NS-Rüstungsbunker Mühldorf:Das Schandmal

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In Oberbayern ließen die Nazis 2249 KZ-Häftlinge beim Bau eines Rüstungsbunkers ermorden. Warum lassen Behörden zu, dass der potentielle Gedenkort vom Wald überwuchert wird?

Rudolf Neumaier

Und hier, in der tiefen oberbayerischen Provinz, sollen die Nazis etwa 8300 Menschen gequält haben? Sollen sie 2249 Frauen und Männer vernichtet haben? Sollen sie mindestens 2249 in einem Massengrab verscharrt haben? Heute, 65 Jahre danach, ist nicht mehr viel zu sehen von diesem monumentalen Terror. Wer auf der Staatsstraße von Mühldorf nach Waldkraiburg fährt, an diesem Wald entlang, der Mühldorfer Hart heißt, kann nicht einmal ahnen, was sich hier in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs abgespielt hat. Nicht ein Schild weist darauf hin.

Der letzte Bunkerbogen des NS-Fliegerbunkers bei Mühldorf an der Inn. (Foto: DPA)

Im Frühjahr 1944, als längst klar war, wer den Krieg gewinnen und wer ihn verlieren würde, klammerte sich das deutsche Reichsluftfahrtministerium an das Düsenflugzeug Me 262. Es sollte das Blatt wenden. Die Nationalsozialisten begannen, im Mühldorfer Hart eine Rüstungsfabrik gigantischen Ausmaßes zu errichten. Sie war als ein 400 Meter langer Bunker mit einer Höhe von 32 und einer Sohlenbreite von 85 Metern angelegt. 400 Meter - das entspricht der Länge von vier Fußballfeldern. 8300 jüdische KZ-Häftlinge und mehr als 1700 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter mussten unter Aufsicht der SS aufgeteilt in zwei Schichten rund um die Uhr arbeiten.

Was die Nationalsozialisten als Vernichtung durch Arbeit bezeichneten, sieht man - wenn man ihn findet - am letzten Bunkerbogen, der noch steht. Die Amerikaner ließen nur diesen einen stehen, als sie die Anlage 1947 sprengten. Innerhalb von neun Monaten hatten die NS-Sklaven sieben dieser monströsen Bögen errichtet. Es gab Häftlinge, die vor Erschöpfung in den Mörtel fielen und eingemauert wurden. Die anderen Toten verscharrte man in einem Massengrab. Manche Männer wurden erschossen oder auf dem Prügelbock erschlagen. Nach dem Krieg ließen die Amerikaner die Leichen ausgraben und nach Mühldorf bringen. Die Mühldorfer, die von all dem in ihrem Wald nichts mitbekommen haben wollten, mussten sich die Toten ansehen.

Der Hart ist heute ein Naherholungsgebiet für die Einwohner der Städte Mühldorf und Waldkraiburg mit zusammen 42000 Einwohnern. Die Leute joggen und flanieren hier. Für viele scheint es ein Wald wie jeder andere zu sein, der Wald, der die Ruine des Bunkers, das Massengrab und das Lager beherbergt, in dem die Häftlinge in Erdhütten hausten. Ein paar Bürger aber kämpfen dagegen, dass seine Geschichte vergessen wird. Sie haben einen Verein gegründet, an den Waldwegen Stelen errichtet, die an die Schauplätze des NS-Terrors erinnern, und nie aufgehört zu insistieren. Sie wollen das Bunkergelände erhalten. Als Mahnmal. Überlebende sollen sehen, dass ihrer Leiden gedacht wird. Und Schulklassen sollen erleben, dass der Naziterror nicht nur fernab in Konzentrationslagern stattfand, sondern überall - auch in der oberbayerischen Provinz.

Im Herbst saßen diese engagierten Bürger vom "Verein für das Erinnern" wieder einmal desillusioniert im Nebenraum eines Mühldorfer Gasthauses. Eine Stunde lang hatte ihnen gerade ein Beamter aus dem Kultusministerium erläutert, wie schwierig und verzwackt und kompliziert doch alles sei. Das wissen sie selbst, dennoch bekommen sie seit Jahren nichts anderes zu hören.

Immerhin, ein Bunkerbogen steht noch. Zu Beginn der Neunziger Jahre gab es Überlegungen, ihn einzuebnen. Die Bundesvermögensverwaltung ist per Kriegsfolgegesetz dafür verantwortlich, dass von den Baurelikten des Krieges für die Bevölkerung keine Gefährdung ausgeht. Also wollte sie kurzen Prozess machen: sprengen. In der Tat ist das Gelände nicht ungefährlich. Aus dem Boden ragen die knöchelhohen und rostigen Reste der gekappten Stahlstangen, und wer nicht auf der Hut ist, kann leicht in eine der mehrere Meter tiefen Spalten stürzen, die zwischen den Betonblöcken klaffen. Die Kosten für das Schleifen der Ruine und eine Einzäunung würden in die Millionen gehen. Für das Geld ließe sich der Bunker auch anders sichern - und zu einer Gedenkstätte verwandeln, die der Geschichte des Areals angemessen wäre. Das war schon Mitte der Neunziger klar.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum noch nichts geschehen ist.

