Neustadt verabschiedet Roman Lob:Hier kann jeder mitsingen

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Wenn die große Welt in den Westerwald drängt: Roman Lob vertritt Deutschland beim Eurovision Song Contest in Baku - sein Heimatort feiert ihn zum Abschied wie einen Volkshelden. Denn von seinem Glanz soll etwas auf die einsame Gegend abstrahlen.

Hans Hoff , Neustadt (Wied)

"Du bist der Größte. Du bist am weitesten gekommen. Du bist unser Megastar", sagt die Bürgermeisterin, und Roman Lob lächelt in den Applaus hinein, genau so verhalten, wie er immer lächelt. Er trägt das Holzfällerhemd, das er immer trägt. Und eine Kappe zum Dreitagebart.

"Roman! Roman!" Mit einer lautstarken Abschiedsparty und einem Eintrag in ihr Goldenes Buch hat die rheinland-pfälzische Gemeinde Neustadt (Wied) ihren neuen Vorzeigebürger Roman Lob geehrt. Der 21-Jährige darf Deutschland Ende Mai beim Eurovision Song Contest in Aserbaidschan vertreten. (Foto: dapd)

Vor ein paar Monaten war er noch ein netter 21-jähriger Irgendwer in seiner Heimat. Jetzt ist er die große Hoffnung der kleinen Westerwaldgemeinde. Jetzt muss er sich in der örtlichen Pizzeria fragen lassen, ob er der echte Roman Lob ist - der, der am 26. Mai Deutschland beim Eurovision Song Contest (ESC) in Baku vertritt. Der, der Neustadt (Wied) für einen Moment herausführen könnte aus der rheinland-pfälzischen Abgeschiedenheit entlang der A3.

Wenn Roman in Baku gut abschneidet, dann gerät auch Neustadt ins Scheinwerferlicht, dann besteht eine kleine Hoffnung, dass die 6500-Einwohner-Gemeinde auf ihre Anfahrtsbeschreibungen nicht mehr schreiben muss: "Bitte nicht mit der Stadt Neuwied verwechseln."

In der Bäckerei Zimmermann in Neustadt (Wied) gibt es "Roman-Brötchen". Zehn Stück kosten zwei Euro. Und nebenan bei "Herma Mode & Stil" sind bereits Gewinner-T-Shirts ausgestellt, 9,95 Euro das Stück. "Viel Glück Roman", steht auf einem Schild.

Aber die kleinen Lobhudeleien des örtlichen Einzelhandels sind nichts gegen das Getöse, das die gegenüber gelegene Wiedparkhalle erschüttert. Über 1000 Neustädter sind an diesem Mittwoch gekommen, um ihrem Roman eine gute und erfolgreiche Reise nach Aserbaidschan zu wünschen. Leicht hätten es auch dreimal so viele sein können, aber mehr Menschen fasst die Mehrzweckhalle nicht. "Roman! Roman!" schallen die Sprechchöre der vornehmlich kindlichen Fans.

Ohrenbetäubendes Kreischkonzert

Sie warten auf ihren Star, den einzigen, den sie haben, und sie sind entschlossen, ihn auch wie einen solchen wirken zu lassen. Als die Hoffnung von Neustadt die Bühne betritt, setzt ein ohrenbetäubendes Kreischkonzert an. Schrille Schreie mischen sich mit aufgeregtem Quieken. Mehr Begeisterung könnte auch ein Justin Bieber nicht auslösen.

Roman nimmt das mit jener stoischen Gelassenheit, die ihn von den ersten Auftritten bei der Vorentscheidungsshow "Unser Star für Baku" an auszeichnete. Nett, freundlich, kein bisschen gekünstelt. Und extrem geduldig. Das muss er auch sein an diesem Tag, denn die aus 56 Dörfern und Weilern bestehende Gemeinde Neustadt hat sich entschlossen, all ihre Erwartungen in diesem kreuzbraven Burschen zu bündeln.

Man muss sich das mal vorstellen: Einer von uns vertritt Deutschland in Baku", sagt der örtliche Bundestagsabgeordnete. Es wirkt, als dürfe an diesem Tag jeder etwas sagen zu Roman, als müsse jeder etwas sagen. "Das Lied ist toll, du hast das Zeug", verkündet eine Lokalpolitikerin, und dann singt Roman auch schon zur Gitarrenbegleitung sein Lied. "Standing Still" heißt es, und hier kann es jeder mitsingen.

Ins Goldene Buch der Stadt muss sich Roman eintragen, und dann bekommt er von seiner früheren Schule einen Schal geschenkt. Das wirkt absurd, wenn man bedenkt, dass jene, die schon in Baku den Song Contest vorbereiten, über die Hitze am Kaspischen Meer klagen. Aber Roman spielt brav mit: "Es soll sehr windig sein in Baku", sagt er. Dann singt er noch zwei Lieder, und die Tonanlage klingt mehr nach Scheppern als nach Musik, aber so ist das wohl, wenn die große Welt in den Westerwald drängt.

Der Charme der Unzulänglichkeit liegt über diesem Empfang, und für einen Moment sieht es so aus, als könnte die Unzulänglichkeit auch zu einer Eskalation führen. Irgendwer ist auf die depperte Idee gekommen, Roman vor der Bühne für eine halbe Stunde Autogramme schreiben zu lassen. Schnell ist klar, dass in der Kürze der Zeit nicht jeder eine eigene Unterschrift bekommen kann. Prompt drängeln und schubsen die Kinder nach vorne und erzeugen eine gefährliche Enge. Die Aufrufe, ein paar Schritte zurückzugehen, verhallen, wie bei Massenbewegungen dieser Größenordnung üblich, ohne Wirkung.

Es passiert dann aber Gott sei Dank nichts, was hätte passieren können. Und Neustadt (Wied) kann von Glück sagen, dass es an diesem Tag nicht auf die falsche Art in die Schlagzeilen gekommen ist.

Ich hoffe, niemand ist verletzt", sagt Roman, dann muss er noch mit den örtlichen Honoratioren aufs Foto. Er bekommt süße Fresskörbe, bedankt sich gefühlte tausend Mal und singt noch ein zweites Mal "Standing Still". Dann ist er weg. Auf nach Baku.

Für die Zurückgebliebenen bleibt die Aussicht auf das, was am 26. Mai passieren wird. Dann schauen alle beim ESC zu. Das Public Viewing in der Wiedparkhalle ist schon ausverkauft. Neustadt, bitte nicht mit Neuwied verwechseln, hofft. Für Roman und für sich.

© SZ vom 18.05.2012/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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