Modigliani-Ausstellung in Wien:Kopf an Kopf

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Eine Ausstellung in der Wiener Albertina widmet sich dem Sammler- und Fälscherliebling Amedeo Modigliani und wagt einen kühnen Vergleich seiner Bedeutung mit der von Picasso.

Von Almuth Spiegler

Eine Modigliani-Ausstellung bietet jedem Museum ein enormes Besucherpotenzial. Aber eben auch enorm viele Fallen. Immerhin ist in der Wiener Albertina bisher nicht die Polizei angerückt. So war es 2017 im Palazzo Ducale in Genua, als die Fahnder ein Drittel der 60 ausgestellten Werke beschlagnahmten, da es sich um Fälschungen handelte; Amedeo Modigliani gilt aufgrund seines großen Wiedererkennungswerts als ein Liebling der Fälscher. Er ist - seine Nackten stehen mit 170 und 157 Millionen Dollar auf den Plätzen drei und vier der zu Höchstpreisen versteigerten Gemälde - auch einer der teuersten.

Eine dramatische Aktion wie damals ist in Wien nicht zu erwarten. Hat sich das Museum für seine in ihrer zeitlichen und stilistischen Konzentration fulminante Schau doch den Mann als Kurator gesichert, der damals maßgeblich mitwirkte an der Entlarvung der Fälschungen und der vorzeitigen Schließung der Ausstellung: den streitbaren französischen Experten Marc Restellini.

Für eine reine Retrospektive hätte er aber nicht zur Verfügung gestanden, betont Restellini. Sehr wohl aber dafür, seine seit mittlerweile 20 Jahren verfolgte Mission Ausstellung werden zu lassen: Modigliani von seinem Image als gefälliger Luxus-Kitschist zu lösen und als ein mit Picasso gleichwertiges Genie in der Kunstgeschichte zu verankern. Um es gleich zu sagen: Das gelingt ihm in dieser mit 120 Gemälden, davon 52 von Modigliani, reich ausgestatteten Schau nicht. Um soviel vielfältiger, innovativer und kühner war Picasso im Lauf seiner langen Karriere.

Hat Modigliani Picasso vom Kubismus abgebracht und zum "Primitivismus? inspiriert?

Das kurze Leben Modiglianis aber, der 1920 mit nur 35 Jahren völlig verarmt an Tuberkulose starb, kreuzte sich jedoch an einem kunsthistorisch wesentlichen Punkt mit dem Picassos. Ihre Bekanntschaft, über deren Qualität man allerdings nichts genaues weiß, könnte sogar eine Schlüsselrolle gespielt haben, Picasso vom Kubismus abzubringen, einen neuen Weg einzuschlagen: den "Primitivismus". Da ist es, dieses Wort, das hier in Anführungszeichen steht, im Untertitel der Albertina-Schau - "Revolution des Primitivismus" - aber nicht.

Gemeint ist damit die Kunst, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Begeisterung einiger Avantgardisten wie Picasso, Derain, Brancusi und eben Modigliani für außereuropäische, vor allem afrikanische Kunst entstand. Man verwende das Wort als eingeführten kunsthistorischen Begriff wie man auch Epochenbezeichnungen wie Impressionismus oder Fauvismus ohne Anführungszeichen verwende, die ebenfalls einer ursprünglich negativen Beschreibung entspringen, versuchte Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder einige empörte Stimmen zu beruhigen. In sich nicht logisch, wurden als "Primitivisten" schließlich nicht nur die Pariser Künstler tituliert, die sich derart an der kolonialen Beute "gütlich" taten, sondern auch die derart Ausgebeuteten selbst.

Die Diskussion führt nicht sehr weit, die Anführungszeichen hätten trotzdem nicht geschadet. Sie hätten auch der Begriffserklärung gleich am Beginn der Schau mehr Gewicht verliehen. Ebenfalls von Beginn an wird aber durch die intensive Inszenierung auch die Faszination klar, die Modigliani, Picasso und ein paar andere wenige ab 1906 so zu beherrschen begann: Die Faszination für die Objekte, die sie in den Sammlungen des Louvre und im ethnografischen Museum in Paris zu entdecken begannen. In den klaren, starken, archaischen Formen glaubten sie einen Zauber des Ursprungs der Kunst und einen Ausweg aus dem Akademismus gefunden zu haben.

