"Solar Power" von Lorde:Hello Sunshine

Lesezeit: 4 min

Arme Lorde! Auf ihrer neuen Platte besingt sie ihr Los als vom Blitzlichtgewitter albtraumgeplagte Jungmillionärin. Aber sie denkt schon auch ans Klima und an Kinderarbeit. (Foto: Brendan Walter / Universal Music)

Die neuseeländische Sängerin Lorde gibt sich auf ihrem neuen Album "Solar Power" naturverbunden und vergnügt sich am Strand.

Von Juliane Liebert

Lorde will das Klima retten, indem sie keine CDs mehr produzieren lässt, sondern von ihrem neuen Album "Solar Power" leere Päckchen mit Downloadcode und Fotos verkauft. Es ist das dritte Album der neuseeländischen Musikerin. Als das erste vor acht Jahren erschien, prophezeite ihr David Bowie, sie sei die Zukunft der Musik. Aber inzwischen ist David Bowie tot, und die 24-Jährige kann sich nicht entscheiden, ob sie Jesus sein will oder nicht. In der ersten Single des Albums, "Solar Power", erklärte Lorde noch, sie sei "ein hübscherer Jesus". Dabei hüpfte sie fröhlich am Strand herum. Als ob irgendwer von uns in den letzten zwei Jahren einen Strand gesehen hätte. Im ersten Song des Albums, "The Path", lehnt sie jetzt aber jede Heilserwartung an sie ab: "Now if you're looking for a saviour, well that's not me". Was denn nun?

Aber klar, wenn sie ihre ganze Scheißzeit am Strand verbringt, wie soll sie uns da retten? Schön, dass du Spaß am Strand hast, Lorde! Wenigstens erfahren wir so gleich am Anfang der Platte ihr trauriges Schicksal: Sie sei geboren im Jahr von "OxyContin", im "hohen Gras aufgewachsen" und seitdem - die Arme! - eine vom Blitzlichtgewitter albtraumgeplagte Jungmillionärin: "a Teen millionaire having nightmares from the camera flash". In ihrer Freizeit klaut sie Gabeln für ihre Mama. Was soll Lordes Mutter mit geklauten goldenen Gabeln?

Sie hat denselben Produzenten wie Lana Del Rey und Taylor Swift, den unvermeidlichen Jack Antonoff

Der Schlagzeugeinsatz zu Lordes Bekenntnissen ist eindrucksvoll, mündet dann aber leider in einen Fließbandrefrain. Da helfen die teils ungewöhnlichen Songstrukturen auch nichts mehr. Dazu gibt es effektverwaberte Dur-Arpeggien, die sind beim Produzenten und Co-Autor Jack Antonoff unvermeidlich. Das ganze Album klingt sehr nach Jack Antonoffs letzten Produktionen für Lana Del Rey und Taylor Swift. Lorde besteht darauf, dass das nicht an Jack liegt. Aber niemand glaubt ihr.

So sieht es aus, das Cover von "Solar Power". Es ist das dritte Album der neuseeländischen Sängerin. (Foto: Universal Music)

Lorde arbeitete schon auf "Melodrama" mit Antonoff zusammen, aber der hat inzwischen offenbar eine Synthesizer-Allergie entwickelt und produziert nur noch Schlafzimmerpop-Alben. Im Fall von Del Reys "Norman Fucking Rockwell" war das ein Glücksfall, aber Lana ist die Einzige, die diesen 4K-Dämmerfolk unter Spannung hält, indem sie eine kalifornische Traumlandschaft darin baut. Bei allen anderen - das gilt leider auch für Lordes Surfvariante davon - schläft man nur ein. Und wer es doch schafft, wach zu bleiben, macht sich Sorgen um sein Gehirn, weil jeder Song den vorherigen im Gedächtnis auslöscht.

(Aber vielleicht hat Lorde recht, und Jack Antonoff ist gar nicht der Schuldige an den ganzen Jack-Antonoff-Alben. Vielleicht wollen die weiblichen Popstars derzeit alle einen gitarrig-minimalistischen Wohlfühlsound und zwingen ihn dazu, während er eigentlich in einer Hardcore-Punk-Techno-Phase ist. Und sie nur nicht ausleben kann. Dann wäre er das erste Pop-Opfer des Matriarchats. Wer weiß das schon. Es wäre möglich!)

