Kriegsfilm "Mosul" auf Netflix:Was der Terror weckt

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Beim Kampf gegen den IS in Mossul sind die Amerikaner nur noch eine ferne Erinnerung: Szene mit Suhail Dabbach (links) und Adam Bessa. (Foto: Netflix/Netflix)

Matthew Michael Carnahans "Mosul" spielt während der letzten, grausamen Rückzugsgefechte des "Islamischen Staats" im Nordirak - und zeigt, dass selbst amerikanische Kriegsfilme lernfähig sind. Alle Figuren sind Araber, und es gibt kein einziges weißes Gesicht vor der Kamera.

Von Nicolas Freund

Alles ging ganz schnell: Wo Kawa steht, haben gerade noch zwei Scharfschützen des "Islamischen Staats" wahllos auf flüchtende Menschen geschossen. Beide sind jetzt tot, der junge Anti-IS-Kämpfer (Adam Bessa) hat zusammen mit seinem Team das Dach der Bauruine gestürmt. Kawa zündet sich eine Zigarette an, sie stammt aus dem Päckchen eines der toten Feinde, und schaut auf die Straße hinunter. Dort liegen noch die Leichen, dort schüttelt eine Mutter immer wieder ihr totes Kind, als würde es vielleicht doch nur schlafen. Im Staub daneben liegt ein Stofftier.

Dann folgt in Matthew Michael Carnahans "Mosul" eine Szene, wie es sie in Kriegsfilmen selten zu sehen gibt: Die Mutter schaut nach oben und erwidert Kawas Blick, sie richtet sich gerade auf und starrt ihn an. Er steht genau dort, woher die Schüsse kamen. Sieht sie ihn als Beschützer und Retter? Oder denkt sie, er hat ihr Kind erschossen und besitzt nun die Unverfrorenheit, ihr rauchend bei ihrer Trauer zuzusehen? Oder sieht sie ihn einfach nur als einen der Männer, die hier, in dieser doch längst zerstörten Stadt, endlos Krieg führen, wofür oder wogegen auch immer, die nichts als Leid bringen und nun auch ihren Sohn auf dem Gewissen haben? Man weiß es nicht. Aber allein diese Frage, die Carnahan sich in diesem ruhigen, verstörenden Moment erlaubt, zeigt schon, dass "Mosul" etwas anders macht als die meisten Kriegsfilme.

Der Film spielt im Frühjahr 2017, in den letzten Wochen der Großoffensive kurdischer und irakischer Streitkräfte, mit der die Kämpfer des "Islamischen Staats" (IS), hier von allen nach der arabischen Abkürzung "Daesh" genannt, aus ihrer einstigen Hochburg Mossul im Nordirak vertrieben werden sollten. Letzte Anhänger des IS haben sich in der Medina, der Altstadt verschanzt, es tobt ein erbitterter Häuserkampf in einer apokalyptischen Landschaft aus Kriegsruinen, alles gefilmt mit messerscharfen Kontrasten. Eigentlich ist man bei solchen Bildern längst auf amerikanische Soldaten konditioniert. Die fehlen in diesem Film aber vollständig. Irgendwie helfen sie zwar im Hintergrund immer noch mit, aber eigentlich sind sie bereits eine ferne Erinnerung.

Es wird durchweg Arabisch gesprochen - Streaming hat die Globalisierung des Erzählens vollendet

Denn "Mosul" hat andere Akteure, Iraker und Kurden, das ist das Besondere an diesem Film: Matthew Michael Carnahan, der Autor und Regisseur ("Deepwater Horizon", "World War Z"), ist zwar Amerikaner, ebenso wie seine Produzenten, die für ihre Marvel-Blockbuster bekannten Russo-Brüder, und der Kameramann Mauro Fiore etwa stammt aus Italien. Dieses westliche Team hat aber ganz bewusst einen ungewohnten Erzählraum geöffnet: Ohne weiße Begleiter und Hauptfiguren, ohne den westlichen Blick, dem alles erst mühsam erklärt werden muss. Vor der Kamera gibt es kein einziges weißes Gesicht mehr, es wird durchweg Arabisch gesprochen. Das hätte es, bevor Streaming das Denken in Hollywood aufsprengte und die Globalisierung des Erzählens vollendete, nie gegeben. "Mosul" ist, wie so viele Filme in Lockdown-Zeiten, eine Netflix-Premiere.