Er malt maskenhafte Gesichter, leere Augen - eine erstaunliche Konsequenz

Picasso malte seine "Demoiselles d'Avignon" (1907). Modigliani meißelte nach seiner Ankunft in Paris 1906 bis 1914 stilisierte, starr-schöne Frauenköpfe aus Kalksandstein, er verstand sich vorrangig als Bildhauer. Erst als seine ohnehin schwache Gesundheit weiter nachließ, begann er zu malen - unzählige Frauenporträts und Frauenakte, immer auf der Suche nach einer zeitlosen und universellen, also die Jahrhunderte und die Kulturen umfassenden Schönheit. Diesem durchaus spirituellen Vorhaben - seine Skulpturen dachte er ursprünglich als Tempel-Figuren - opferte er die Lebendigkeit seiner Bilder. Die Gliedmaßen werden manieristisch gelängt, die Gesichter bleiben maskenhaft, die Augen leer, fast blind. Und das in unzähligen Variationen, eine beeindruckende wie befremdende Konsequenz.

Wie genau er sich oft an seine asiatischen, ägyptischen, indischen, antiken, afrikanischen Vorbilder hielt, wird anhand einiger direkter Gegenüberstellungen klar gemacht, etwa mit den zartesten kykladischen Inselidolen aus Marmor, entstanden 2800 v. Chr. aus dem Louvre oder Reliquienköpfen der zentralfrikanischen Fang. Diese sehr überlegt zusammengestellte Mischung mit Objekten, die Modigliani gekannt haben muss, macht den großen Reiz dieser Ausstellung aus, die das übliche biografische Drama um seinen frühen Tod, seine Armut und das grausame Schicksal seiner schwangeren Geliebten, der Malerin Jeanne Hébuterne, die wenige Tage nach seinem Tod den ihren wählte, in den Hintergrund rückt.

Davor darf man versuchen, Restellini zu folgen, für den Modigliani und Picasso die wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts sind, und der sie - vergleichbar mit Michelangelo und Leonardo - als Paar inszeniert: Modigliani als den Intellektuellen, Picasso als den Intuitiven. Dabei hat Modigliani dem Kollegen das "Savoir", also das Können, das Wissen direkt eingeschrieben - gleich neben dessen Kopf, den er 1914/15 malte. Erstmals seit rund 50 Jahren ist dieses eine von zwei Porträts, für das ihm Picasso Modell gesessen hat, in der Albertina wieder zu sehen. Modigliani dürfte der einzige gewesen sein, dem Picasso diese Ehre und diese Geduld zu Teil werden ließ. Denn Modigliani war bekannt dafür, dass er sich lange Zeit nahm für seine Porträts.

Langer Atem scheint sich bei Modigliani auszuzahlen: Durch die pandemiebedingte einjährige Verschiebung der Ausstellung, die zu Modiglianis 100. Todesjahr 2020 geplant gewesen ist, habe er sogar einige weitere, vorher nicht verfügbare Leihgaben bekommen, so Restellini. 2022 soll endlich der Catalogue Raisonné erscheinen, an dem er seit 26 Jahren arbeitet. Er soll 80 Werke mehr umfassen als das bisherige Standardwerk von Ambrogio Ceroni. Garantiert ohne Fälschungen, meint Restellini, der ein eigenes Labor in seinem privaten Institut für Untersuchungen eingerichtet hat. Modigliani, sagt er, bringe die Leute nun einmal zum Träumen. Oder mache sie verrückt. Vielleicht ja manchmal auch beides.

Modigliani. Revolution des Primitivismus. Wien, Albertina. Bis 9. Januar. Der Katalog kostet 39,90 Euro.

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