"Non-Stop" im Kino:Unerwartet elegant

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Ein Flug in Gefahr, ein Terrorplan, ein beschädigter Held an Bord: Jaume Collet-Serras Thriller "Non-Stop" mit Liam Neeson und Lupita Nyong'o folgt bekannten Mustern. Der Regisseur scheint aber zu Höherem berufen zu sein.

Von Tobias Kniebe

Auch wenn die Macher gern etwas anderes behaupten - natürlich reichen in der Regel schon ein, zwei Stichworte, um die Ambitionen eines Films richtig einzuschätzen. Im Fall von "Non-Stop" ist das die Information, dass Liam Neeson einen Air Marshal mit Alkoholproblem spielt, der auf einem Transatlantikflug in einen komplexen terroristischen Plot verwickelt wird.

Von der Standardfigur des beschädigten Helden, der bald über sich hinauswachsen muss, bis zum Casting eines früher angesehenen Schauspielers, der inzwischen in jedem seiner Filme rot sieht, sind das sehr bekannte und vertraute Muster. Niemand soll hier mit besonderen Innovationen verschreckt werden - so viel ist sicher.

Was dann allerdings gleich auffällt, ist eine unerwartete Eleganz der Inszenierung. Wie würde man als bewaffneter Air Marshal, der für die Sicherheit eines Flugs verantwortlich ist, die anderen Passagiere beim Einchecken taxieren? Wohl mit dem hochinteressanten Blick, den die Kamera hier am Anfang einnimmt - einer irritierenden Mischung aus Langeweile und Paranoia: Wenn die tödliche VielfliegerRoutine dich nicht umbringt, wird es der auffällig-unauffällige Täter sein, der sich eines Tages einschleicht - und womöglich heute . . .

Kaum ist die Maschine sicher in der Luft, offenbart sich auch schon das spezielle Muster der Bedrohung: Jemand hackt sich ins gesicherte Textmessaging-System des Air Marshals, jemand, der viel zu genau über ihn und seine Arbeitsroutine Bescheid weiß - ein Täter, der erkennbar mit an Bord ist. Er fordert 150 Millionen Dollar auf ein Nummernkonto, und zwar sofort. Andernfalls wird alle zwanzig Minuten ein Mensch an Bord des Flugzeugs sterben . . .

Wesentlich komplexer und psychologischer als erwartet

Damit vereinen sich wiederum zwei sehr erprobte Erzählmuster: Erstens die Wer-ist-der-Täter-Dramaturgie, die am besten in geschlossener Gesellschaft funktioniert, gern auch auf Reisen - man denke an Agatha Christies "Mord im Orient-Express". Und zweitens das Ticking-Clock-Szenario, das Zeitdruck und Umumkehrbarkeit ins Geschehen einführt - vergleichbar mit dem Bus aus "Speed", der nicht langsamer als 50 Meilen pro Stunde werden durfte, um nicht zu explodieren.

Die anfängliche Zuversicht des Protagonisten, das Problem bald in Griff zu kriegen - wie schwer kann schon ein Passagier zu identifizieren sein, der ständig in sein Handy tippt? - verflüchtigt sich dann spätestens nach den ersten zwanzig Minuten. Denn da stirbt dann tatsächlich ein Mensch. Es ist allerdings der Air Marshal selbst, der ihn umbringt - in einem Akt der Selbstverteidigung. Wer immer sein Gegner ist - er hat die Fähigkeit, andere zu manipulieren und mörderisch auf ihn zu hetzen. Das Spiel wird wesentlich komplexer und psychologischer als erwartet.

