Geschichte des Parfüms:Eau de Krieg

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Schachmatt - so heißt der neue Kampfjet der russischen Armee. Aber wie soll daraus ein Geruch, geschweige denn ein betörender Duft entstehen? (Foto: Leonid Faerberg /imago images/Russian Look)

Wie riecht ein Düsenjäger-Parfüm? Und welche Eaux de Toilette gab es zu Sowjetzeiten? Auf Spurensuche in Sankt Petersburg.

Von Sonja Zekri

Die Eröffnung ist grell, zitrisch, ein Feuerwerk aus Grapefruit und Vetiver. Nach einer Weile folgen Wacholder und eine Spur Koriander, alles sehr hell, sehr grün. Dieses Parfüm ist ein Wachmacher, duftgewordenes Adrenalin. Zwei Stunden später, die Unruhe hält an. Die Basisnote ist krautig-vital, was irgendwann anstrengend wird, fast ein bisschen sägend. Ist das der "technogene Akkord", von dem bei der Ankündigung von "Checkmate" die Rede war?

"Checkmate", Schachmatt, ist das wahrscheinlich erste Parfüm zu Ehren eines Kampffliegers und zwar des gleichnamigen Stealth-Bombers aus dem Haus des russischen Staatskonzerns Rostec. Damit stellt sich natürlich die Frage: Wann trägt man es? Vor dem Einsatz? Nach dem Einsatz? Stattdessen?

Oxana Tschernyschewa ist Synästhetikerin, sie sieht Gerüche als Farben

Über solche Aspekte hat sich Oxana Tschernyschewa, der Kopf hinter dem Duft, noch nie Gedanken gemacht. Zum Treffen hat sie in eine Sankt Petersburger Galerie am Marsfeld geladen, wo sie Meisterklassen für angehende Parfümeure gibt. Seit acht Jahren ist sie im Geschäft und leitet in Sankt Petersburg die "Gilde der Parfümeure", ein Unternehmen für Nischendüfte. Der Name klingt nach Großlaboren voller Virtuosen, dabei besteht es im Wesentlichen aus Tschernyschewa und einer Handvoll Mitarbeiter.

So riecht er nicht, aber so sieht er aus, der Duft: "Checkmate" mit schwarzem Pferdekopf (Foto: Alexander Utkin)

Oxana Tschernyschewa ist Synästhetikerin, also neurobiologisch spezialbegabt. Sie sieht Gerüche als Farben, manchmal organisiert sie Veranstaltungen, in denen sie musikalische Noten und Parfüm-Akkorde zusammenbringt. Als sie mit ihrem Vorschlag zu "Checkmate" an die Rostec-PR-Agentur herantrat, habe sie das Bild eines wolkenlosen blauen Himmels im Kopf gehabt, Klarheit, Sonne, tiefer Frieden. - Aber es handelt sich doch um ein Kampfflugzeug? "Schon. Nur war mir das am Anfang überhaupt nicht klar. Mir gefiel die Leichtigkeit des Flugzeugs, sein silbriger Schimmer, seine Wendigkeit. Die Form ist weder männlich noch weiblich. Ich dachte tatsächlich, es ist ein Privatjet."

Nun ist die Sukhoi S-75 Checkmate ein Kampfflugzeug, wie es nur je eines gegeben hat, ein Jet der fünften Generation, randvoll mit digitalem Hightech und Künstlicher Intelligenz. Die S-75 fliegt mit der Geschwindigkeit Mach 2, ist für das Radar unsichtbar und mit 30 Millionen Dollar deutlich günstiger als die Konkurrenzprodukte aus den USA, Frankreich oder Schweden. Wenn sie mal zu haben ist.

