kammer ohne Fenster neben der Küche. In der Debatte im Senat wurde die Bedeutung dieses neuen Gesetzes mit dem zur Abschaffung der Sklaverei 1889 verglichen.

Wie viel erfolgreicher wäre das Schwellenlandwunder Brasilien wohl, wenn es nicht mehr als die Hälfte seiner Bürger zur Menschen zweiter Klasse degradieren würde? Das Motto der diesjährigen Buchmesse lautet: Vielfalt der Stimmen. Schade, dass die Buchbranche im Oktober nur einen Teil der grandiosen Kreativität Brasiliens kennenlernen wird. Das ist, als liefe man durch den Urwald im Amazonas oder die Straßen von Salvador da Bahia und schaltete den Ton ab.

© SZ vom 03.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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