Oberammergau:Vor den Seuchen gibt's kein Fleuchen

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Warmlaufen für das nächste Jahr: Wer bei der Passion eine große Rolle spielt, ist wie Rochus Rückel (vorne) auch schon in diesem Sommer beim Pestspiel dabei. (Foto: Andreas Stückl)

Wie es lange Tradition ist, wird ein Jahr vor der Passion stets das Pestspiel aufgeführt. Spielleiter Christian Stückl erzählt von der Herausforderung, immer wieder einen neuen Zugang zum Text zu finden

Von Christiane Lutz

Christian Stückl kennt die Geschichte, um die es hier geht, in- und auswendig. Dementsprechend rasant kann er davon erzählen, was sich vor rund 400 Jahren in Oberammergau ereignet hat. Besser: ereignet haben soll. Denn wirklich historisch belegt ist nur so viel, dass 1633 das Gelöbnis entstand, alle zehn Jahre die Passion aufzuführen, wenn der liebe Gott Oberammergau von der Pest erlöse.

Es heißt, und da beginnt auch die Legende, dass ein Mann namens Kaspar Schisler im Nachbarort als Tagelöhner gearbeitet habe und während des Kirchweihfests nach Oberammergau zu seiner Familie zurückkehrte. Oberammergau hatte ein Pestfeuer angezündet, das Reisenden signalisierte, dass der Ort von der Seuche schon betroffen war. Ein Trick, denn Oberammergau war bis dahin verschont geblieben. Nach Schislers Besuch jedenfalls starben 84 Menschen an der Pest, es herrschte Chaos im Dorf, Priester beschworen einen wütenden Gott, den es zu besänftigen gilt. Am Ende stand das Passionsversprechen, das Gelöbnis, nach dem der Legende nach kein einziger Mensch mehr an der Pest starb. Seit 1933 wird im Jahr vor der Passion in Oberammergau das Pestspiel aufgeführt, die Geschichte der Passion, sozusagen. Da Stückl seit 1987 Passionsspielleiter ist, ist er automatisch auch Pestspielleiter. 2020 wird seine vierte Passion, 2019 seine vierte Pest. Es kann eine Last sein, immer wieder das Gleiche machen zu müssen.

"Ich hab zum Glück sehr viel vergessen von dem, was ich früher gemacht habe", sagt Christian Stückl, "ich fange also jedes Mal wieder von vorn an." Damit meint er auch, dass sich in den zehn Jahren, die jeweils zwischen den Inszenierungen liegen, nicht nur die Welt massiv verändert, sondern auch er sich verändert hat. Bei seinem ersten Pestspiel 1989 beispielsweise gab es erst mal Ärger, weil der frisch amtierende Passionsspielleiter Christian Stückl, damals 26, beherzt in die Textvorlage von Leo Weismantel eingegriffen hatte, zu beherzt für manche Traditionalisten. Zu schwer ist es ihm gefallen in einer Zeit, in der Aids überall Thema war, auf der Bühne davon zu erzählen, dass jede Krankheit praktisch eine direkte Strafe von Gott für ein sündiges Leben sei. Per Unterschriftenliste wurde damals Stückls Abwahl gefordert. Er blieb.

Das "Heilige", das über dieser Geschichte schwebt, macht ihm das Inszenieren dieses Stoffes nach wie vor schwer. Dass ein Gott böse sei und man ihn durch ein Versprechen wieder besänftigen muss. "Das ist doch von unserem heutigen Gottesbild meilenweit entfernt", sagt Stückl. Er ist nur am Telefon zu erreichen, auf dem Sprung zum Kirchentag nach Dortmund, wo er auftreten muss. "Gerade am Ende des Textes bin ich gestern wieder fast verzweifelt. An der Stelle, wo der Text erzählt, dass man Gott wieder finden muss, dass wir ihn brauchen. Gegen diese Heiligkeit versuche ich anzuinszenieren."

Frömmigkeit kennt Stückl natürlich. Als Kind fragte er einst seinen Großvater, ob der nicht im Weltkrieg verzweifelt sei an diesem Gott. Der Großvater erzählte ihm, wie dessen Vater wiederum einst, es hatte die ganze Ernte verhagelt, den Christus aus dem Herrgottswinkel riss, mit der Figur hinaus rannte aufs Feld und rief: "Da schau, was du angerichtet hast" - und den Jesus hinschmetterte. Nur um ihn am Abend reumütig zurück ins Haus zu holen. Das beeindruckte Stückl so, dass er bei seiner ersten "Pest" ein Kreuz zerdeppern ließ, was auch nicht so gut ankam.

Aber es bleibt ihm ja nichts, als sich immer und immer wieder in diese Geschichte hineinzugraben auf der Suche nach einer Version, die er aufrichtig erzählen kann. Der Text von Leo Weismantel ist längst ersetzt durch einen von Martin F. Wall, einst Dramaturg in Oberammergau, der wiederum wird von Christian Stückl streng geprüft, umgeschrieben, angepasst. Mehr Weltlichkeit, etwas weniger Heiligkeit. Diesmal hat er ein Stück im Stück eingeschrieben, in dem sich Gott über die Menschen aufregt. "Ich will von einem Dorf erzählen, das nicht darauf wartet, dass die Pest kommt", sagt Stückl. "Dann ist sie plötzlich da und jeder geht anders mit der Katastrophe, mit dem Tod um."

Davon abgesehen gibt es ja noch immer genug Tradition bei den diesjährigen Pestspielen. Wie die Tatsache, dass seit jeher die Schauspieler, die bei der Passion eine große Rolle spielen, sich bei der "Pest" quasi warmlaufen. Maximilian Stöger spielt den Kaspar Schisler - und kommendes Jahr den Kaiphas. Jesus-Darsteller Rochus Rückel ist diesmal der Totengräber, Barbara Schuster, eine der Maria Magdalenas, spielt Schislers Ehefrau. Bühne und Kostüm stammen diesmal wieder von Stefan Hageneier. Ein düsterer Ort im Frühbarock soll es werden, sagt Stückl, ein Ort mit vielen Räumen. Und auch Musik wird es geben, auch wenn ein Theaterstück über eine Seuche nicht gerade danach schreit, musikalisch untermalt zu werden. Markus Zwink ist zuständig und sagt, er habe eine "hoffnungsvolle" Musik geschrieben. Er kenne sich gut aus in der Musik des Frühbarock und hat sich davon inspirieren lassen.

"Wahrscheinlich", sagt Christian Stückl noch, "war es damals gar nicht jener Kaspar Schisler, der die Pest ins Dorf gebracht hat." Schisler taucht in keinem Sterbe- und Taufbuch des Ortes auf.

Stückls Familie hingegen schon, damals die "Stikhels". Aber um historische Wahrheit geht es ja nicht am Passionstheater Oberammergau. Sondern ums gemeinsame Spielen, ums Gefühl.

Die Pest ; Premiere am Freitag, 28. Juni, 20 Uhr, Passionstheater Oberammergau

© SZ vom 27.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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