Denn noch ist alles Entwurf, alles Versprechen, alles Werbung, auch und vor allem Oxana Tschernyschewas Duft. Mitte November hat Rostec die S-75 auf der Dubai Airshow International präsentiert, produziert wird sie frühestens im nächsten Jahr. Das Parfüm war ein originelles Give-Away für die Kunden am Golf, was einerseits dazu führte, dass Tschernyschewa mit einem alkoholfreien Trägerstoff arbeiten musste, aus Rücksicht auf die arabischen Gastgeber. Im christlichen Abendland wiederum bietet der Flakon mit dem mahagonischwarzen Pferdekopf - der Springer beim Schach - bislang noch keine Lösung für die schwierige Suche nach Weihnachtsgeschenken für Ihn.

Der Werbespot klingt eher nach grimmiger Putin-Rhetorik als nach leichtem Duft

Dabei haben sich die Auftraggeber um Breitenwirkung bemüht. Tschernyschewa hatte zwei Düfte entworfen, "beide kühl, beide mit einer gewissen Schärfe", aber einer sei deutlich wilder gewesen, "ein Hooligan": "Für diesen Duft hätte man Mut gebraucht." Rostec habe sich für die "politisch korrektere Variante" entschieden. Dreimal habe sie ihr Werk dann noch überarbeiten müssen, um es gefälliger, glatter, weiblicher zu machen. Der militärisch-industrielle Gigant Rostec, den Putin 2007 selbst geschaffen hatte, wünschte sich ein Unisex-Parfüm.

Der Werbespot für "Checkmate" klingt, zugegeben, bedrohlicher, mehr wie eine Putin-Rede zur Ukraine-Krise: "Wo die meisten zaudern, gibt es eine Handvoll, die die Welt verändern. Wo die meisten nach den Regeln spielen, schreiben einige die Regeln neu." Aber in den sozialen Medien gab sich Rostec durchaus sinnlich und lobte die Anklänge des Parfüms an Metall, Glas und Leder, also: an das Cockpit des Jets. Nur ist von diesem "technogenen Akkord" auch nach einer Stunde nichts zu erkennen. "Glas allein hat natürlich keinen Geruch", gibt Tschernyschewa zu: "Die Mischung der Komponenten lässt eine Vorstellung von Kälte, Transparenz, Zerbrechlichkeit entstehen, also von Glas." Also doch noch mal hinriechen? Nein, immer noch kein Cockpit. Nicht mal ein kleines Seitenfenster.

"Checkmate" ist Tschernyschewas aktuellster Beitrag zur Tagespolitik, aber nicht ihr erster historisch-politischer Duft. Das Russische Museum in Sankt Petersburg brachte 2017 eine Serie zum 100. Jahrestag der Revolution heraus. Tschernyschewa steuerte eine frische Kombination mit dem Titel "Wassilij Kandinskij" bei, die sie als Abfolge von Grün zu Gelb zu Blau beschreibt, für Nicht-Synästhetiker: eine Entwicklung von Limone zu Damaszener Rose zu Veilchen und Amber. Ihren zweiten Duft widmete sie dem Dichter Wladimir Majakowski, es war eine warme, wohlige Mischung aus Leder und Schokolade, die vor allem junge Frauen schätzten. Beiträge von Kollegen trugen Namen wie "Anarchist" oder, nach einem Majakowski-Gedicht, "Genosse Mauser".

Ein Vierteljahrhundert Soldatenduft: Im Sowjetischen Parfümuseum in Moskau wird ein Flakon mit "25 Jahre Rote Armee" ausgestellt (Foto: imago stock&people)

Düfte zu Waffen sind in Russland also nicht ganz neu, solche zu Fluggeräten auch nicht. Die frühe Sowjetunion legte einen Hauch "Panzer" auf oder eine Spur "Stratostat", zu Ehren eines besonders leistungsstarken Fesselballons.

Ohnehin wurden Gerüche als Zugang zur russischen Geschichte lange unterschätzt. In diesem Jahr hat der Historiker Karl Schlögel sein Buch "Der Duft der Imperien" herausgebracht. "Jede Zeit hat auch ihr eigenes Aroma, ihren Duft, ihren Geruch", schreibt er darin: "Im Tropfen eines Parfums kann die ganze Geschichte des 20. Jahrhunderts enthalten sein."

