Nachruf:Der Mann für die großen Träume

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Der Komponist Peter Thomas in Berlin im Jahr 2001. (Foto: imago)

Peter Thomas vertonte Hunderte von Filmen und TV-Produktionen. Das "Raum­patrouille"-Thema wurde sein unent­rinnbarer Klassiker. Jetzt ist er im Alter von 94 Jahren gestorben.

Von Tobias Kniebe

Peter Thomas, Komponist für Film und Fernsehen, Schlager und Musical, Bandleader und Soundbastler, Experimentator, Visionär, Berliner Schnautzen­träger und unermüdliches preußisches Arbeitstier, ist tot. Er starb in der Nacht zum Montag in seiner Villa in Lugano, im Alter von 94 Jahren, wie sein DVD-Vertrieb und ein befreundeter Produzent mitteilten. Eine traurige Nachricht für alle, die etwa sein unsterbliches Titelthema der Fernsehserie "Raumpatrouille" noch im Ohr haben. Und doch ist es bezeichnend, dass man sich auch in diesem Moment vor allem an die Leichtigkeit erinnert, die er persönlich ausstrahlte, die er feierte in seiner Musik, die er dem schweren Ernst entgegensetzte, der so vieles in diesem Land dominiert.

Die Welt des Peter Thomas, man konnte sie sich wie eine endlose, jeder Zeit entrückte Cocktailparty vorstellen. Elegante Location, viel Mahagoni und Milchglaslampen in Kugelformen, hinter Panoramascheiben liegt je nach Jahrezeit Kitzbühel, der Strand von St. Tropez oder der Luganer See. Davor stehen Brigitte Bardot und Gunther Sachs, er trägt einen weißen Rollkragen­pullover, sie trägt ihr Lächeln aus dem Jahr 1967. An der Bar sitzt eine einsame Frau mit riesiger Sonnenbrille, es muss eine dieser großen alten Diven sein, richtig: Zarah Leander. Und der Mann dort im zerknitterten weißen Anzug, der flammende Blicke durch den Raum schießt, das ist Klaus Kinski - aber niemand beachtet ihn, man weiß nur, dass er im Kino dauernd den Bösewicht spielt. George Clooney und Quentin Tarantino sind auch da und bringen einen Toast auf die Zukunft aus. Denn die, das spüren alle an diesem Abend, hat in diesem Moment ihre beste Zeit noch vor sich.

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Peter Thomas hat den Soundtrack zu dieser Party geschrieben. Seine Musik war von Anfang an eine Behauptung, die sich nicht beweisen ließ, aber ihre Thesen mit solcher Verve in die Welt hinausposaunte, dass schlichtweg kein Wider­spruch möglich war: Berlin kann genauso swingen wie New York oder Rio de Janeiro; nichts ist so idiotisch wie die Unterscheidung zwischen Kunst und Kommerz; wahre Coolness ist niemals eine Frage von Ort, Zeit oder Herkunft; und gute Musik kommt zwar in den Himmel, böse aber überall hin. In diesem Geist vertonte er Hunderte von Filmen und TV-Produktionen: Edgar Wallace, Jerry Cotton, Erich von Däniken, Francis Durbridge, Will Tremper - eben alles, was im Kino ging und im Fernsehen die Straßen leerfegte. Das "Raum­patrouille"-Thema wurde sein unent­rinnbarer Klassiker.

Thomas war das Beispiel einer durchgehend unpeinlichen deutschen Künstlerexistenz

Der Countdown mit Vocoder-Stimme, mit dem es beginnt, ist im Jahr 1966 eines der frühesten Zeugnisse des später weltbeherrschenden deutschen Elektrobastlertums - da spricht der Meister selbst in einen riesigen Verzerrungsapparat in den Kellerverliesen der Firma Siemens. Der treibende Bass, der dann losgeht, ist direkt aus Amerika importiert - oder besser gesagt aus dem legendären "Tabarin"-Club in München-Schwabing, wo schwarze GIs ihre Nächte durchtanzten und ein genialer Bassist am Werk war, den Peter Thomas sogleich in sein Studio verschleppte. Aber schon donnern vier Unisono-Posaunen los, auf dem Weg zu Galaxien, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat - sie sind ein Erbe der Familientradition: Der Großvater war noch Kapellmeister beim 4. Preußischen Garderegiment zu Fuß, der junge Thomas sog Bläsersätze und Marschmusiken schon mit der Muttermilch ein. Das militaristische Pathos jedoch wird sogleich wieder gebrochen, dies ist schließlich die Bundesrepublik in ihren Teenagerjahren, die Posaunen geben Ruhe und lassen ein Elektropiano ran, das auf Frauen in unfassbaren Bubiköpfen geradezu magische Wirkung hat: Sie folgen dem geheimen Befehl, ihre Hintern in Bewegung zu versetzen...

Für die Geschmacksrichter der Großkunst und die Gremien der Filmaka­demien war Peter Thomas nie ganz satisfaktionsfähig - die Muse, die ihn küsste, schien für fundamentale Anerkennung dann doch zu leicht. Es half auch nicht, dass seine Einnahmen bald so stetig sprudelten, dass er tatsächlich Villen in Lugano, Kitzbühel und St. Tropez erwarb, mit Gunther Sachs und Brigitte Bardot in den Sonnenuntergang starrte und die Kleingeister in der Heimat völlig aus dem Blick verlor. Klaus Doldinger, der für ihn in frühen Jahren manchmal das Saxophon blasen durfte, wurde später bekannter. Es mussten dann schon andere kommen, um klarzumachen, was für ein Titan hier unter uns geweilt hat: Jarvis Cocker von "Pulp" zum Beispiel, der in den Nullerjahren für ein Musikzitat bei ihm anfragte und es nicht fassen konnten, wie jung der Gesprächs­partner am anderen Ende der Leitung noch klang; oder ein Archivar wie, ja tatsächlich, Quentin Tarantino, der zur selben Zeit in seinem uferlosen Vinylarchiv auf eine paar Melodien stieß, die er dann seinem Kumpel George Clooney für dessen Regiedebut dringendst ans Herz legte. So kommt es, dass der ganze Anfang des Films "Confessions Of A Dangerous Mind" mit Musik von Peter Thomas bestückt ist - und zwar exakt in jener Form, wie sie vierzig Jahre zuvor aufgenommen wurde.

Ja, Peter Thomas war einer der größten Komponisten populärer Musik, die wir hatten - das Beispiel einer durchgehend unpeinlichen deutschen Künstlerexistenz und ein Vorbild für alle, die entschlossen sind, sich über die Grenzen dieses kleinen sicheren Landes hinauszuträumen und doch nicht gleich jenseits des großen Teichs ihr Glück zu versuchen. Die Unsterblichkeit seiner besten Melodien trägt eine Lehre in sich, die man sich gar nicht oft genug zu Herzen nehmen kann: Dass das wirklich Visionäre und Bleibende oft eben nicht aus verquälter Anstrengung, zelebriertem Großkünstlertum und verbissener Autorschaft entsteht, sondern genauso aus leichter Routine, elegantem Handwerk und spontanem Irrsinn zwischen zwei Terminen - wenn der letzte Erotikschinken gerade vertont ist und die Deadline für den nächsten Edgar-Wallace-Film einem schon wieder im Nacken sitzt.

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