Cool, Lorde denkt beim Sonnenbaden an Kinderarbeit!

Die Vogue interviewte Lorde in ihrem 73-Fragen-Format, welches Anliegen ihr heute am meisten am Herzen liege. Sie antwortete: "Dinge, die die Neuseeländer betreffen, ich denke da an Kinderarmut, die Verbesserung der Systeme zum Schutz der Māori und unsere Klimagesetzgebung." Worauf der Interviewer erwidert "Ja, das ist wirklich cool", als hätte sie ihren Lieblingsnagellack genannt. Aber seine scheinbar unangemessene Antwortfloskel enthält auch eine tiefere Wahrheit: Cool, Lorde denkt beim Sonnenbaden an Kinderarbeit!

So fühlt sich ihre neue Musik auch an. Als könnte sie nur von Menschen gemacht werden, die reich und schön sind, an den schönsten Orten der Welt abhängen und sich mit materiellen Sorgen oder begründeten Existenzängsten eher nicht auseinandersetzen müssen. Saturiert, und zwar gerade die scheinbar bescheidenen, zurückhaltenden Elemente.

Die trockene Akustikgitarre ist inzwischen sowas wie der Steve-Jobs-Rolli des weiblichen Popstars. So wie Internetmilliardäre gerade mit einem Normcore-Outfit zeigen, wie weit oben sie auf der sozialen Leiter stehen - so weit nämlich, dass sie jederzeit jeden Kleidungsstandard unterschreiten dürfen -, demonstriert die Streammillionärin mit minimalistischen Arrangements, dass sie über den Kampf um Aufmerksamkeit längst erhaben ist. Ihre Alben landen so oder so an der Spitze, auch wenn eine halbe Stunde im Massagesessel spannender ist als ihr Gedudel.

Wie auch Billie Eilish singt Lorde über das Erwachsenwerden im Showbiz, in der Luxusblase. Sie kennt sich da aus. (Foto: Ophelia Mikkelson Jones)

Nun könnte man das als grandiose Chance sehen, die absonderlichsten Einfälle in die Top Ten zu schmuggeln. Tatsächlich geschieht das punktuell. Auch auf "Solar Power". In der Coda von "Fallen Fruit" wickeln sich eine seltene Keyboardgirlande, Feedbackgeräusche und verdunstete Gitarrenschleifen umeinander. Auch der Sonnengruß an die latent gruselige Psychedelik der Sechziger "The Man with the Axe" versprüht in manchen Momenten einen benebelten Charme. Aber leider werden diese Einfälle sämtlicher Widerhaken und Rohheiten beraubt. Die trockene Gitarre erdet nicht den im Konsenshimmel hängenden Charthit. Sondern die abgeklärt edle Produktion transformiert die trockenste Gitarre in ein exklusives Ausstellungsstück. Ein Readymade, das in irgendeinem Soho-House als Deko rumsteht. Eine "Musikbox" ohne Tonträger darin.

Wie auch Billie Eilish singt Lorde abgeklärt über das Erwachsenwerden im Showbiz, in der Luxusblase. Lorde ist zwar etwas älter, "Solar Power" ist schon ihr drittes Album, und der Stil unterscheidet sich, aber auffällig ist, dass beide dabei klassische Hitqualitäten weitgehend vermeiden. Billie macht jetzt auf Musical und polierten Chanson, und Lorde hat ein seltsam gleichmäßig vor sich hin plätscherndes Sonnenscheinalbum gemacht.

Gut, Künstler entwickeln sich weiter. Man muss sich auch auf das einzulassen, was einem daran vielleicht erst mal fremd ist. Aber bei Lorde hat man den Eindruck, dass sie sich mit steigendem Erfolg in ihren Inszenierungen verheddert und ihre musikalischen Stärken aus dem Blick verloren hat. Es gibt nur wenige, die in einer langen, sehr erfolgreichen Karriere als Künstler wirklich dauerhaft interessant bleiben. Die meisten driften, jedenfalls wenn sie nicht direkt an die Spitze katapultiert werden wie Billie Eilish, erst in die wegstreambare Glätte und nach dem finanziellen Erfolg dann in bequemliche Qualitätsmusik ab.

Wenn die Sonne Lorde wirklich den Weg zeigen wird, dann hoffen wir, dass er nicht dahin führt. Wenn doch, dann hat sie immer noch den Strand. Capri, Freunde, Capri.

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