"Drei Etagen" von Nanni Moretti im Kino:Glücklose Hausgemeinschaft

Lesezeit: 3 min

Nanni Moretti und Margherita Buy in einer Szene des Films "Drei Etagen", den Moretti auch inszeniert hat. (Foto: Happy Entertainment)

Zum Verzweifeln? Nanni Morettis neuer Film "Drei Etagen" über vom Schickal geplagte Familien, alle unter einem Dach.

Von Susan Vahabzadeh

Nanni Morettis Filme sind manchmal witzig, aber die Filme eines fröhlichen Menschen waren sie nie - es liegt meist eine Last auf seinen Geschichten, ein tief empfundenes Verzweifeln an der Existenz an sich. Meist auch sehr konkret an den Menschen, die er zeigt. In den "Drei Etagen", der im vorigen Jahr im Wettbewerb von Cannes erstmals gezeigt wurde, hat er sich einen israelischen Bestseller vorgenommen. Moretti verlegt die Handlung in ein Apartmenthaus nach Rom, und man kann zusammenfassend sagen: Es findet wenig Glück in dieses Haus.

Die Geschichte entfaltet sich über ein Jahrzehnt hinweg. Moralische Entgleisungen, Stockwerk um Stockwerk. Es beginnt mit einem Crash. Andrea (Alessandro Sperduti), der Sohn von Dora (Margherita Buy) und Vittorio (Moretti) ist im Vollrausch mit seinem Auto in die Wohnung im Erdgeschoss gerauscht, er hat dabei eine Frau am Straßenrand getötet. Dora und Vittorio sind Richter - sie ist milde, der Nichtsnutz ist doch ihr Kind, auch wenn er keinen Anflug von Reue zeigt. Vittorio aber schafft es nicht, seinen Andrea weniger hart zu verurteilen als jeden anderen Kriminellen, der vor seine Richterbank gerät.

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Das moralische Dilemma in der Wohnung im Erdgeschoss ist noch verzwickter: Lucio (Riccardo Scarmacio) bezichtigt den alten, dementen Nachbarn Renato, er habe sich beim Babysitten an seiner siebenjährigen Tochter vergriffen, die das bestreitet - das bringt einen Zwist ins Haus, der schlimm genug wäre. Aber dann hält es ausgerechnet Lucio, der so leichtfertig Urteile fasst, es auch noch für eine gute Idee, mit Renatos Enkelin zu schlafen, von der er wissen müsste, dass sie noch minderjährig ist. Was dann jahrelange Prozesse nach sich zieht.

Dazwischen Monica (Alba Rohrwacher, wieder mal als mental Beschädigte), die ihr Kind allein auf die Welt bringt, weil ihr Mann nie da ist, schon gar nicht, wenn sie ihn braucht. Sein Bruder taucht bei ihr auf, wesentlich fürsorglicher, dafür ein gesuchter Betrüger auf der Flucht - und Monica kann irgendwann gar nicht mehr unterscheiden, was sie sich einbildet und was wirklich geschieht.

Machen Figuren machen ratlos, sie sind eher einfarbige Ekelpakete

Für "Drei Etagen" hat Moretti den Roman "Über uns" von Eshkol Nevo adaptiert, in dem drei Protagonisten aus demselben Wohnhaus in Tel Aviv ihre Geschichte - als Monolog, Brief, Nachricht auf dem Anrufbeantworter - erzählen, so wie sie sonst wohl höchstens ihrem Analytiker ihr Herz ausschütten würden, und die Etagen sind dabei eine Versinnbildlichung der Psyche. Das ist so nicht verfilmbar, Moretti verlegt die Geschichten nach Rom und macht eine chronologische Filmhandlung daraus - nur die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, die Dora am Ende ihrem verstorbenen Mann hinterlässt, haben in den Film gefunden.

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Diese ineinandergreifenden Geschichten sind solide gespielt und inszeniert, eher nüchtern, ohne virtuose Verrenkungen - was ja in Ordnung wäre. Nur steht man irgendwann doch ratlos vor diesen Figuren: Ja, Menschen sind auf die unterschiedlichste Art kaum auszuhalten, aber wohin nun mit dieser Erkenntnis? Vor allem Lucio und Andrea in ihrem Narzissmus sind Moretti als recht einfarbige Ekelpakete geraten, die sich im Verlauf der Erzählung gar nicht weiter entwickeln oder wenigstens etwas über sich selber lernen. Manchmal sind sie dennoch rührend in ihrer Hilflosigkeit. Aber der emotionale Sog von Morettis Meisterstück "Das Zimmer meines Sohnes" (2001) entsteht nicht einmal, wenn Dora am Ende still ihr Leben neu sortiert.

Vielleicht fehlt Moretti für diese Geschichte am Ende doch die Leidenschaft - so, wie man sie in dem Dokumentarfilm spürt, den er davor gedreht hat. In "Santiago, Italia" erinnert er an die Energie, das Mitgefühl und den Gerechtigkeitssinn, mit dem das Italien der Siebzigerjahre auf den Militärputsch in Chile gegen Salvador Allende reagiert hat, und an dessen Ende man seine Verzweiflung versteht, wenn er sich fragt, wo dieses Italien geblieben ist. So ist dann vielleicht das Bewegendste an "Drei Etagen" die Rolle, die Moretti selber spielt, als Richter Vittorio. Er gibt ihm einen Teil seiner Persönlichkeit mit - eine unerschütterliche Prinzipientreue, mit der er auch dann noch an seinen Idealen festhält, wenn er sich selbst damit wehtut.

Tre Piani , IT/F 2020 - Regie: Nanni Moretti. Drehbuch: Moretti, Federica Pontremoli, Valia Santella, basierend auf dem Roman "Über uns" von Eshkol Nevo. Kamera: Michele D'Attanasio. Mit: Margherita Buy, Nanni Moretti, Allesandro Sperduti, Alba Rohrwacher, Riccardo Scarmacio. Verleih: Happy Entertainment. Kinostart: 17.03.2022.

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