Pfingstfestspiele Salzburg:Überbordend

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Ende gut, alles gut: Nicola Alaimo als Figaro (links), Edgardo Rocha als Graf Almaviva und Cecilia Bartoli als Rosina. (Foto: Monika Rittershaus/dpa)

Rolando Villazón inszeniert Rossinis "Barbier von Sevilla" als Kintopp-Märchen. Mit der glänzenden Cecilia Bartoli und vielen - zu vielen - guten Einfällen.

Von Egbert Tholl

Der Anfang ist zauberhaft. Man sieht Cecilia Bartoli, die künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele, im Film. Zwanzigerjahre-Stummfilm-Kintopp, Bartoli als Piratin, Bartoli als Nonne in Nöten, als Jeanne d'Arc, als Kleopatra. Und schließlich die Ankündigung, brand new, "Once upon a time in Sevilla". Dazu tobt und tost die Ouvertüre, Gianluca Capuano treibt die Musiciens du Prince - Monaco unermüdlich an, entwickelt einen satten Sound, aber immer verbunden mit der filigranen Agogik einer historisch informierten Kapelle, extrem detailgenau. Was hier im Haus für Mozart aus dem Graben kommt, ist von Anbeginn bis zum Ende der Aufführung Stunden später ein Quell der Freude.

Im Zentrum der Pfingstfestspiele steht diese Neuinszenierung von Rossinis "Il Barbiere di Siviglia", und Bartoli macht sich selbst zum Geschenk, dass sie darin die Rosina singt und spielt. Rosina ist das Mündel des garstigen Bartolo (Alessandro Corbelli), der sie heiraten will und in einen Käfig sperrt. Doch Rosina begehrt den Grafen Almaviva, der sie liebt, und mit Figaros Hilfe klappt das dann auch. Normalerweise ist die Rosina ein junges, blühendes Mädchen, dank Bartoli ist sie nun eine blühende Frau. Cecilia Bartoli ist ein Phänomen, ihre Koloraturen perlen immer noch so leicht und präzise wie seit Jahrzehnten, ihre Energie versiegt nie. Und doch ist vielleicht der schönste Moment in dieser Aufführung jener, in dem man erspürt, dass hier eine Frau, die vom Leben schon viel gesehen hat, diesen viel jüngeren Kerl begehrt, der da vor ihrem Fenster Lieder singt. Da gibt es ganz kurz einmal ein hinreißendes Fluidum von einer Wehmut, die schnell verweht, weil es gleich wieder lustig wird. Und man kann Rosina gut verstehen, denn Edgardo Rocha ist wirklich ein prächtiger Rossini-Tenor. Und er glaubt, er sei Zorro. Basilio (Ildebrando D'Arcangelo), Bartolos Kumpel, schaut aus wie Nosferatu.

Alles spielt in einem Hollywood-Studio, und dann treten aus projizierten Filmen Figuren hervor

Schuld daran ist Rolando Villazón. Der in Salzburg unendlich verehrte Vielzweckkünstler inszeniert hier, ließ sich von Rocafilm mit dem für seine Umsetzung notwendigen Filmmaterial versorgen und von Harald B. Thor ein Filmstudio auf die Bühne bauen, Hollywood 1928 etwa. Hierin agiert der von Villazón hinzugeholte Arturo Brachetti als Hausmeister, Filmvorführer und Multifunktionsfaktotum; der Italiener steht im "Guinness-Buch der Rekorde" als schnellster Verwandlungskünstler, das merkt man. Auf die schönen Art-déco-Kulissen, die in diesem Studio herumstehen, projiziert er die Filme, aus denen die Figuren hervortreten, ein bisschen so wie in Woody Allens "Purple Rose of Cairo", nur dass dort die Menschen, die den Film verlassen, in die Realität des Zuschauers eindringen. Hier bleiben sie Bühnenfiguren.

Figaro (Nicola Alaimo) verhilft Rosina (Cecilia Bartoli) zum Liebesglück. (Foto: Monika Rittershaus/dpa)

Das funktioniert erst einmal fabelhaft. Im Film sieht man eine Mariachi-Band in einer Kneipe sitzen, schon kommt sie durch einen Spalt in der Kulisse auf die Bühne und begleitet den Grafen bei seinem Ständchen. Figaro rasiert Kunden in seinem Salon, kommt auf die Bühne, singt kurz, verschwindet wieder in den Film, seift ein Gesicht ein, kehrt zurück. Das ist alles hochvirtuos und präzise, ein Spiel mit Realitäten, der Hammerklavier-Spieler Andrea Del Bianco wechselt im Graben vom strengen Continuo-Spiel zur Stummfilmbegleitung, manches Filmmusikzitat weht auch im Orchester vorbei, alle Beteiligten strahlen eine ungemeine Freude aus, hier mitspielen zu dürfen.

Aber: Villazóns nie versiegender Quell der Einfälle wird bald zu einem kaum endenden Zustand, die Kinoidee zur Ausrede, alles Mögliche auf die Bühne zu bringen. Viele Ideen, Witze, Spiele mit Requisiten sind absolut brillant, doch von zu vielen davon schwirrt einem der Kopf, und die Geschichte geht verloren. Zum Finale des ersten Akts, der fast zwei Stunden dauert, kommen alle Filmkomparsen auf die Bühne, Römer, West-, Ost- und Mittelgoten, Frankensteins Monster schaut vorbei. Mittendrin: der herrliche Nicola Alaimo als fülliger Figaro. Doch fast geht er im überbordenden Treiben verloren.

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