Im Januar 2000 meldete der Mühldorfer Anzeiger, demnächst werde das Staatliche Hochbauamt das Gelände einzäunen. Im Juli 2000 stand in der Zeitung, die "Gedenkstätte im Bunkergelände im Mühldorfer Hart nimmt weiter Gestalt an". Im Dezember 2007 teilte das bayerische Kultusministerium mit, der "Gedenkort für das ehemalige KZ-Außenlager bei Mühldorf nimmt konkrete Formen an". Der Staatssekretär Marcel Huber sagte damals, er könne sich "Lösungen mit Sichtachsen vorstellen. Dazu brauchen wir zeitnah eine präzise Planung der Zugänglichkeiten auf dem weitläufigen Gelände."

Zeitnah? Im März 2011 steht kein Zaun. Es gibt keine Gedenkstätte, und es fehlt eine präzise Planung. Allein ein paar Schilder warnen diejenigen, die durch das Gestrüpp zum Bunker finden, vor den Gefahren. Der Wald erobert sich das Gelände zurück. Es wächst zu. Sichtachsen? Wer heute auf dem Gelände steht, braucht Phantasie, um die Ausmaße dieses wahnsinnigen Projektes noch zu erfassen. Der Bunker wird zum Bodendenkmal. Aber Bodendenkmal? Der Begriff klingt eher nach einer Keltensiedlung als nach einer Gedenkstätte des Nazi-Terrors.

Der CSU-Politiker Marcel Huber spricht von einer Arbeitsgruppe aus mehreren Behörden, die sich der Sache angenommen habe. Derzeit werde mit vier Grundstücksbesitzern über eine Nutzung des Geländes als Gedenkort verhandelt. "Wir sind so nah dran, wie wir noch nie waren." Sichtbar ist das noch nicht. Seit Marcel Huber der bayerischen Staatsregierung angehört, sind Fortschritte jedoch spürbar. Das dürfte mit seinem gewachsenen Einfluss als Staatssekretär zusammenhängen.

Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten, die an den ehemaligen Konzentrationslagern Dachau und Flossenbürg würdige Orte des Erinnerns eingerichtet hat, ist inzwischen federführend. Ihrem wissenschaftlichen Beirat sitzt der Berliner Historiker Wolfgang Benz vor. Er fordert eine ausreichende Beschilderung der Rüstungsfabrik im Mühldorfer Hart und einen Parkplatz für Besucher. Auf dem Bunkergelände selbst schwebt ihm eine Aussichtsplattform vor. Genau das wünscht sich auch der "Verein für das Erinnern".

Aber warum ist in den zurückliegenden zwanzig Jahren trotz all der Zusagen und Beteuerungen nichts geschehen? Warum wuchert die Natur ohne Unterlass weiter? Die Politiker und die Verantwortlichen in den Behörden schieben es auf die verworrenen Eigentumsverhältnisse. Die von den Nazis enteigneten Forstbesitzer bekamen ihre Grundstücksparzellen nach dem Krieg zurück und einige von ihnen haben Preisvorstellungen, denen weder Bundes- noch Landesbehörden entgegenkommen wollen.

Zumal das Bunker-Trümmerfeld kontaminiert sein soll. Als die Amerikaner den Bunker sprengten, explodierte angeblich bei weitem nicht die gesamte TNT-Ladung. Und das übrige TNT könnte nun das Trinkwasser gefährden, das die umliegenden Kommunen aus dem Mühldorfer Hart beziehen. Das Wasserwirtschaftsamt soll es nun außerplanmäßig prüfen. Im schlimmsten Fall ist schon TNT ins Grundwasser gesickert.

Max Mannheimer wurde von den Nazis am 20. Februar 1945 in den Mühldorfer Hart verlegt. Er arbeitete dort als Sklave bis zum 26. April 1945. Als er zum Abtransport in einen Zug gehievt wurde, litt er an Fleckfieber. "Das Mühldorfer Hart war ein ganz, ganz schlimmes Lager", sagt er. Im Februar ist Mannheimer 91 Jahre alt geworden. "Ich würde es gerne noch erleben, dass es zu einem sichtbaren Erfolg kommt." Er meint damit, dass der Bunker nicht weiterhin im Wald versteckt bleibt. Dass Schulklassen hingeführt werden und Informationstafeln ihnen vermitteln, was sich hier ereignete. Dann sagt Mannheimer, er rechne nicht mehr damit, das noch zu erleben.

© SZ vom 23.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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