Dokumentarfilm:"Gold ist kein Menschenrecht, Wohnen schon"

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Sterile Innenstadt: Szene aus "Push" von Fredrik Gertten. (Foto: Verleih)
  • Der Filmemacher Fredrik Gertten begleitet in seinem Film "Push" die "Sonderberichterstatterin der UN für angemessenes Wohnen", Leilani Farha.
  • Teil ihrer Arbeit ist es, Regierungen zu einer Politik zu bewegen, die dem Grundbefürfnis Wohnen gerecht wird.
  • Die Dokumentation ist kein Sozialporno, sondern ein spannender Film auf der Suche nach den Ursachen für das soziale Desaster.

Von Alex Rühle

Klar weiß jeder Münchner ungefähr, was gerade los ist auf dem Immobilienmarkt. Dass es in Berlin auch längst angefangen hat mit den Preisexplosionen. Und dass die Entwicklung der Arbeitseinkommen und die der Immobilienpreise sich vollkommen voneinander abgekoppelt haben. Die Gesellschaft unterteilt sich in die, die besitzen, und die, die mieten.

Beziehungsweise die, die immer mehr besitzen, und die, die versuchen, irgendwo noch 2-Zi-Kü-Bad zu finden. Aber zu sehen, in welchem Ausmaß und mit welcher Dynamik das Ganze gerade weltweit stattfindet, ob nun in einer Sozialbausiedlung in Uppsala, wo auf einen Schlag mehrere tausend Wohnungen den Besitzer wechseln, oder im hippen Notting Hill, im grünen Hinterland von Seoul, an einem Steilhang im chilenischen Valparaiso oder im New Yorker Stadtteil Harlem, wo ein Mieter für seine 70 Quadratmeter von einem auf den anderen Tag nicht mehr 2400 sondern 3500 Dollar zahlen muss, das ist noch mal was Anderes. In globalen Zahlen: Der Wert aller Immobilien weltweit beträgt mittlerweile 217 Billionen Dollar - das ist 2,7 mal das globale Bruttosozialprodukt.

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Aber was ist dieses "Ganze", wie es gerade so wolkig hieß? Was genau passiert da auf dem Immobilienmarkt seit rund zehn Jahren? Ist das diese doofe Gentrifizierung? Wo vorher ein traditioneller Handwerksbetrieb war, macht jetzt ein Yogastudio mit angeschlossener veganer Patisserie auf? "Gentrifizierung ist der falsche Begriff", sagt Leilani Farha. "Und der vegane Bäcker ist das falsche, völlig alberne Feindbild", ergänzt Fredrik Gertten.

Ein Film über die Frage: Wem gehört eigentlich die Stadt?

Die beiden sind ein herrliches Paar, wie sie da nebeneinander auf einem zerschlissenen Sofa im schrabbeligen Münchner Lokal Mariandl sitzen. Leilani Farha wirkt wie ein lebendes Starkstromgebiet. Die kanadische Juristin ist klein und zierlich, aber alles um sie rum scheint zu vibrieren, wenn sie etwa davon erzählt, dass die amerikanische Investmentgesellschaft Blackstone kürzlich angedroht habe, all ihre Immobilien in Spanien einfach vom Markt zu nehmen, weil die Regierung in Madrid ein etwas mieterfreundlicheres Gesetz auf den Weg bringen wollte. "Das sind mittlerweile die Machtverhältnisse" sagt Farha, "ein privatwirtschaftlicher Global Player mit 280 Milliarden Dollar im Rücken kann einen Staat erpressen." Blackstone besitzt in Spanien über 100 000 Immobilien.

Der schwedische Regisseur Fredrik Gertten sitzt neben Farha, ruhig lächelnd, fjordtiefe Falten im müden Gesicht, er ist gerade auf Welttournee mit seinem Film "Push". Er habe, sagt Gertten, einen Film machen wollen über die Frage, wem die Stadt eigentlich gehöre, ähnlich wie in seinem Vorgängerfilm "Bikes vs Cars". Aber diesmal sei es am Ende "was viel Größeres geworden". Das stimmt. Im Grunde dokumentiert "Push" einen sozialen Epochenbruch.

Das gelingt ihm, indem er Leilani Farha bei ihrer Arbeit begleitet hat: Farha ist seit 2014 "Sonderberichterstatterin der UN für angemessenes Wohnen". Sie reist um die Welt, um Regierungen dazu zu bringen ihre Politik endlich darauf abzustimmen, dass Wohnen immer noch ein fundamentales Menschenrecht ist und kein Luxus, den man sich eben leisten können muss.

Der Film zeigt, wie die Verwandlung von Immobilien in Kapitalposten, die auf den Finanzmärkten verschoben werden wie Aktien oder Rohstoffe, innerhalb weniger Jahre zu einer weltweiten sozialen Krise geführt hat. Mieter interessieren einzig als Mietsteigerungszahler. Letztendlich stören sie aber eh nur bei den finanziellen Transaktionen. "Eine leere Wohnung ist leichter und schneller zu verkaufen", sagt Farha. Weshalb man in Gerttens Film ganze Viertel sieht, die leer stehen, sterile Areale mitten in Innenstädten. Oder Mieter, die konstatieren, sie wüssten nicht, wie es weitergehen soll, dritte Mieterhöhung, Renovierungsschikanen, es gehe nicht mehr.

