Der Link zu dem Foto ihrer kleinen Nichte ist bei Twitter noch online, auch das Pablo-Neruda-Zitat, das Octavia Nasr neulich so gut gefiel, und ihr Glückwunsch an die deutsche Nationalmannschaft nach dem Argentinien-Spiel. Die 117 Zeichen aber, mit denen Octavia Nasr ihrer 20-jährigen Karriere bei CNN ein Ende machte, sind gelöscht.
Drei Tage nachdem die Redakteurin für Nahostpolitik in einer Twitter-Nachricht Trauer über den Tod eines der Hisbollah nahestehenden Ayatollahs bekundet hatte, wurde sie am vergangenen Mittwoch entlassen. Erst wenige Wochen zuvor hatte sich die Washington Post von ihrem Blogger Dave Weigel getrennt, weil der sich in einer nur für Kollegen offenen Mailingliste abfällig über konservative Politiker geäußert hatte, über die er auf der Internetseite der Zeitung berichten sollte.
Hinter beiden Fällen scheint eine grundsätzliche Verunsicherung über die Frage auf, wo die Grenzen zwischen privatem, öffentlichem und halböffentlichem Raum im digitalen Zeitalter verlaufen. Muss eine Twitter-Nachricht so nuanciert und ausgewogen sein, wie es ein Fernsehbeitrag über Ayatollah Fadlallah hätte sein müssen? Können Äußerungen in einer Mailingliste privat bleiben, selbst wenn die Regeln ausdrücklich Vertraulichkeit vorschreiben?
Dave Weigels Blogger-Kollege Ezra Klein, der Gründer der Mailingliste, klagt nun über die "falsche Intimität im Netz". So könne, was man in der einen Sekunde noch für privat halte, durch wenige Mausklicks öffentlich werden. Nichts würde mehr wirklich im Vertrauen gesagt, konstatiert sein Kritiker Jeffrey Goldberg von Atlantic Online lakonisch.
Die Problematik geht über Rollenkonflikte im Journalismus aber weit hinaus. Während sich ein immer größerer Anteil der privaten wie beruflichen Kommunikation ins Netz verlagert, während immer offenere Diskursformen und ständiger Austausch gefordert und gefördert werden, wird ein Wort im Vertrauen zunehmend unmöglich. Von Facebook-Chef Mark Zuckerberg, über Google-Vorstand Eric Schmidt bis zum Journalistik-Professor Jeff Jarvis, dem Prediger der "Publicness" reicht die Einigkeit darüber, dass absolute Transparenz im Netz nur von Nutzen sein könne.
Die jahrtausendealte Übung dagegen, in verschiedenen sozialen Kontexten in unterschiedlicher Maske aufzutreten, brandmarken sie als moralisch verwerfliche Unaufrichtigkeit. Was man seinem Chef nicht ins Gesicht sagen will, sollte demnach besser nie gesagt werden. Personalmanager beteuern zwar, dass sie in Wahrheit gar nicht auf ständiger Suche nach peinlichen Lebensäußerungen von Bewerbern das Internet durchforsteten. Aber die digitale Welt scheint für die Ventilfunktion, die im realen Leben der Bürotratsch an der Kaffeemaschine hat, nur wenig Raum zu lassen.