Popmusik:Father John Misty rettet die Popmusik

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Der sardonische amerikanische Folkrock-Crooner und Entertainer Josh Tillman alias Father John Misty rettet die Idee des Protestsongs. (Foto: dpa)

Pop und Protest waren Geschwister, wenigstens entfernte. Dann spielte die Welt verrückt und dem Pop fiel nicht viel ein - bis zu Father John Mistys neuem Album "Pure Comedy".

Von Jens-Christian Rabe

Nur mal so in die Runde gefragt, weil jetzt also das neue, fabelhafte Album des amerikanischen Songwriters Father John Misty erscheint, und es zur Erklärung nicht kleiner geht: Wie geht's Pop eigentlich gerade so? Also dieser unwiderstehlich schillernden Parodie unser eigenen Träume, die längst so viel mehr als Musik ist und zudem eine verflixt ernste Sache? Denn wäre sonst - wie einst Ronald Reagan - je ein Hollywood-Schauspieler amerikanischer Präsident geworden? Oder nun ein Reality-TV-Star wie Donald Trump? Wäre Großbritannien aus der EU ausgetreten? Wäre Obama Friedensnobelpreisträger, der Fußball König, Franz Beckenbauer Kaiser und Udo Lindenberg wieder halbwegs nüchtern geworden? Der Pop also, wie geht' dem eigentlich so? Ist er wenigstens noch halbwegs bei Trost?

Nur weil gerade ja wirklich die Löcher aus dem Käse fliegen und alles, woran man als liberaler Westler einmal zu glauben gewagt hat, zur Disposition steht: die Gleichheit, die Toleranz, die Humanität, die Gerechtigkeit, die Wahrheit. Und weil Pop doch einmal diese irre Kraft war, die nur das Gute wollte und dabei gar nicht so kurz sprang.

Kann Pop der Lage mehr als schlechte Kalauer entgegensetzen? Ja, er kann

Wie zum Hohn spielte Trump ja nicht nur Musik von R.E.M. oder den Rolling Stones bei seinen Veranstaltungen. Er unterlegte gegen Ende seines Wahlkampfs sogar einmal einen - wie ein Musikvideo geschnittenen - Wahlwerbespot komplett mit "Seven Nation Army" von den White Stripes, also mit der Indierock-Hymne von der guten Seite der Macht schlechthin.

Er hatte dann mit dem Band-Line-up seiner Inauguration ein Problem und bekam nur einen Mormonen-Chor. Aber die ganzen Anti-Trump-Songs klangen nach der Wahl trotzdem seltsam schal, läppisch, hilflos. Am meisten Aufsehen erregte die Indiepop-Sängerin Fiona Apple mit "Tiny Hands", der auch auf vielen Protest-Demos gesungen wurde. Sie singt darin in Anspielung auf das absurde Wahlkampfscharmützel um die angeblich unterdurchschnittliche Handgröße und also Unmännlichkeit Trumps und seine feiste Frauenfeindlichkeit: "We don't want your tiny hands / Anywhere near our underpants - Wir wollen deine winzigen Hände / nicht in der Nähe unserer Unterhosen". Aber, ganz ehrlich: War dieser maue Kalauer wirklich alles, was der Pop Trump entgegenzusetzen hatte? Wo ist sein viel beschworenes kritisches Potenzial?

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Nun, es ist doch noch nicht ganz verloren. Der sardonische amerikanische Folkrock-Crooner und Entertainer Josh Tillman alias Father John Misty rettet die Sache mit seinem neuen, dritten Album "Pure Comedy" (Bella Union) erst einmal im Alleingang. Allerdings ganz anders, als man es nach den beiden famosen Vorgängern "Fear Fun" und "I Love You, Honeybear" erwartet hatte.

Da war er noch der supersmarte ironische Sack mit Vollbart, in einem etwas zu weit aufgeknöpften Hemd, dazu Anzug und Sonnenbrille, der sich in Songs wie "Well, You Can Do It Without Me" oder "Bored in the USA" souverän-abgewohnt über die kaum erträgliche irre Verkommenheit der Welt im Allgemeinen, sich selbst und Amerika im Besonderen erhob. Und der, wenn es sein musste, seinen Pointen mitten im Song auch mal Konserven-Gelächter zuspielte, wie man es aus schlechten Sitcoms kennt. Die Verkommenheit war allerdings noch die, die schon vor der Wahl Trumps und dem aktuellen Populismus-Irrsinn herrschte.

