Neuerscheinung "Ach du dickes B":Berlins schönste Pleiten

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Der Tower auf dem verwaisten Vorfeld am Flughafen Berlin Brandenburg "Willy Brandt" (BER) in Schönefeld. Sind die Berliner selber schuld an ihren Pleiten? (Foto: dpa)

Riesenrad, Weltausstellung, Olympiabewerbung: Autorin Cornelia Tomerius hat das Flughafen-Debakel zum Anlass genommen, eine Pleitengeschichte der Hauptstadt aufzuschreiben. "Ach du dickes B" ist ein amüsantes Buch über Pech und Pannen, das heute erscheint. Doch Berlin-Hasser aufgepasst: Eigentlich ist es eine Liebeserklärung.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Seit dem Flughafen-Debakel gelingt es der Hauptstadt kaum noch, dem Gespött der Öffentlichkeit zu entkommen. Zu makaber klingt die Geschichte vom Flughafen BER, den niemand zu bauen wirklich die Absicht zu haben oder in der Lage zu sein scheint. Und Schadenfreude ist vielen eben immer noch die schönste Freude.

Die nicht enden wollende Pleite um Berlins Großflughafen war der Ausgangspunkt für die Autorin Cornelia Tomerius, sich die Pleiten-Geschichte der Hauptstadt einmal genauer anzuschauen. Sie wollte wissen, wo das Berlin-Bashing herkommt, ob die Berliner nun selbst schuld an ihren Pleiten sind, oder ob sie ihnen ungerechterweise zugeschrieben werden. Und siehe da: Für ihr Buch "Ach du dickes B - Eine Berliner Pleitengeschichte", das an diesem Dienstag im Berlin-Verlag erscheint (12,99 Euro), hat sie weitaus mehr Material gefunden als sie eigentlich wollte.

So wurde das Sachbuch zu einem Kompendium nicht unbedingt der größten, sondern von Tomerius' persönlichen Lieblings-Pleiten - einige davon sind in der Öffentlichkeit über die Jahrzehnte und Jahrhunderte fast schon in Vergessenheit geraten.

Das Flughafen-Kapitel kommt ganz zum Schluss. Wie zum Dessert verspeist der Leser die genüsslich ausgebreiteten Peinlichkeiten. Aufgehängt ist die Chronologie an der Figur Klaus Wowereit, der vom 18-jährigen Pauschal-Urlauber über den "Regierungsrat zur Anstellung" und Stadtrat für Volksbildung zum Ersten Mann der Stadt avancierte und dabei mal mehr, mal weniger mit dem Großflughafen liebäugelte.

Abschied von Wowereit
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Er war ein Polit-Star, bekannt weit über die Grenzen Berlins hinaus. Ein Regierender Bürgermeister, der "Arm, aber sexy" zum Motto Berlins machte und als nächster Kanzlerkandidat der SPD galt. Dann kam Klaus Wowereit der Pannen-Flughafen BER in die Quere.

Stationen einer Karriere.

Das (bisherige) Ende ist zwar hinlänglich bekannt, doch der Autorin gelingt es, zum Erscheinen des Buches noch eine aktuelle und offenbar für Berlin urtypische und einigermaßen absurde Wendung einzubauen: Nämlich, dass nun ausgerechnet jener Mann das Kind aus dem Brunnen holen soll, der schon den Streit mit Star-Architekt Meinhard von Gerkan wegen des Berliner Hauptbahnhofs und zudem das S-Bahn-Chaos mitzuverantworten hatte: Hartmut Mehdorn.

Doch wer an diesem letzten Kapitel angelangt ist, den wundert ohnehin schon nichts mehr. Denn er hat sich mit teils größtem Vergnügen durch 200 Seiten Pleitengeschichte der deutschen Hauptstadt gewälzt.

Korruption, Machtmissbrauch und Missstände

Jede der 21 behandelten Pannen, sei es nun die verhinderte Weltausstellung, die Kanzler-U-Bahn, die Olympiabewerbung oder der Schlossplatz, ist mit mindestens einem bis zehn weiteren kleineren und größeren Skandalen verwoben. Sie offenbaren Korruption, Machtmissbrauch, Verplantheit und Missstände, die unter dem Dickicht dieser Großstadt schlummern.

Natürlich gibt und gab es ähnliche Affären auch in Köln, Bremen, Stuttgart, Frankfurt oder München. Aber hier finden sie eben in großem Stil statt. Cornelia Tomerius fasst die Berliner Blamagen erstmals zusammen - und verknüpft sie zusätzlich so geschickt und vergnüglich, dass die Lektüre eine helle Freude ist.

Eigentlich wäre das Thema eher zum Weinen. Doch Tomerius verpasst ihren Geschichten nicht nur ein gehöriges Augenzwinkern - sie schafft es auch, dem Leser Verständnis für die Umstände abzuringen, in denen das große Scheitern ein ums andere Mal passieren konnte.

Bei aller Verbundenheit der Autorin zu ihrer Wahlheimat Berlin, zu seinen Akteuren im Großen und seinen schier unerschütterlichen Bewohnern: Der Sarkasmus und der entschiedene Wille, menschliche Schwächen zu entblößen, sind vorhanden. Diese Mischung macht das Buch an manchen Stellen zum echten Brüller.

