Poetenfest Erlangen:Dialektik nach Kegel

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Rabimmel, Rabammel, Rabumm: Beim Poetenfest Erlangen verwüstete die Berliner Künstlergruppe "Plastique Fantastique" ein Corona-Home-Office im Laternenschein. (Foto: Erich Malter/Erlanger Poetenfest)

Fast schon eine Gegenveranstaltung: Beim Poetenfest in Erlangen geriet ein Nachtwächter ins Home-Office und eine Aubergine zum Scheibenwischer. Auch sonst trafen Themen und Dinge unerwartet aufeinander.

Von Nicolas Freund

Am Wochenende hielt ein großes Event Erlangen in Atem. Die Innenstadt war festlich beflaggt und teilweise abgesperrt. Denn die Route des Radrennens Deutschland Tour führte für zwei Tage mitten durch die fränkische Universitätsstadt. Im Schatten dieses Events fand am selben Wochenende, fast schon wie eine Gegenveranstaltung, auch das 41. Erlanger Poetenfest statt. Nur mit weniger Flaggen und ohne Straßensperrungen.

Das Poetenfest ist eines der besten und schönsten Literaturfeste in Deutschland, schon weil es wegen des klug gewählten Termins Ende August im Freien stattfinden kann und die Neuerscheinungen des Herbstes in dieser Zeit auch wirklich gerade neu erscheinen. So stellten in diesem Jahr, leider bei Temperaturen um die 15 Grad und regelmäßigen Regenschauern, neben vielen anderen Autorinnen und Autoren Jenny Erpenbeck, Sabine Friedrich und Hanser-Chef Jo Lendle ihre neuen Romane vor, Sibylle Lewitscharoff empfahl Dante-Übersetzungen zu dessen 700. Todestag (für Einsteiger: Philalethes, für Profis: Rudolf Borchardt), und es wurde viel diskutiert. Wegen der anhaltenden Pandemie waren sie alle, wie schon letztes Jahr, nicht im Schlossgarten zu erleben, sondern an verschiedenen Orten im Stadtgebiet.

Als Besucher stieß man deshalb immer wieder zufällig auf Performances des Figurentheaterfestivals, das vom Mai ebenfalls auf dieses Wochenende verlegt worden war. Diese etwas eigenartige Eventballung sorgte für interessante Begegnungen, wie später am Abend auf dem Altstädter Kirchenplatz, wo eine dieser gruselig gedachten Nachtwächterführungen für Touristen in eine avantgardistische Theaterperformance geriet. Während ein armer, verkleideter Laternenmann versuchte, im Regen unheimliche Atmosphäre zu erzeugen, verwüstete im Hintergrund eine Schauspielerin von der Berliner Künstlergruppe "Plastique Fantastique" unter einem riesigen aufblasbaren, hell erleuchteten Kegel ein Corona-Home-Office-Arbeitszimmer - wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Seziertisch, das der französischen Dichter Comte de Lautréamont formulierte.

Die Ausstellung "Aubergine mit Scheibenwischer" im Erlanger Stadtmuseum zeigt Zeichnungen des Dichters Oskar Pastior. (Foto: Erich Malter/Erlanger Poetenfest)

Ähnlich surrealistisch wie diese Szene im nächtlichen Erlangen sind auch viele Zeichnungen des 2006 gestorbenen Büchnerpreisträgers und Dichters Oskar Pastior, der dreimal beim Poetenfest aufgetreten war, und dessen zeichnerische Werke noch bis 19. September im Stadtmuseum zu sehen sind. Von den frühen Modezeichnungen aus Kinderhand bis zu den Picasso-artigen Kritzeleien, mit denen er seine Gedichte später oft illustrierte, fortdachte und karikierte. "Aubergine mit Scheibenwischer" heißt die Ausstellungen, aber man hätte auch jeden anderen der Bildtitel nehmen können, zum Beispiel "Gruppenbild mit Ampeln (vom Kongreß für kumulierten Verkehr)". Auch Oskar Pastior schien sich sehr dafür zu interessieren, was passiert, wenn zwei Dinge aufeinandertreffen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.

Am Freitagnachmittag, noch bevor die Radfahrer die Stadt einnahmen, ging es aber nicht nur um Literatur und Kunst im engeren Sinne. Die ehemalige taz-Chefredakteurin Bascha Mika, der Deutschlandfunk-Journalist Marcus Pindur und die angehende Diplomatin Theresa von Saldern diskutierten im Redoutensaal über feministische Außenpolitik, und auch dieses Zusammentreffen lief nicht ganz wie erwartet. Mika und von Saldern forderten eine Außenpolitik, die sich dezidierter nach den Sicherheitsbedürfnissen von Frauen und Mädchen richtet, das aktuelle Beispiel Afghanistan zeige, wie nötig das sei. Pindur mahnte dagegen zu Realpolitik, stimmte aber zu, dass mehr Frauen an Verhandlungstische gehörten.

Das Poetenfest versteht den Literaturbegriff als Debattenaufruf

Wie bei solchen Themen üblich, erhitzte sich die Debatte zwischen den drei Diskutierenden, die eigentlich grundsätzlich ähnlicher Meinung waren, bis niemand mehr wusste, wer genau jetzt welche Position vertritt und was ihm oder ihr von den anderen nur unterstellt wird. Pindur wurde zeitweise zur Zielscheibe von Argumenten gegen Positionen, die er gar nicht vertrat. Moderatorin Nana Brink musste ein paar unbelegte Behauptungen Mikas zurechtrücken. Am Ende blieb die Frage, die Mika schon in ihrem Anfangsstatement angesprochen hatte, wie und ob sich denn Frauen überhaupt als eine homogene, politische Gruppe fassen lassen und was eigentlich unter feministisch zu verstehen sei. Etwas unbefriedigend, aber trotzdem gelungen. Es ist eine der großen Stärken des Poetenfests, den Literaturbegriff als Debattenaufruf zu begreifen und auch solchen Themen und Diskussionen eine Bühne zu bieten.

Nächstes Jahr dann, inspiriert von der Konkurrenzveranstaltung, vielleicht mit einem Panel über Fahrräder? Die sind als klimaneutrales Verkehrsmittel inzwischen auch hochpolitisch. Und literarisch alles andere als ausgeschöpft. Notfalls kann man sie ja mit einer Nähmaschine oder einer Aubergine zusammenbringen und schauen, was passiert. Nur dann bitte ohne Regenschirm.

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