Obwohl eindeutig am Action-Kino geschult, hat die Kamera, wie sie den Figuren durch die verstaubten Gassen und Häuserruinen folgt, manchmal etwas fast Dokumentarisches oder Journalistisches. Das liegt auch an dem Material, auf dem der Film basiert: 2017 erschien in dem Magazin The New Yorker ein Artikel über eine Spezialeinheit aus Mossul, deren Mitglieder alle eine geliebte Person durch den IS verloren hatten oder bei Kämpfen gegen ihn verwundet worden waren.

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Das sogenannte "Niniveh SWAT Team" hatte den Ruf extremer Tödlichkeit, die Mitglieder dieser Einheit waren die einzigen Kämpfer, denen der IS im Falle einer Gefangennahme nicht anbot, sich ihnen anzuschließen, sondern sie sofort hinrichtete. Von den Fotos zu dem Artikel starren den Leser tief entschlossene Männer an, deren Augen zu sagen scheinen, dass es jetzt wirklich genug ist. So bedrohlich der IS sein mag - in diesen Männern hat er etwas geweckt, das fast noch mehr Angst macht. Besonders das versteinerte Gesicht des Anführers der Truppe im Film, Jasem (gespielt vom Iraker Suhail Dabbach), kommt an diese Bilder heran und lässt erahnen, dass hinter der harten Fassade keine Ruhe herrscht.

Die Kampfszenen in "Mosul" sind inszeniert wie ein hektischer amerikanischer Militärfilm, in Humvee-Jeeps mit Totenkopf-Logo brettert das Team durch die Ruinenstadt, liefert sich Feuergefechte und macht keine Gefangenen. Feinde, die ihnen lebend in die Hände fallen, werden sofort exekutiert - da ist Kawa, der vorher einfacher Polizist war und nach dem Tod seines Onkels rekrutiert wird, zunächst doch schockiert. Aber dann ist es umso überraschender, wie viel Zeit sich der Film nimmt, den Männern dieser Truppe näherzukommen - wenn sie ihre Wasserpfeifen auspacken, kuwaitische Soaps anschauen oder seelenruhig beten, selbst wenn der Rest des Teams sich gerade wegen des weiteren Vorgehens mit hochroten Köpfen anschreit.

Männer wie Kawa und Jasem sind sonst im Kino ja meist namens- und gesichtslos, im besten Fall Kanonenfutter neben heroischen GIs oder gleich die Feinde der Amerikaner, weil sie Araber sind. Ganz ohne Amerikaner aber rückt sofort eine größere Vielfalt in den Blick. Dass es entscheidende Unterschiede zwischen verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen gibt, weiß Carnahan, inszeniert es aber beiläufig. In kleinen Gesten, die etwa Jasems Ordnungswahn zeigen, werden tote Väter, Söhne und Brüder evoziert, an deren Stelle nun die Waffengefährten getreten sind. Von Frauen wird kaum gesprochen, außer sie kommen in einer Soap vor. Aber oft ist das, worüber niemand sprechen möchte, ja das, worum es eigentlich geht.

Auch Stereotype des Militärischen werden dekonstruiert: Heroisch ist hier nichts, Menschen sterben in den Gefechten sehr schnell und sehr unspektakulär. Ein falscher Schritt, eine unachtsame Bewegung kann die Flugbahn einer Kugel kreuzen oder eine Sprengfalle auslösen. Auch so unterläuft der Film oft die erwarteten Erzählmuster: Nur weil jemand zuvor als sympathisch und cool charakterisiert wurde, ist er keineswegs vor einem plötzlichen bitteren Ende geschützt.

"Mosul" ist ein unbequemer Film, der dem Zuschauer viel zumutet und ihm große Aufmerksamkeit abverlangt, wenn er das Gezeigte ganz durchdringen will. Anders als seine manchmal hektisch-spektakuläre Inszenierung vermuten lässt, ist er aber kein aufdringlicher Film. Worum es eigentlich geht, das findet still und in kleinsten Details statt, die einen klugen und menschlichen Blick offenbaren. So gelingt Carnahan, fast wie nebenbei, auch eine kleine Ehrenrettung des amerikanischen Actionfilms.

Mosul, USA 2019 - Regie und Buch: Matthew Michael Carnahan. Kamera: Mauro Fiore. Mit: Adam Bessa, Suhail Dabbach, Waleed Elgadi, Hayat Kamille. Image Nation, 101 Minuten. Auf Netflix.

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