Das könnte nun ein furchtbarer Sozialporno werden mit einem weltweiten Chor der Entrechteten, die am Ende in die Obdachlosigkeit davonschlurfen. Nichts dergleichen ist hier zu sehen. Farha trifft sich mit Mietervereinen und Soziologen, Bürgermeistern und Journalisten, immer auf der Suche nach den Ursachen für das soziale Desaster, das die Städte und Gesellschaften in einem Tempo sozial entmischt, wie es nie zuvor zu sehen war.
Schnell sind im Film Muster zu erkennen: Riesige Funds wie Blackstone grasen die Märkte weltweit nach Immobilien ab, die man potenziell aufwerten könnte. Blackstone wurde quasi über Nacht der größte Eigentümer von Sozialwohnungen in Schweden - nur dass das mittlerweile keine Sozialwohnungen mehr sind. Rauswerfen, renovieren, weiterverkaufen. "Insofern ist Besitzer auch schon wieder so ein falsches Wort", sagt Farha im Mariandl, während ihre riesigen Augen wie Suchscheinwerfer durch den Raum des Cafés schweifen. "Es geht den Investmentfirmen nicht darum, die Immobilien zu besitzen, sondern schnell Gewinn damit zu machen. Wenn Blackstone in Spanien 100 000 assets kauft, dann nicht, weil sie an der Miete interessiert wären." Farha macht zu dem Wort assets (zu deutsch: Posten, Sachgut, Anlagegegenstand) mit den Zeige- und Mittelfingern ihrer Hände pantomimische Anführungszeichen in die Luft. Die wirken bei ihr wie ein Plastiktütchen, in dem sie diesen Ausdruck am liebsten entsorgen würde wie Hundekot.
Leilani Farha.
(Foto: Janice d Avila)Wohnraum wurde also zum Finanzinstrument mit enormer Gewinnmarge. Die Soziologin Saskia Sassen, eine der Gesprächspartnerinnen in Gerttens Dokumentation, vergleicht das Verhalten der Private-Equity-Firmen mit der Bergbauindustrie: "Sobald sie den Gewinn rausgezogen haben, um den es ihnen ging, lassen sie die ganze Gegend verwüstet zurück und ziehen weiter." Schnitt. Leilani Farha im Gespräch mit einem Pensionär in Toronto, der sich seine Doppelhaushälfte nicht mehr leisten kann. Die bittere Ironie an der Szene: Einer der größten Investoren in den Funds, der seine Immobilie gekauft hat, ist sein eigener Pensionsfonds.
Die Politik hat den Wandel nach der Krise 2008 mitverursacht
"Das politische Problem daran", so Farha im Mariandl, "es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen Wohnen als Handelsware und Gold als Handelsware. Gold ist kein Menschenrecht, Wohnen schon." Es wird nur politisch kaum etwas dafür getan, dass die Staaten ihren Bürgern dieses Recht auch weiterhin garantieren können.
Im Gegenteil, die Politik hat den Wandel der Wohnung vom Menschenrecht zur Ware nach der Krise 2008 massiv mitverursacht, indem sie den Investmentfirmen bei ihrer weltweiten Einkaufstour enorme Vergünstigungen einräumte und quasi goldene Gesetzesbrücken mitten in die Immobilienwirtschaft baute. Farha hat mittlerweile "The Shift" gegründet, ein internationales Aktionsbündnis aus Bürgermeistern, NGOs, Anwälten, die versuchen, sich der enthemmten Verwandlung von Wohnraum in Wirtschaftsgüter entgegenzustellen. Ada Colau, die Bürgermeisterin von Barcelona, die als Aktivistin gegen Brutalentmietungen anfing, hat etwa den Kampf gegen Airbnb aufgenommen: Unter Androhung drakonischer Bußgelder brachte sie die kalifornische Vermietungsplattform, deren Unternehmenswert auf 30 Milliarden Dollar geschätzt wird, dazu, dass alle Zimmerangebote bei der Stadtverwaltung von Barceloma registriert werden, wodurch die Stadt Zugang zu den Daten der Vermieter bekommt und sehen kann, wer seine Immobilie als reine Gewinnmaximierungsmaschine missbraucht.
Geht doch, möchte man meinen. Aber Farha und Gertten wiegen die Köpfe. "Die Staaten müssten endlich mitziehen", so Farha. Stattdessen würden sie weiterhin viel zu sehr auf Deregulierung setzen.
Auf dem Heimweg mit dem Rad geht es vorbei an Biobäckern und Yogastudios. Genau, da war noch was. Das falsche Feindbild, von dem Gertten sprach. Leilani Farha, die sagte, Starbucks, H&M, das seien die Gegner, all die Ketten, die im Gegensatz zum Yogastudio oder Biobäcker ihre Gewinne aus den Städten rausziehen und oft in Steuerparadiesen parken.