Das könnte nun ein furchtbarer Sozialporno werden mit einem weltweiten Chor der Entrechteten, die am Ende in die Obdachlosigkeit davonschlurfen. Nichts dergleichen ist hier zu sehen. Farha trifft sich mit Mietervereinen und Soziologen, Bürgermeistern und Journalisten, immer auf der Suche nach den Ursachen für das soziale Desaster, das die Städte und Gesellschaften in einem Tempo sozial entmischt, wie es nie zuvor zu sehen war.

Schnell sind im Film Muster zu erkennen: Riesige Funds wie Blackstone grasen die Märkte weltweit nach Immobilien ab, die man potenziell aufwerten könnte. Blackstone wurde quasi über Nacht der größte Eigentümer von Sozialwohnungen in Schweden - nur dass das mittlerweile keine Sozialwohnungen mehr sind. Rauswerfen, renovieren, weiterverkaufen. "Insofern ist Besitzer auch schon wieder so ein falsches Wort", sagt Farha im Mariandl, während ihre riesigen Augen wie Suchscheinwerfer durch den Raum des Cafés schweifen. "Es geht den Investmentfirmen nicht darum, die Immobilien zu besitzen, sondern schnell Gewinn damit zu machen. Wenn Blackstone in Spanien 100 000 assets kauft, dann nicht, weil sie an der Miete interessiert wären." Farha macht zu dem Wort assets (zu deutsch: Posten, Sachgut, Anlagegegenstand) mit den Zeige- und Mittelfingern ihrer Hände pantomimische Anführungszeichen in die Luft. Die wirken bei ihr wie ein Plastiktütchen, in dem sie diesen Ausdruck am liebsten entsorgen würde wie Hundekot.

Leilani Farha. (Foto: Janice d Avila)

Wohnraum wurde also zum Finanzinstrument mit enormer Gewinnmarge. Die Soziologin Saskia Sassen, eine der Gesprächspartnerinnen in Gerttens Dokumentation, vergleicht das Verhalten der Private-Equity-Firmen mit der Bergbauindustrie: "Sobald sie den Gewinn rausgezogen haben, um den es ihnen ging, lassen sie die ganze Gegend verwüstet zurück und ziehen weiter." Schnitt. Leilani Farha im Gespräch mit einem Pensionär in Toronto, der sich seine Doppelhaushälfte nicht mehr leisten kann. Die bittere Ironie an der Szene: Einer der größten Investoren in den Funds, der seine Immobilie gekauft hat, ist sein eigener Pensionsfonds.

Die Politik hat den Wandel nach der Krise 2008 mitverursacht

"Das politische Problem daran", so Farha im Mariandl, "es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen Wohnen als Handelsware und Gold als Handelsware. Gold ist kein Menschenrecht, Wohnen schon." Es wird nur politisch kaum etwas dafür getan, dass die Staaten ihren Bürgern dieses Recht auch weiterhin garantieren können.

Im Gegenteil, die Politik hat den Wandel der Wohnung vom Menschenrecht zur Ware nach der Krise 2008 massiv mitverursacht, indem sie den Investmentfirmen bei ihrer weltweiten Einkaufstour enorme Vergünstigungen einräumte und quasi goldene Gesetzesbrücken mitten in die Immobilienwirtschaft baute. Farha hat mittlerweile "The Shift" gegründet, ein internationales Aktionsbündnis aus Bürgermeistern, NGOs, Anwälten, die versuchen, sich der enthemmten Verwandlung von Wohnraum in Wirtschaftsgüter entgegenzustellen. Ada Colau, die Bürgermeisterin von Barcelona, die als Aktivistin gegen Brutalentmietungen anfing, hat etwa den Kampf gegen Airbnb aufgenommen: Unter Androhung drakonischer Bußgelder brachte sie die kalifornische Vermietungsplattform, deren Unternehmenswert auf 30 Milliarden Dollar geschätzt wird, dazu, dass alle Zimmerangebote bei der Stadtverwaltung von Barceloma registriert werden, wodurch die Stadt Zugang zu den Daten der Vermieter bekommt und sehen kann, wer seine Immobilie als reine Gewinnmaximierungsmaschine missbraucht.

Geht doch, möchte man meinen. Aber Farha und Gertten wiegen die Köpfe. "Die Staaten müssten endlich mitziehen", so Farha. Stattdessen würden sie weiterhin viel zu sehr auf Deregulierung setzen.

Auf dem Heimweg mit dem Rad geht es vorbei an Biobäckern und Yogastudios. Genau, da war noch was. Das falsche Feindbild, von dem Gertten sprach. Leilani Farha, die sagte, Starbucks, H&M, das seien die Gegner, all die Ketten, die im Gegensatz zum Yogastudio oder Biobäcker ihre Gewinne aus den Städten rausziehen und oft in Steuerparadiesen parken.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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