Film "Port Authority":Ein Gefühl von Familie

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Leyna Bloom spielt Wye in "Port Authority", sexy und sensibel, ein schwarzes Transgender-Topmodel. (Foto: Salzgeber Film)

"Port Authority", ein Film über die Transgender Ballroom-Szene in New York, koproduziert von Martin Scorsese.

Von Fritz Göttler

Ein junger Mann, der sich in einem fremden Raum bewegt, das hat viel mit den Ursprüngen des Kinos zu tun. Die Kamera schaut ihm zu, testet ihn: Raumerkundung, Raumbeherrschung, Raumeroberung. Seine Freundin ist dabei, das kompliziert die Sache ein wenig, denn sie soll den Eindruck gewinnen, er lebe dort wirklich. Das Heimische als Fiktion. Paul hatte gedacht, als er nach New York kam, er könne bei seiner Halbschwester wohnen, die aber sagte, das gehe auf keinen Fall, Paul sei auf Bewährung. In Wirklichkeit wurde er in einer Absteige untergebracht von seinem Freund Lee.

Seiner Geliebten Wye flunkert er weiter vor, dass er bei der Schwester wohnt, und eines Tages will Wye diese kennen lernen. Also steigt Paul durchs Fenster in das Apartment ein, öffnet Wye die Tür, erklärt, dass seine Schwester gerade unterwegs sei und noch etwas erledigen müsse. Wye streift fragend durch den Raum. Wo schläfst du? Auf der Couch. Wo sind deine Sachen? In einem Schrank. Es ist alles Fake, die Aura von Familie, Geborgenheit, Bürgerlichkeit.

Paul hat sich in Wye verliebt, als er aus Pittsburgh mutterseelenallein in New York ankam, am Port Authority, New Yorks größtem Busbahnhof, nahe dem Times Square. Er hat sie tanzen sehen mit ihrer Familie, auf den Stufen des Bahnhofs. In der Subway wird er dann von zwei Typen angepöbelt, da ist es sein Freund Lee, der ihn vor dem Schlimmsten rettet. Ein weiterer Raum, der nach Orientierung verlangt. "Die Linie 2 ist kein Platz, um zu schlafen", erklärt Lee, "besser geht das auf der A." Er lässt Paul bei den Jobs mitmachen, die er mit seinen Kumpeln erledigt, sie räumen Leuten die Wohnung leer, die nicht mehr für diese bezahlen können. Sie sind wie die marodierenden Familienbanden in den Abenteurerfilmen.

Wye und ihre Freunde sind Transgender, ihre Familie ist ein Konstrukt, keine natürlichen biologischen Bande. Sie nehmen den Begriff Familie ganz ernst, auf ihre Weise. In den Siebzigern schlossen sich viele Mitglieder der LGBTQ Community in New York zusammen, später in anderen amerikanischen Großstädten. Gemeinschaft und Solidarität nach innen, Schutz gegen außen, vor aggressiven Angriffen und vor verletzender Herablassung selbst der Wohlmeinenden.

"Ich hole mir all den Raum, den die Welt mir nicht gibt", sagt Wye, die Transgender Tänzerin

"Port Authority" ist der erste Langfilm von Danielle Lessowitz, einer der Produzenten ist Martin Scorsese. Der Film lief erfolgreich in Cannes 2019, in der Reihe Un certain regard. Fionn Whitehead ist Paul, man kennt ihn aus " Dunkirk" von Christopher Nolan und aus "Kindeswohl / The Children Act", von Richard Eyre, nach Ian McEwan, mit Emma Thompson. McCaul Lombardi ist Lee, der neugierige, in seiner Rotzigkeit sensible Typ, der Paul aufliest, er war einer der Kids in Andrea Arnolds " American Honey". Leyna Bloom ist Wye, sexy und sensibel, ein schwarzes Transgender-Topmodel. Sie hat viele Leute aus der Ballroom-Bewegung in den Film gebracht, und die Ballroom-Wettbewerbe des Films sind ganz authentisch, was Publikum, Jurymitglieder, die Kandidaten auf dem Laufsteg angeht. Man tritt hier in festgelegten Kategorien auf: Space Boy Realness, Femme Queen Realness.

Manchmal tanzt Wye, die im Ballroom ganz selbstsicher auftritt, allein für sich. "Ich stelle mir vor, ich hole mir all den Raum, den die Welt mir nicht gibt. Den Raum um meinen Körper. Den Raum meines Körpers." Transgender stellt das Prinzip der sexuellen Identität in Frage, auf dem die Gesellschaft basiert. Und, im Kino, die Empathie, die ohne Identifikation nicht auskommt. Wye ist ein Mensch, der sich durch seine Bewegungen definiert, nicht durch seine Geschichte. Eine Realness, die Freiheit bedeutet. Das ist ein Echo, das seit langem im Kino widerhallt, schon bevor in den Siebzigern Gilles Deleuze und Felix Guattari mit ihrem "Anti-Ödipus" das erotische Subjekt auflösten und zum Ort von Strömen und Trieben machten.

Einmal sind Wye und Paul, das ist das Gegenstück zur Schwestern-Wohnung, im Apartment von Wyes Familie. Ein Klopfen an der Tür, schon fliehen sie hastig auf den Balkon. Auch dieses Heim ist eine Fiktion, acht Menschen leben hier, aber nur drei sind als Mieter angemeldet. Wye schaut großartig aus in dieser Szene, sinnlich und bewegend, mit Kopfband und Brille, Mutter und Geliebte. Eines Tages, erzählt Paul, habe ihn seine Mutter bei den Pflegeeltern aufgesucht, ihm einen handgeschriebenen Vertrag gegeben: Sie werde ihn im nächsten Jahr abholen und zu sich nehmen.

Sie hat das nicht geschafft. "Ich habe das Blatt unter dem Kopfkissen aufbewahrt, bis es zerfiel. Ich glaubte ihr nicht, aber diese Geste war ihr wichtig. Wenn einer sich nicht verabschiedet, meint man immer, er müsse wieder auftauchen..." Als er das sagt, geht der Blick der Kamera hoch auf den Himmel, ein Vogelschwarm flattert über ihn, ein Gefühl von Weite und Freiheit.

Port Authority von Danielle Lessowitz gibt es im Salzgeber Club auf der Streaming-Plattform Vimeo .

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