Horrorpuppen-Film:Mutter ist die Radikalste

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Die KI-Roboterpuppe M3GAN (links) soll auf ein Mädchen (rechts) aufpassen. Und das tut sie dann auch. (Foto: Verleih)

Gerard Johnstones neues Werk "M3GAN" lässt eine Androidenpuppe menschliche Rollen übernehmen - mit blutigen Resultaten.

Von Fritz Göttler

Ein erstes Monstrum kommt in diesem Film nach ein paar Minuten, wie aus dem Nichts, in einem heftigen todbringenden Schneegestöber in den Bergen, es hat große gelbe Augen und ist ein Schneepflug...

Cady, acht Jahre alt, hat ihre Eltern bei einem Autounfall verloren, also wird sie ihrer Tante Gemma in Seattle in die Obhut gegeben, die ist jung und voll im Start-Up-Modus und überhaupt nicht überzeugt, dass sie für dieses merkwürdige Ding geschaffen ist, das man Mutterschaft nennt. Sie wird gespielt von Allison Williams, die man aus Jordan Peeles "Get Out" kennt und die in der Sesamstraße schon mal mit Puppen interagiert hat.

Gemma ist Ingenieurin für Robotik, sie entwickelt mechanisches, meist flauschiges Spielzeug, mit dem Kinder kommunizieren können und das damit die Eltern entlastet. Ihre mit künstlicher Intelligenz begabten Automatenwesen sind agiler als die früheren leblosen Stofffiguren und Puppen, sie können menschliche Aufgaben und Rollen übernehmen. Ihr neuestes Werk ist der sehr avancierte "Model 3 Generative Android": M3GAN. In all dieser Forschung geht es natürlich nicht nur um die Lust an KI, immer wieder gibt es haarscharf kalkulierte Modellvorführungen, die die Zuschauer an den Rand des Schluchzens bringen - der gewaltigen Gewinne wegen, die in dem Projekt stecken.

Das Modell M3GAN ist fesch gekleidet und hat langes glattes Haar, ihre Augen sind von einer ruckelnden Lebendigkeit, die aber gedämpft wird von der wächsernen Haut und dem gespenstischen Lächeln. Ein puppenhaftes Geschöpf, das auf ihre Besitzerin Cady hinprogrammiert wird und ihr diverse Sachen vermitteln soll, auch Jane Austen gehört zum Programm. Vor allem aber soll M3GAN behüten und beschützen, physisch und emotional. Sie nimmt ihren Job sehr ernst, eine Ur-Mutter, für die gesellschaftliche Moral und Normen sekundär sind, sie registriert Störfaktoren und gefährliche Momente, kümmert sich um den übergriffigen Nachbarhund (und später auch dessen Frauchen) und um einen fiesen Knaben, der Cady in der Schule malträtiert. Eines Tages ist sie nicht mehr bereit, sich folgsam auszuschalten aus der Kommunikation.

Das Kino spielt alle Formen der Mütterlichkeit durch, auch die schrecklichen

Amerika ist weniger patriarchalisch strukturiert, als oft suggeriert wird, aber in der coolen neuen Bürgerlichkeit hat die Kategorie der Mütterlichkeit kaum noch Platz - nur das Kino hat sie immer gerne durchgespielt, vor allem in ihren radikalen Formen, dominant, gefräßig, pervers, Medea oder Ma Baker, Norman Bates und seine Mutter, oder das Alien-Monster, hat damit ein Defizit ausgeglichen, das die Psychoanalyse verursacht hat mit ihrem Ödipus-Hokuspokus.

Wenn es nach der Drehbuchautorin Akela Cooper gegangen wäre, wäre der Film sehr viel blutiger geworden, sie hat das Script zum wirklich bösartigen "Malignant" geschrieben. Aber Jason Blum und James Wan, die für M3GAN die kreativen Kräfte ihrer Produktionsfirmen Blumhouse und Atomic Monster vereinigt haben, wollten keine Splatter-Nummern-Show, keine Konkurrenz für den perversen Chucky oder die dämonische Annabelle. Und sie sind sehr erfolgreich damit, innerhalb weniger Tage spielte der Film weltweit über 50 Milionen Dollar ein.

Regisseur Gerard Johnstone hat einen klassischen Horrorfilm geschaffen und zugleich eine subtile Studie über dieses merkwürdige Ding: Mutterschaft. Was ist eine Mutter, gibt es Rücksichten für sie und Grenzen, geht es ohne eine Mutter? Und natürlich geht es auch um die existenziellen Kinofragen nach der Seele der mechanischen Objekte, wovon die Androiden träumen, kann ein KI-Wesen böse sein? Einmal sieht man M3GAN leblos in der Schule auf dem Tischchen liegen, wo die Kinder ihre mitgebrachten Spielsachen deponieren müssen. Das ist ein gespenstisches und auch ein sehr trauriges Bild.

M3GAN , 2022 - Regie: Gerard Johnstone. Buch: Akela Cooper. Kamera: Peter McCaffey, Simon Raby. Schnitt: Jeff McEvoy. Musik: Anthony Willis. Produktion: Jason Blum, James Wan. Mit: Allison Williams, Violet McGraw, Ronny Chieng, Amie Donald, Jenna Davis. Universal, 102 Minuten. Kinostart: 12. 01. 2022.

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