So beginnt der Tag eines Papstes: Wecken um 6.45 Uhr, Privatmesse, Frühstück, dann geht Benedikt XVI. ins Arbeitszimmer, wo bereits seine Privatsekretäre, der Deutsche Georg Gänswein und der Malteser Alfred Xuereb, auf ihn warten. Die schweren Türen schließen sich, denn was jetzt verhandelt wird, ist Geheimsache.
Das heißt so geheim auch wieder nicht. Denn gerade ist im Mailänder Verlag Chiarelettere das Buch "Sua Santità" (Seine Heiligkeit) mit dem Untertitel "Die Geheimpapiere von Benedikt XVI." erschienen. Ein Maulwurf hat dem Journalisten Gianluigi Nuzzi ein ganzes Dossier von Dokumenten zugespielt, die nicht nur Einblicke ins Innenleben des Regierungsalltags eines Papstes ermöglichen, sondern auch interne Konflikte oder diplomatische Hintergründe ausleuchten.
Zum Beispiel wie sich der Heilige Vater über Bundeskanzlerin Angela Merkel beschwerte. Der Papst hatte Anfang 2009 die Exkommunikation von vier traditionalistischen Bischöfen der von Marcel Lefebvre gegründeten Piusbruderschaft zurückgenommen. Dass einer von ihnen kurz zuvor den Holocaust geleugnet hatte, war ihm wohl entgangen. Es kam zu internationalen Protesten gegenüber der "unklaren Haltung des Vatikans" in der Judenfrage, denen sich auch die Bundeskanzlerin anschloss.
Die Reaktion des Nuntius in Berlin, Jean-Claude Périsset, gegenüber "dieser Meinungsäußerung von Frau Merkel" fiel Benedikt viel zu schwach aus. In einer Notiz schrieb er: "In Wirklichkeit wäre ein klares Wort des Protests gegen diese Einmischung in innere Fragen der Kirche nötig gewesen." Ungehalten zeigte er sich zudem über einen Vertrauten wie Karl Kardinal Lehmann, der ebenfalls den Heiligen Stuhl in dieser Frage angegriffen hatte.
Sachlich und ohne Häme
Gianluigi Nuzzi, ehemaliger Mitarbeiter von Zeitungen wie dem konservativen Corriere della Sera und dem populistischen Libero, hatte bereits vor einigen Jahren in dem Buch "Vatikan AG" (auf Deutsch bei Econ) das wirtschaftliche Innenleben des Kirchenstaates analysiert. Diesmal greift er unter anderem ein der Öffentlichkeit nicht bekanntes Treffen zwischen dem Papst und dem italienischen Staatspräsidenten auf, beschäftigt sich mit dem Fall Dino Boffo, der wegen angeblicher homosexueller Ausschweifungen sein Amt als Chefredakteur der Bischofszeitung Avvenire verloren hatte (inzwischen aber wieder rehabilitiert wurde). Oder mit Dokumenten über Marcial Maciel und dessen Kongregation der Legionäre Christi.
Nuzzi erzählt anhand von Unterlagen, die er teilweise auch im vollen Wortlaut veröffentlicht, sachlich und ohne die Häme, die man gelegentlich in Veröffentlichungen über den Vatikan findet. Es entsteht das Bild eines Papstes, der mit vielen kleinen Schritten versucht, Konflikte innerhalb der Weltgemeinschaft der katholischen Kirche zu lösen und ihre verschiedenen Strömungen zusammenzuhalten. Wobei es aber immer wieder zu Pannen in der Vatikan-Bürokratie kommt und Figuren wie Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone eine undurchsichtige Rolle spielen.
Kommission soll "Vatileaks"-Quelle aufdecken
Bereits in den vergangenen Monaten waren aus dunklen Quellen des Vatikans Dokumente an die Öffentlichkeit gelangt. Über innere Intrigen etwa um den ehemaligen Generalsekretär des Governatorats der Vatikanstadt Carlo Maria Viganò. Viganò wurde im Oktober 2011 als Nuntius in die USA "abgeschoben" (wie es die Medien interpretierten), nachdem er die Kassenführung des Vatikans allzu gründlich von Unregelmäßigkeiten gesäubert hatte und dabei einigen hohen Prälaten kräftig auf die Füße getreten war.
Inzwischen hat der Vatikan eine Kommission unter dem Kapuziner Luigi Martignani eingesetzt, die herausfinden soll, auf welchen Wegen diese "Vatileaks" überhaupt in die Öffentlichkeit geraten konnten. Mit der Buchveröffentlichung von Gianluigi Nuzzi hat Pater Martignani jetzt richtig Arbeit bekommen. Und die italienischen Gerichte ebenfalls. Denn der Heilige Stuhl hat angekündigt, wegen des "Diebstahls" von Dokumenten und wegen "Hehlerei" eine Anzeige einzureichen.
Auch die Kontonummer des Papstes bei der Vatikanbank IOR ist in "Sua Santità" nachzulesen. Aber es ist viel eindrucksvoller, Benedikt XVI. oder seinem Sekretär einen Scheck zu schicken, wie es ein bekannter Mailänder Banker (100.000 Euro) machte - oder ein ebenso bekannter römischer Fernsehjournalist (10.000 Euro für "Almosen"), der denn auch gleich "Bruder Georg" fragte, ob er nun endlich eine Privataudienz bekäme. Auf dem im Buch veröffentlichten Faksimile des Schreibens kann man den Stempel mit dem Sichtvermerk sehen: "Visto dal Santo Padre, 24 Dic 2011". Sogar an Heiligabend muss der Heilige Vater sich mit solchen profanen Dingen beschäftigen.