Kunst und Politik:Was ist denn das für ein Nebel?

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Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem Kabinett bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (M.) in Schloss Bellevue. Im Hintergrund Gotthard Graubners Gemälde. (Foto: AFP/Odd Andersen/VG Bild-Kunst, Bonn 2021)

Der neue Bundeskanzler nimmt seine Ernennungsurkunde im Schloss Bellevue entgegen - vor abstrakt-veilchenfarbener Kulisse.

Von Kito Nedo

Wenn es im Schloss Bellevue feierlich zugeht, dann geschieht dies oft vor einer abstrakt-veilchenfarbenen Leinwand, die mit den Maßen von sechs mal sechs Metern einem riesigen, voluminösen Kissen ähnelt. So war es auch am Mittwoch, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zuerst dem neuen Kanzler Olaf Scholz seine Ernennungsurkunde überreichte und später auch den frisch vereidigten Ministerinnen und Ministern der Ampel-Koalition.

Der kunst- und kulturaffine Richard von Weizsäcker war es, der Ende der Achtziger den Düsseldorfer Maler Gotthard Graubner (1930-2013) mit der Realisierung von zwei wandfüllenden Großformaten für den großen Speisesaal im Schloss Bellevue beauftragte. Im Frühjahr 1989 wurden die beiden Riesenkissen mit dem Titel "Begegnungen" im Schloss installiert. Seither sorgen die erhabenen Graubner-Kissen (der Künstler nannte sie lieber "Farbraumkörper") dafür, dass die vom jeweiligen Bundespräsidenten ausgerichteten Empfänge, Konzerte, Ordensverleihungen oder Staatsbankette immer kulturell gediegen, manchmal aber auch leicht psychedelisch wirken. Das Gegenstück zu dem violetten Farbnebel, der häufig in den Nachrichten auftaucht, ist eine ebenso große Abstraktion an der gegenüberliegenden Wand. Sie schafft es aber nur selten ins Fernsehen. Liegt es vielleicht daran, dass hier die Farbe Gelb in weniger appetitlichen Nuancen die Hauptrolle spielt?

Das Spiel mit Licht und Farbe machte Graubner in den Augen mancher Kritiker zum postmodernen Wiedergänger der Romantik

Farbe, Licht und Raum - diese drei Elemente bestimmen die Kunst Graubners, der für seine Farbsensibilität gerühmt wurde. Eimerweise brachte der Maler sein Material auf die Leinwände. Zu seinem Arbeitsgerät gehörten nicht nur Pinsel, sondern Wischgeräte, sogenannte Rakeln oder Schwämme. Das geschickte Spiel mit Licht und Farbe machte den Vertreter der Nachkriegsmoderne in den Augen mancher Kritiker zum postmodernen Wiedergänger der Romantik. Eine Assoziation, die Graubner, der Caspar David Friedrich bewunderte, sicher auch gefiel. Graubners Farbnebel-Bilder wurden hingegen oft mit denen von Friedrichs Zeitgenossen, dem Briten William Turner, verglichen.

Der Künstler Gotthard Graubner malte im Auftrag von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zwei großformatige Bilder für den Speisesaal von Schloss Bellevue. (Foto: Horst Ossinger/Picture Alliance / dpa)

Geboren im sächsischen Vogtland, siedelte der Künstler als junger Mann 1954, lange vor dem Bau der innerdeutschen Mauer, von Dresden nach Düsseldorf über, wo er sein im Osten begonnenes Kunststudium beendete. Anschließend gelang ihm eine bundesdeutsche Musterkarriere. Zweimal, 1968 und 1977, nahm der Maler an der Documenta teil, 1982 stellte er im deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale aus. Von Mitte der Siebziger bis Ende der Neunziger arbeitete er als Professor an der staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Seine berühmteste Schülerin ist die heute international gefeierte Berliner Malerin Katharina Grosse. "Ich benutze die Farbe nicht als Illustration von literarischen Themen, Farbe ist mir selbst Thema genug", pflegte Graubner zu sagen. Für die nun startende Ampel-Koalition gilt das Gegenteil. Sie muss mit den Mitteln der Politik Antworten auf die drängenden Krisen und Themen der Gegenwart finden. In den Untiefen der politischen Farbenlehre darf sie sich nicht verlieren.

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