Und nun wird auch erkennbar, warum der kaum 40- jährige Spanier Jaume Collet-Serra, der hier Regie führt, unter Cineasten inzwischen verschärfte Beachtung verdient. Von Beginn seiner Karriere an hat er in Hollywood gearbeitet, meist unter der Führung seines Mentors und Ziehvaters Joel Silver, Produzent solch legendärer Action-Reihen wie "Lethal Weapon" und "Stirb Langsam", von den "Matrix"-Filmen ganz zu schweigen. Die Stoffe, die Collet-Serra für Silver anpackte, fielen in der Regel nicht sehr positiv auf - "House of Wax" zum Beispiel, sein Regiedebüt, bekam durch die Mitwirkung von Paris Hilton eine böse Schlagseite ins Trashige.

Typischer für ihn aber ist ein Projekt wie "Unknown Identity", das er 2011 in Berlin realisiert hat - ebenfalls mit Joel Silver als Produzent und Liam Neeson als Star, in Zusammenarbeit mit Studio Babelsberg. Auch dieser Film hat eine sehr weit hergeholte Prämisse, die man erst einmal ungeduldig vom Tisch wischen möchte: Ein Amerikaner in Berlin fällt bei einem Taxiunfall in die Spree und ist vier Tage lang bewusstlos. Als er wieder zu sich kommt, will ihn niemand mehr kennen, nicht einmal seine eigene Ehefrau - dafür sind Killer auf ihn angesetzt. Er muss untertauchen und zugleich herausfinden, was da eigentlich gespielt wird.

Pures, zeitgenössisches Kino

Schon damals überraschte Jaume Collet-Serra damit, wie überzeugend es ihm gelang, die alte "Frontstadt Berlin"-Atmosphäre wieder heraufzubeschwören, unter anderem mit einem Auftritt von Bruno Ganz als ehemaligem Stasi-Schnüffler. Sehr gegenwärtig geriet der gehetzte Amerikaner dann an ein Netzwerk von Illegalen - Bosnienflüchtlinge, Afrikaner - die ihm halfen. Berlin wirkte auf einmal wirklich wie eine Weltstadt, und selbst eine Autoverfolgungsjagd über die Friedrichstraße sah wie pures, zeitgenössisches Kino aus. "Unknown Identity" war, auch in der intelligenten Auflösung seiner Rätsel, einer der unterschätztesten Filme der letzten Jahre.

Ganz ähnlich funktioniert es nun wieder bei "Non-Stop". Die Grundkonstellation ist einmal mehr so gewählt, dass man nicht viel erwartet. Dann aber ist die Inszenierung im Detail voller Sorgfalt, das Drehbuch bleibt unvorhersehbar und intelligent, und unter der Hand gelingt es Collet-Serra, den Kontext auszuweiten: Zwischendrin glauben nämlich alle, der vom Alkoholismus gezeichnet Air Marshal habe selbst die Maschine entführt. Ein Männer-Mob unter den Passagieren, nach dem realen Vorbild des United Airlines Flug 93, rüstet zur Gegenwehr, es fehlt nur noch das Kommando: "Let's roll" - und zwei Düsenjäger begleiten das Unglücksflugzeug, die Bordkanonen durchgeladen, sollte es sinken und Kurs auf eine Stadt nehmen . . .

Ein reinrassiger Thriller also, packend bis zur letzten Minute, und ein Beispiel für gutes Handwerk, wie es Hollywood inzwischen gar nicht mehr so oft gelingt. Am Ende hat man das Gefühl, dass Jaume Collet-Serra inzwischen all die wertvollen Lektionen gelernt hat, die der altmodische Joel Silver ihm aus seiner Action-Werkstatt mitgeben konnte. Sollte er sich eines Tages von diesem Mentor lösen - und damit auch die allzu erwartbaren Themen und Heldenfiguren hinter sich lassen - könnte er ein neuer Meister des Thrillers werden.

Non-Stop , USA 2014 - Regie: Jaume Collet-Serra. Buch: JohnW. Richardson, Christopher Roach, Ryan Engle. Kamera: Flavio Labiano. Mit Liam Neeson, Julianne Moore, Michelle Dockery, Lupita Nyong'o. Studiocanal, 106 Minuten. In deutschen Kinos ab dem 13. März 2014.

© SZ vom 14.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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