"Me and Ennui are Friends, Baby" von Sarah Mary Chadwick:Lieder gegen Langeweile

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Ob das das Klavier ist, auf dem Sarah Mary Chadwick ihre neuen Songs eingespielt hat, ist nicht bekannt. (Foto: Simon Karis/Ba Da Bing Records)

Auf ihrem neuen Album "Me and Ennui are Friends, Baby" singt Sarah Mary Chadwick ergreifend gegen Trübsal an.

Von Juliane Liebert

Was ist der hässlichste Teil deines Körpers?, fragte der genialische Pöbler Frank Zappa einst in einem Song, der genau so hieß: "What's the ugliest Part of your body?". Er stellte Nase und Zehen zur Auswahl, um sich dann für den Geist zu entscheiden. Die viel interessantere Frage lautet also: Was ist der schönste Teil des Geistes? Der scharfe Verstand? Das tief empfundene Gefühl?

Das Cover von Sarah Mary Chadwicks neuem Album "Me and Ennui Are Friends, Baby" zeigt auch ein Körperteil, und zwar einen Schritt. Rot lackierte Fingernägel ruhen auf gespreizten Beinen, die stecken in Jeansshorts, und da, wo die Jeansshorts enden, sieht man einen Anflug von Schamhaar. Das Bild ist dabei gar nicht besonders sexuell - nicht die Art sexuell, wie sonst Cover sexuell sind, mit glattgephotoshopten Frauenkörpern, die einem zum Albumkauf verführen sollen.

Das Aufblitzen der Schamhaare auf Sarah Mary Chadwicks Albumcover ist eher eine spirituelle Vision. Oder ein Suchbild. Sind sie da? Oder nicht? Ist es komisch, in einen fremden Schoß zu starren? Wessen Schoß ist es? Und wenn Sarah Mary Chadwick so gut mit Ennui befreundet ist, warum hängt Ennui dann ständig hier rum?

Die besten Lieder des Albums haben die Substanz ausgewachsener Popsongs

"Me and Ennui Are Friends, Baby" ist eben erschienen. Auf ihrem vorletzten Album "The Queen who stole the Sky" verarbeitete Chadwick noch den Tod ihres Vaters und ihres Partners, auch auf dem Nachfolger "Please Daddy" von 2020 geht es schwermütig zu. Nun geht es unter anderem darum, dass ihre Mutter sie nie geliebt hat, wie sie im ersten Song des Albums, "Mother's Love", gleich in der ersten Zeile bekennt.

Sie beruft sich in ihren Lyrics auf die Dichterinnen Anne Sexton und Sylvia Plath - und tatsächlich sind viele ihrer Texte Bekenntnisse. An eine unglückliche Liebe, die Eltern, die eigenen Mängel. Alle Songs auf dem neuen Album sind weitgehend auf Klavier und ihre Stimme reduziert. Trotzdem haben die besten Lieder nichts Skizzenhaftes, Hingeklimpertes, sondern die Substanz ausgewachsener Popsongs.

Das Klavier klingt wie in einen dicken Teppich verpackt, die Hämmer mit schwerem Samt gedämpft. Dumpf, aber klar artikuliert; immer wieder knarzt die Mechanik, das Holz. Als würden die Songs im Resonanzkörper des Instruments wohnen oder darin ihr zerschlissenes, robustes Fundament finden, auf dem aus Einfällen, Gegrübel und Trübsinn tatsächlich Lieder entstehen.

Suchbild mit Botschaft: Sarah Mary Chadwicks "Me and Ennui are Friends, Baby". (Foto: Ba Da Bing Records)

Chadwicks Art zu Singen kommt hörbar aus dem Punk. Bewusst dirty, schlampig intoniert, aber wiederum geschickt moduliert, mit Tremoli und Jauchzern. Sie singt, als würde sie sich mit jeder Silbe aus der Resignation kämpfen. Der Song "At Your Leisure" klingt als gebrochene Hymne aus. Es erreicht seinen Höhepunkt gerade darin, dass das Klavier immer leiser, die Stimme immer fragiler wird. Als würde der Song langsam vergilben. Der schönste Teil des Geistes? In ihrem Fall das tief empfundene Gefühl.

Nach dem von der Kritik gelobten Vorgänger "Please Daddy" mit Band beweist sie mit ihrem neuen Album, dass ihre Songs auch der radikalen Reduktion standhalten. Nur von der titelgebenden Langeweile, dem "Ennui", hört man erstaunlich wenig. Trostlosigkeit? Ja. Verzweiflung? Auch. Aber die Langeweile hat offenbar gerade anderswo zu tun. Gut so.

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