Popkolumne:Hindernistanz durch überfüllte U-Bahnstationen

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Lässigste Nuschlerin aller Zeiten: Joan Wasser alias Joan As Police Woman. (Foto: Lindsey Byrnes/dpa)

Ab ins Gedränge, mit Joan As Police Woman, Nathaniel Rateliff, Adele, Noga Erez, Billy Bragg und der Antwort auf die Frage: Wie mächtig ist Boris Johnsons Anarcho-Konservativismus?

Von Jens-Christian Rabe

(Foto: N/A)

Die amerikanische Sängerin und Songwriterin Joan Wasser alias Joan As Police Woman, lässigste Nuschlerin aller Zeiten, hat ein neues Album aufgenommen: "The Solution Is Restless" (Pias). Mit dem Afrobeat-Schlagzeug-Genie Tony Allen, der kurz nach den Aufnahmen starb, und dem britischen Gitarristen und Avantgarde-Pop-Tüftler Dave Okumu von The Invisible. Unter dem ja immer unwiderstehlichen Indie-Cool von Wasser zirkeln also Beats und Sounds, die die Songs im allerbesten Sinn extrem elastisch schweben lassen. Musik für den Hindernistanz durch überfüllte U-Bahn-Stationen am Montagmorgen - den man sich nie trauen würde (schon gar nicht im Moment), nach dem man aber sicher ein glücklicherer Mensch wäre. Unbedingt anhören!

(Foto: N/A)

Und noch ein Tipp: Die famose israelischen Rapperin und Sängerin Noga Erez hat ihr im Januar erschienenes zweites Album "KIDS" in ein akustisches Big-Band-Album verwandelt: "KIDS (Against The Machine)" (City Slang). Wobei es nicht einfach klingt wie ein Big-Band-Album, sondern wie ein Album, für das eine wählerische Hip-Hop-Produzentin mit sehr gutem Geschmack genau die Drum- und Brass-Sounds mit dem meisten Wumms herausgesucht hat. Der Rest wurde einfach weggelassen. Für den Tanz durch überfüllte U-Bahn-Stationen am Abend auf dem Weg nach Hause.

(Foto: Jill Furmanovsky/dpa)

Vor mehr als 20 Jahren, im Jahr 2000, hatte auf Vermittlung der BBC der britische Songwriter Billy Bragg einmal das Vergnügen, mit Boris Johnson, der damals Kolumnist des konservativen britischen Wochenmagazins The Spectator war, einen Tag lang von Kameras begleitet über das Glastonbury-Festival zu spazieren. Wenn man sich das Video heute ansieht, sieht man, wie sich der von der BBC offensichtlich als Anarcho-Konservativer gebuchte Johnson anarcho-konservativ übers Gelände dampfplaudert. Ohne Zweifel hatte er sich überlegt, an einem Ort der Gegenkultur in beigem Sakko, Krawatte und hellblauem Hemd krampfhaft gut gelaunt den Hohepriester des Kapitalismus zu geben. Er kommt etwa auf den Clash-Song "Bankrobber" zu sprechen und sagt: "Das ist doch deine Philosophie, oder? Linker Applaus zum Ausrauben von Kapitalisten." Billy Bragg, damals wie heute so etwas wie das schlaue linke Gewissen des britischen Indiepop, nahms mit extrem robustem Galgenhumor, den nur Briten haben können. Im Interview mit dem Guardian lieferte er nun in Erinnerung an den Tag gerade das endgültige Psychogramm Johnsons: "Er versuchte ständig, mich mit billigen Provokationen aus der Reserve zu locken. Exakt so ist er noch heute. Wir haben einen aufgedrehten Händler zum Premierminister gemacht. Wie konnte das verdammt noch mal passieren?" Die bittere Pointe der Antwort auf diese Frage ist natürlich, dass es so weit kam, weil Boris Johnsons Anarcho-Konservativismus leider noch mehr Pop ist als alle rechtschaffenen linken Popisten immer schon befürchtet haben.

(Foto: N/A)

Man muss sich die Begleitformation The Night Sweats als eine Art Rettung für Nathaniel Rateliff vorstellen. Künstlerisch. Aber auch kommerziell: "S.O.B.", die 2015 veröffentlichte erste Single des stets in groben Jeanskutten auftretenden Oktetts, eine etwas kraftmeiernde Doo-Wop- und Rhythm-and-Blues-Nummer, steht bei Youtube aktuell bei für diese Musik doch gewaltigen 77 Millionen Views. Ohne diesen von ihm selbst damals schon nicht mehr erwarteten Erfolg hätte der Sänger aus Denver, Colorado, wohl aufgegeben. Schluss mit der Musik. Die famos knarzigen Americana-Songs, die schlau-introvertierten Lebensreflexionen, die es bis dato solo von ihm gab, wurden zwar zu Recht von den wichtigeren US-Musikinstanzen gepriesen - gekauft wurden sie aber nicht sonderlich oft. Dann der Hit. Und jetzt das neue Problem, Rettungen bringen ja oft neue Probleme: Der R'n'B der Night Sweats ist zwar von erhebendem Soul durchzogen, aber auch von hyperbreitbeiniger Männlichkeit. "S.O.B" etwa steht für "Son of a bitch", und dieser Nachkomme einer Dirne, so singt Rateliff das, solle ihm jetzt gefälligst einen Drink geben. Weil: "If I can't get clean, I'm gonna drink my life away" - wenn ich mit der Sauferei nicht aufhören kann, dann ziehe ich sie jetzt eben bis zum Ende durch. Das störte Rateliff zuletzt. Er wollte es gern wieder etwas kleiner, etwas weniger besoffen. Eine Spur mehr Emotion ohne Gebrüll. Also zog er sich zurück und schrieb erst mal allein - sich selbst ein bisschen wiederfinden, verstehen, wie viel Solo-Energie in die Band passt. Erst dann ging es zurück zum Rest. Und was soll man sagen: grandioser Schritt. Das Album "The Future" (Stax Records) ist tatsächlich eine höchst gelungene Kombination aus Rateliffs Singer-Songwriter-Qualitäten und den muskulösen, bläsergetragenen Stax-Soul-Grooves der Night Sweats. Geht ja selten gut, so was. Hier schon.

(Foto: Simon Emmett/Columbia Records/dpa)

Auf kein Album wartet die Pop-Welt gerade gespannter als auf "30" von der britischen Sängerin Adele. Ihr jüngstes erschien schließlich vor auch schon wieder sechs Jahren und war natürlich ein gigantischer Erfolg. Das neue wird Mitte November veröffentlicht, die Liste der Songtitel wurde aber jetzt schon bekannt. Wenn es noch ein sicheres Kennzeichen für große Erwartungen im Pop gibt, dann das. Wir wissen nun also über das neue Album, dass es Songs enthält mit so unverwechselbaren Titeln wie "My Little Love", "Cry Your Heart Out", "Love Is A Game" oder, oh mein Gott, "Oh My God"! Und haben wir damit hier jetzt ein gutes Argument dafür, mit dieser kleinen, vermeintlich über der Sache stehenden Glosse auch noch auch irgendwie beim Hype mitzumachen? Zur Hölle nein! Wir können nur dazu raten, erst mal Noga Erez, Joan As Police Woman oder Nathaniel Rateliff zu hören.

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