Notre-Dame:Misstöne ums Geld

Notre-Dame: Untergang des Abendlandes? Notre-Dame nach dem Brand.

Untergang des Abendlandes? Notre-Dame nach dem Brand.

(Foto: Christophe Petit Tesson/AP)

Ist die Spendenbereitschaft französischer Mäzene für Notre-Dame Ausdruck spontaner Großzügigkeit oder das Schaulaufen von Steueroasenbewohnern? Nach dem Denkmalverlust streiten Frankreichs Intellektuelle über den Wiederaufbau.

Von Joseph Hanimann, Paris

Die einmütige Ergriffenheit der Franzosen nach dem Schock des Notre-Dame-Brandes hat nicht lange gedauert. Schon wenige Tage, nachdem Staatspräsident Emmanuel Macron den verlorenen "Faden unseres nationalen Gemeinschaftsprojekts" wiederaufzunehmen hoffte, machen sich die gesellschaftlichen Spannungen wieder bemerkbar. Und die ersten Misstöne betrafen nach den erhabenen Gefühlen über den Denkmalverlust ausgerechnet das Geld.

Die Einzelspendenzusagen über Nacht für den Wiederaufbau der Kathedrale, mitunter in dreistelliger Millionenhöhe, verblüfften und weckten bei den karitativen Vereinigungen wie der Stiftung Abbé Pierre gemischte Reaktionen. Für ihre Programme müssen sie um jeden Euro betteln und nun fließen die Millionen. Bei so einem Anfall von Großzügigkeit der Superreichen komme es ihr vor, sie sei Zuschauerin eines Kürlaufens französischer Steueroasenbewohner, giftete die Europawahlkandidatin von der Linkspartei "La France insoumise", Manon Aubry.

Der Historiker Nicolas Delalande untersucht dieses Phänomen der Spendierfreude aus Betroffenheit als Symptom einer allgemeinen Gewichtverlagerung zwischen spontaner Hilfsbereitschaft, Steuerpflicht und Solidaritätsideal in einem Land, wo wütende Gelbwesten und wohlwollend-kalkulierende Mäzene einander scharf im Auge behalten. Von der kalten Logik der Solidarität durch Steuerabgaben tendiere man in den westlichen Wohlfahrtsstaaten unter Führung des Liberalismus zurück zum Modell der freiwilligen Wohltätigkeit seitens der Besitzelite, wie es in den antiken griechischen Stadtstaaten existiert habe, schreibt Delalande. Der spontane, von edler Gesinnung begleitete, aber bezifferbare und gut sichtbare Einsatz sei viel verlockender, zumal man die sonst so streng gehandhabte wirtschaftliche Vernunft plötzlich in den Wind schlagen könne.

Manche halten diese Debatte hingegen für überflüssig und erkennen die typisch französische Manie der intellektuellen Selbstzerfleischung, selbst in Momenten der Einkehr. Sie möchten zumindest den Schein einer im Drama geeinten Gesellschaft noch etwas aufrechterhalten. Es gebe tragische Ereignisse, die die Gesellschaft in einer kollektiven Empfindung neu zusammenschweißen, "und das muss respektiert werden", erklärte der Intellektuelle Raphaël Glucksmann, der für verschiedene Linksformationen als Kandidat für die Europawahl antritt, seine Kampagne aber vorübergehend aussetzte.

Dasselbe tat auch sein Rivale von der bürgerlichen Rechten, François-Xavier Bellamy, wenn auch wohl mit politischen Nebenabsichten. Als Philosophielehrer und Buchautor ist er ebenfalls eine intellektuelle Figur, allerdings aus dem konservativen Lager. Er gehört zu jenen, die ihren Landsleuten das Bild von der brennenden Kathedrale als Zeichen der allgemeinen Situation Frankreichs und Europas deuten wollten.

In eine ähnliche Richtung geht der einstige Linksintellektuelle Régis Debray. Beim Anblick des unter den Dachtrümmern begrabenen Kirchenschiffs von Notre-Dame - "ein Kernstück der Bürgergemeinschaft, das eint, nicht entzweit" - ließ er sich zur Vision eines Europa verleiten, das nach der griechischen und der römischen nun auch seine christliche Substanz nicht mehr aufschauend mit dem Blick in die Höhe, sondern als bloß noch archäologische Spur unter seinen Füßen zu suchen habe.

Der Kunsttheoretiker und ehemalige Direktor des Musée Picasso wiederum, Jean Clair, sieht sein Land sogar schon an der Pforte der Hölle stehen, denn dieser Brand, schreibt er, sei nur die spektakuläre Beschleunigung des schon kaum mehr wahrgenommenen kontinuierlichen Niedergangs der Kultur zum banalen Plaisir. Unsinn! - protestiert der Chefredakteur von Libération, Laurent Joffrin, gegen diese apokalyptischen Reiter: Die Spendenbereitschaft in Frankreich und darüber hinaus sei gerade Beweis, wie viel den Leuten der Fortbestand der Kathedrale wert sei. Die beiden Seelen in der Brust der Franzosen, die des Rückblicks und die des Aufbruchs, verstünden sich nicht nur aufs Zanken, sondern auch auf die gegenseitige Ergänzung, meint Joffrin.

Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Zukunft des zerstörten Spitzturms

Die Frage ist nur, wofür die Herzen nach dem Spendenaufwand nun höherschlagen sollen. Für einen originalgetreuen Wiederaufbau von Notre-Dame oder eine Restaurierung mit zeitgenössischen Elementen? Im Mittelpunkt der Diskussion steht dabei die Zukunft des zerstörten Spitzturms von Viollet-le-Duc aus dem 19. Jahrhundert. Sind wir denn überhaupt noch zu etwas anderem in der Lage als Kopieren und Nachmachen? - fragt der Intellektuelle Luc Ferry.

Er greift zur Beantwortung auf eine Überlegung des Philosophen Cornelius Castoriadis zurück. Die Griechen hätten einst die Trümmer der von den Persern zerstörten Akropolis dazu benützt, den Boden für das neue Parthenon zu ebnen, konstatierte dieser. Für uns wäre das unvorstellbar. In unserer Leidenschaft für Denkmäler sah der Philosoph den Grund für eine schöpferische Unfähigkeit im Zeitalter des Liberalismus, denn mit seiner Verweigerung jeder Form von Absolutheit könne dieser nichts radikal Neues mehr hervorbringen und nur das Bestehende pflegen. Gerade umgekehrt, wendet Ferry ein: Aus der Kontinuität des Vorhandenen erst gehe das Neue hervor.

Die Schaulustigen, die sich mit Beklemmung an diesem Wochenende den geschwärzten Mauern von Notre-Dame nähern werden, und die Gelbwesten, die ebenfalls wieder protestieren wollen, dürften mit einer Mischung aus stummer Sympathie und Fremdheit aneinander vorbeigehen. Gemeinschaftsstimmung ist das kaum, Konfrontation noch nicht. Als hätte das Land vorübergehend das Streiten verlernt.

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