Die ersten Parfüms in der UdSSR hießen "Neuer Alltag" oder "Spartakiade"

Schlögel erzählt die schicksalshafte Verbindung zwischen dem berühmtesten Duft der westlichen Welt, Chanel No 5, und dem berühmtesten Duft der Sowjetunion, Rotes Moskau. Beide gingen auf eine Komposition französischer Parfümeure im Zarenreich zurück, nur ging der eine, Ernest Beaux, nach der Revolution nach Frankreich und traf Coco Chanel, während der andere, Auguste Michel, in Russland blieb, die sowjetische Parfümindustrie aufbaute und das Rote Moskau schuf.

Wie Lyrik, wie Malerei, wie alle Kultur waren Parfüms und Hygieneprodukte in der Sowjetunion keine Privatsache, sondern politisches Bekenntnis, Instrumente des Aufbruchs, auch wenn es anfangs um Basales ging. Die befreite Arbeiterklasse brauchte kein Eau de Toilette, sondern Seife, die Volksseife "Narodnoe" für eine Kopeke oder, genau: "Oktober".

Die Wohlgerüche von einst waren verräterisch geworden, Indiz für die falschen Klassenzugehörigkeit so wie Brillen oder saubere Fingernägel. Bereits in den freieren Zwanzigerjahren aber wollten Diplomatengattinnen und Geliebte der roten Aufsteiger nicht mehr riechen wie die Genossinnen in der Fabrik. Ein erster Markt für Kosmetika entstand, der sich in einer Art Mimikry mit sozialistischen Schlüsselbegriffen tarnte: "Neuer Alltag" und "Spartakiade", hießen diese Düfte, "Goldene Ähre", "Unsere Antwort an die Kolchosbauern" und nach einem Prestige-Projekt Stalins, bei dem 50 000 Menschen starben, "Weißmeer-Kanal".

Oxana Tschernyschewa kennt die Wechselwirkung von Kosmetik und Ideologie, über die Parallel-Geschichte des Roten Moskau und Chanel No 5 würde sie gern einen Film drehen. Russlands Parfümeure verdienten größere Wertschätzung, findet sie. Wer wisse schon, dass die Parfümeure in der späten Sowjetunion - im Westen undenkbar - eine Serie mit echtem Amber und echtem Moschus planten? Aber dann brach das Riesenreich zusammen, ausländische Düfte schwappten ins Land wie Gülle, leichte, eingängige Noten, die Tschernyschewa "billigen Mist" nennt, minderwertig im Vergleich zu den schwereren sowjetischen Erzeugnissen: "Es war Schund, aber wir wollten es", sagt Tschernyschewa: "Wir waren ja auch roten Kaviar leid."

Inzwischen seien die russischen Kundinnen geschmackssicherer geworden, auch anspruchsvoller, sagt sie, und der Markt hochdynamisch. "Zu den 200 unabhängigen Duftkreateuren in Russland kommen jedes Jahr zehn dazu. Und zwanzig gehen ein." Um ihre liebevoll gestalteten Duftspaziergänge durch Sankt Petersburg herauszubringen, muss sie sich mit Bürokratie, Bevormundung und dann noch mit der Pandemie herumschlagen. Mancher glaube, mit Düften lasse sich schnelles Geld verdienen. Dabei sei es ein hartes Geschäft, hart wie die Hülle eines Kampfjets. Der lukrative Auftrag von Rostec kam keine Minute zu früh.

Auf Sankt Petersburg senkt sich frühe Dunkelheit. Der erste Schnee des Jahres weht in schweren Wolken über Straßen und Kanäle. Es ist ein unvergesslicher Duft, der bei russischen Dichtern Erinnerungsblitze auslöst wie Madeleines und Lindenblütentee bei Marcel Proust. Einer von ihnen, Aminand Schpoljanski, genannt Don Aminado, schrieb: "In der Welt gibt es nur einen Geruch / Und in der Welt gibt es nur eine Wonne / Das ist der russische Winter zur Mittagszeit / Das ist der russische Geruch des Schnees."

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