Cornelia Tomerius über Berlin: "Kein Big Business..., dafür einen Bürgermeister, der sich gern vergnügt." (Foto: N/A)

Wenn Tomerius etwa über das Anfang des Jahrtausends angedachte Riesenrad am Zoo schreibt, das den verwaisten Westen erstrahlen lassen sollte, für das viel investiert und das dann doch nicht gebaut wurde: "Als im Jahr 2003 ein paar Investoren anboten ( nach London, Anm. d. Rd.) auch in Berlin ein solches Rad zu bauen, musste man nicht lange überlegen. Die Silhouette war gewiss ausbaufähig, das Symbol stimmig: Zusammen mit dem Fernsehturm, einer Art Discokugel am Dönerspieß, würde das Riesenrad klare Zeichen setzen in einer Stadt, die nun mal kein Big Business hat, das die Skyline mit Wolkenkratzern bestückt. Aber dafür einen Bürgermeister, der sich gern vergnügt."

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Wie dann ausgerechnet ein Eisbärbaby dem Riesenrad den Rang abläuft, das sich schlussendlich aber auch noch irgendwie zum Flop entwickelt, zu welch stolzem Preis der Schlafsack des verstorbenen Tierpflegers versteigert wurde und wieso der Zoodirektor mit dem "Sympathiewert eines Truthahngeiers" für die Erfolgsgeschichte von Eisbär Knut dann doch noch gut war - all das fasst schon das erste Kapitel so leichtfüßig zusammen, dass gleich zu Beginn klar wird: Häme "is nich", wie der Berliner sagt. Und Riesenrad war dann eben auch nich.

Stattdessen plädiert die Autorin nach Ausflügen über den jahrhundertelang verplanten Alexanderplatz, über die Garski-Affäre, bei der 100 Millionen in der Wüste versandeten und über die zerlegte Waldbühne nach einem Rolling-Stones-Auftritt für das Gegenteil des beliebten Berlin-Bashings: Kein langweiliges Anti-Berlin-Buch wolle sie schreiben, sondern eine Liebeserklärung an die stolpernde Stadt an der Spree, so Tomerius.

Am liebsten wäre ihr, wenn Berlin sich dazu entschließen würde, seiner Pleitengeschichte ein Museum zu bauen. Und sie als Teil des großen Ganzen anerkennen würde, in dem die größten Erfolgsstories (Mauerfall, S-Bahn-Bau in den zwanziger Jahren) eher beiläufig geschrieben wurden. Denn: "Immer, wenn etwas schief läuft, kann man eine Menge daraus lernen."

"Ich hätte ganz schnell mindestens 50 Pleiten ausfindig gemacht", sagt Cornelia Tomerius im Gespräch mit SZ.de, doch für das Buch sei ihr eine Mischung aus aktuellen Großpleiten und solchen, die kaum noch bekannt seien, lieber gewesen. Weil sich dadurch noch besser der "Nährboden" zeichnen lasse, auf dem in Berlin so viele Pleiten erwüchsen: der märkische Sand, der immer wieder zu Bauverzögerungen führe, der Selbstdarstellungsdrang Berlins und die politische Sonderstellung, aus der jahrzehntelang Probleme resultierten.

Schuld waren nicht immer nur die anderen

Anstatt also immer wieder darüber hinwegzusehen, Millionen über Abermillionen in den Sand zu setzen und sich in durchaus bemerkenswerter Stehaufmännchen-Manier über jedes erneute Scheitern hinwegzusetzen, sollten die Berliner ihre Pleiten lieber genau betrachten, findet die Autorin.

Zwar seien nicht wenige Fehlschläge von Zugezogenen verursacht worden, die in Berlin all ihre hochfliegenden Träume verwirklichen wollten. Doch schuld an der Misere seien nicht immer die anderen. "Vieles, was schiefläuft, ist hausgemacht und wurzelt im Größenwahn, der die Stadt von jeher regiert. Wer nichts zu verlieren hat, wird mutig. Wer kein Geld hast, gibt erst recht gern aus." Inzwischen würden die immer neuen Pleiten die Berliner kaum noch jucken.

Das rätselhafte Wesen der Hauptstädter zu erklären, dazu ist die Autorin angetreten - und serviert zudem ein lehrreiches Stück Zeitgeschichte über prominente Nieten und gewaltige Bausünden. Und über das, was die permanente Pleite aus der Stadt macht.

Cornelia Tomerius: Ach du dickes B: Eine Berliner Pleitengeschichte. Berlin-Verlag, Berlin 2013. 208 Seiten, 12,99 Euro.

Die Autorin dieser Rezension hat sich beim Schreiben übrigens selbst mit dem Berlin-Virus infiziert: Erst funktionierte die Internetverbindung in ihrer neuen Wohnung nicht, dann streikte der PC beim Öffnen sämtlicher Textverarbeitungsprogramme, am Abend ging nicht einmal mehr der Kugelschreiber.

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