Gorki Theater Berlin:Nehmt das, Polit-Kommissare!

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Vielleicht noch besser, auf jeden Fall noch bunter als eine Show von Lady Gaga: "Slippery Slope" am Gorki Theater in Berlin. (Foto: Ute Langkafel/Galerie Maifoto)

Das Berliner Maxim Gorki Theater zeigt ein, nein, das Musical zur Cancel Culture.

Von Peter Laudenbach

Die aufgeregten Cancel-Culture-Debatten darüber, wer worüber sprechen darf und wer und weshalb nicht, mit einem Musical zu verspotten, ist nicht die schlechteste Idee. Die Regisseurin Yael Ronen, geboren in Jerusalem, weltberühmt in Berlin, macht sich damit in ihrer musikalisch absolut hinreißenden Inszenierung "Slippery Slope" am Berliner Maxim Gorki Theater einen ziemlich cleveren Spaß. Der formvollendete Absturz auf dem "slippery slope", dem glitschigen Hang der Identitätspolitik, ist das entspannteste Ideologie-Zertrümmerungs-Musical seit Mel Brooks "Springtime for Hitler". Und natürlich ist das Gorki Theater dafür der ideale Tatort. Kein anderes Theater des Landes hat Identitätsdebatten, den immer noch virulenten Rassismus, die subtilen und die brutalen Diskriminierungsspiele gegenüber Minderheiten so ausgiebig, intelligent und gerne auch penetrant durchgespielt wie Shermin Langhoffs postmigrantisches Volkstheater. Die politische Gesinnung ist mehr als klar, der stete Hass der Berliner AfD ist dem Theater sicher. Aber die ideologischen Rechthaber-Verhärtungen, die die Debatten zu Sexismus und Identitätspolitik oft so unergiebig und unerträglich machen, kontern die besseren Gorki-Inszenierungen souverän mit Selbstironie, Paradoxien und satirischen Übertreibungen. Auch beim zweiten Thema des Abends, dem Vorwurf des Machtmissbrauchs im Kulturbetrieb, verfügt man am Gorki Theater über einige Expertise, seit die Intendantin in der vergangenen Spielzeit das Ziel einer Denunziationskampagne wurde. Man konnte also gespannt sein, wie Yael Ronen in ihrer Inszenierung den diversen Fettnäpfchen und Sprengfallen auf dem verminten Gelände ausweichen würde. Ronens Strategie läuft exakt auf das Gegenteil hinaus: Die Regisseurin steuert jedes Fettnäpfchen der politischen Inkorrektheit zielsicher an und springt begeistert hinein: Nehmt das, Polit-Kommissare!

Ein Roma spielt einen Sänger, der sich übergriffig Roma-Musik angeeignet habe - soviel zum identitätspolitischen Durcheinander

Die Handlung der Show ist krude, wie es sich für Musicals gehört, die Figuren sind XXL-Karikaturen, deren Klischee-Komik-Potential die Schauspieler lustvoll bis zum Anschlag aufdrehen, und dann noch ein bisschen weiter. Subtilitäten sind nicht zu befürchten. Dass die Rufmord-Mechanik der Cancel Culture manchmal auch die richtigen trifft, beweist Lindy Larsson als selbstverliebter Schlager-Sänger Gustav, sozusagen toxische Männlichkeit in der Schleimbeutel-Variante. Der blonde Langhaar-Schwede, der von einem Klezmer-Album über Roma-Balladen über Eskimo-Gesänge bis zu einem "Haiti-Voodoo-Projekt" so ziemlich jede Ethno-Musik in den schlimmeren Kommerzkitsch entsorgt und für sein Ego ausgesaugt hat, ist über seine Selbstüberschätzung gestolpert. Seine pseudo-authentischen Folklore-Schnulzen sind als "Cultural Appropriation", also übergriffige kulturelle Aneignung, das Gegenteil von politisch korrekt und völlig aus der Zeit gefallen.

Was soll der gute Mann denn jetzt noch singen, muss er bis ans Ende seiner Bühnentage Abba-Songs covern? Zum zweiten Karrierekiller wird seine Affäre mit der Background-Sängerin Sky (umwerfend: Riah May Knight). Dass Sky dem Oldschool-Charismatiker zeitweise durchaus und von Herzen zugeneigt war und ihn später gegen Missbrauchsvorwürfe verteidigt, ändert nichts am Shitstorm. Die Affäre wird als Sex mit einer Abhängigen skandalisiert, das war es dann mit Gustavs Showruhm. Jetzt suhlt sich der vom Zeitgeist weggespülte Cowboystiefel-Träger in Larmoyanz, der Endstation narzisstischen Mackertums. Zu den vielen ironischen Metaebenen des Abends gehört, dass der Gustav-Performer Lindy Larsson selbst zwar ebenfalls Schwede, aber auch Roma ist: ein Roma spielt also einen Sänger, der sich übergriffig Roma-Musik angeeignet hat - soviel zum identitätspolitischen Durcheinander.

Zweiter Handlungsstrang: Sky wird nach der Affäre mit dem blonden Schlager-Gustav zum Elektrostar, optisch eine gelungen psychedelische Kombination aus Lady Gaga und einer Manga-Figur. (Für das Outfit des Aberwitzes wähle ich hiermit Amit Epstein zur Kostümbildnerin des Jahres.) Skys glamouröse Auftritte auf der Gorki-Bühne zu Hochklasse-Elektro-Wumms, neben dem Frau Gaga einpacken kann, sind der musikalische Höhepunkt der Show. Neben der Teenie-Pop-Gottheit Sky mit ihren 90 Millionen TikTok-Abrufen wirkt der arme Schlager-Gustav mit seinen 5000 Twitter-Followern wie ein Auslaufmodell aus der Pop-Steinzeit. Soviel Rache an den Dinosauriern des Showbusiness-Patriarchats muss auf der Gorkibühne schon sein.

Lustig wird es, als sich Gustav mit Hilfe seiner Gattin, einer einflussreichen Chefredakteurin (Anastasia Gubareva), an Sky rächen will, was zu jeder Menge Turbulenzen und Komplettabstürzen führt. Nicht nur Gustav erledigt sich in den diversen Stolperdrähten selbst. Auch der Weltstar Sky wird zum Shitstorm-Opfer: Wie kann sie es als Weiße wagen, People-of-Colour-Beats zu nutzen! Skandal! Eine Reporterin recherchiert zu feministischen Pornos, bei der der Feminismus offenbar vor allem darin besteht, dass viele Frauen zu sehen sind. Und Gustavs Chefredakteurs-Gattin verdankt ihre Karriere der Freundschaft ihres Herausgebers mit einem Minister, dessen sexuelle Übergriffe sie erfolgreich vertuscht hat. Immer was los im Käfig voller Narren.

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