Eine Sackgasse wäre diese abgezockte Ironie, die im Pop derzeit niemand so unwiderstehlich lässig-nachlässig aufführen kann wie er, aber wohl auch gewesen, wäre Hillary Clinton gewählt worden. Der Ironiker ist ja auch nur ein gelangweilter Moralist, dem es noch viel zu gut geht. Niemand weiß das besser als der Ironiker selbst.

Die meisten Songs des neuen Albums sind auch schon weit vor der Wahl entstanden. Jetzt wirkt ihre auffällig unironische Ernsthaftigkeit aber noch viel passender. Wobei Misty dabei das Kunststück gelingt, seinen cleveren Biss nicht zu verlieren, weil eine gediegene Portion Selbsthass immer mitschwingt. Eine zornige Tirade gegen unsere stumpfe Entertainment-Sucht wie "Total Entertainment Forever" oder eine bittere Bilanz der menschlichen Komödie wie der erste Song "Pure Comedy" wird nie zur wohlfeil-elegischen Sonntagsrede. Father John Misty platziert sich selbst immer mitten im Schlamassel: "I hate to say it, but each other's all we got." Man mag aber auch fast keine Zeile herausheben, weil es so viele fantastische gibt: "The only thing that seems to make them feel alive / is the struggle to survive." Und sind Songtitel wie "Things It Would Have Been Helpful To Know Before The Revolution" oder "When The God Of Love Returns There'll Be Hell To Pay" nicht schon tiefste Bewunderung wert?

Die Musik dazu ist eigentlich nichts Besonderes und doch perfekt. Im Grunde ist es ein feiner, still-balladesker Seventies-Softrock mit viel Piano und Akustikgitarre und hier und da ein paar elegischen Geigen. Kammer-Folk. Mit schlechteren Texten und einem weniger verzweifelt-selbstironisch-inbrünstigen Sänger könnte das Ganze auch übelster Manufactum-Pop sein.

Bei aller Verzweiflung und Ungnade auch bezaubernd zart und ermutigend

Ist es aber genau nicht. Sondern bei aller Verzweiflung und Ungnade auch bezaubernd zart und ermutigend. Anders gesagt: Kann man mit verschränkten Armen herzzerreißend vom Ende der Welt singen, wie es Father John Misty bei seinem Auftritt bei "Saturday Night Live" tat, der berühmtesten Comedy-Show Amerikas, ohne dabei wie ein schnöseliger Depp zu wirken? Nein. Außer Father John Misty.

Und so bringt er es nebenbei auch fertig, dem Protest-Pop einen zeitgemäßen Weg aus der Trump- und Populismus-Falle zu weisen. Die gängige Erklärung für die politische Saftlosigkeit des Pop ist ja, dass er sich dem bösen Kumpel Kommerz unterworfen habe. Weshalb die Idee, dass Pop im Sinne der sich selbst befreienden Gesellschaft die Zaubermischung aus Kritik und Unterhaltung sei, längst als korrumpiert gelte. Und Populismus und Pop eben kein odd couple seien, sondern ein perfect match. Zumal sie beide ja auch notorisch dreist beweisen, dass man selbst als steinreicher und irre populärer Entertainer so tun kann, als würde man als armer Außenseiter das Feld von hinten aufrollen. Und damit dann nicht nur durchkommen, sondern sogar gewinnen.

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Father John Misty aber kann eben auch ganz eine andere Geschichte erzählen und statt Kunstnebel Klarheit schaffen. Von Paul Maar gibt es eine Kindergeschichte, die ganz nach dem Geschmack von Father John Misty sein dürfte: "Die drei miesen fiesen Kerle". Ein Kind macht sich darin auf, drei Monster zu besiegen, die die ganze Gegend unsicher machen. Den entscheidenden Rat bekommt es von einer karierten Katze vor dem Schloss der drei Monster. Die Monster stellen sich zudem als ziemlich dumm heraus und alles geht gut. Der Junge besiegt sie und die karierte Katze frisst sie auf. Allerdings wird die dadurch am Ende so groß, dass fortan sie die Gegend in Angst und Schrecken versetzt.

Für Kinder, denen man die Geschichte vorliest, ist das dann schon nicht mehr so wichtig, der Junge sieht's auch ganz cool. Hauptsache die fiesen Monster sind weg. Die fette Katze ist doch bloß eine fette Katze. Tatsächlich ist natürlich aber genau das im Moment das wahrhaft Monströse der Geschichte. Und auf die laufenden Ereignisse gewendet, ahnt man bald: Trump ist nicht die Katze. Er hat nur dafür gesorgt, dass wir ihn gefressen haben. Die Katze sind wir, die Menschen selbst. Pure Comedy.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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