Comic:Bin ich schön?

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Wanderjahre einer Kaiserin: Liv Strömquist lässt eine gealterte Sisi durch labyrinthische Landschaften der Vergänglichkeit laufen. (Foto: Liv Strömquist/Avant Verlag)

Warum wir jede noch so doofe Mode mitmachen und neidisch werden bei Frauen mit Wespentaille: Liv Strömquist denkt in ihrem Comic "Im Spiegelsaal" über Schönheit nach und die Tyrannei der Bilder.

Von Martina Knoben

Warum, fragt die schwedische Comic-Bestsellerautorin Liv Strömquist in ihrem neuen Buch, fühlen junge Frauen, die ein Bild von - sagen wir: Kylie Jenner - sehen, nicht das Gleiche wie zum Beispiel beim Anblick eines wunderschönen Sonnenuntergangs? Stattdessen vielleicht Minderwertigkeitsgefühle, Neid, Wut oder das Bedürfnis, ein teures Hautpflegeprodukt zu kaufen?

Das Thema "Schönheit" wird inzwischen oft Frauenzeitschriften und Promi-Blogs zugesprochen, dabei ist Schönheit (neben dem Wahren und dem Guten) ein klassisches Feld der Philosophie. Auch war sie lange immer einer der wichtigsten Lebensparameter und ist heute, dank Internet und Social Media, vielleicht lebensbestimmender denn je. Schon Zehnjährige wissen, wie sie sich für Instagram zu schminken haben, welches Licht und welcher Filter gut kommt. Warum wird Schönheit so sehr belohnt (und warum war das früher anders)? Warum lieben wir heute das Glatte? Und was hat Vergänglichkeit damit zu tun?

Es treten auf: Kylie Jenner, Schneewittchens (Stief-)Mutter, Nofretete, Kaiserin Sisi

Dass die schwedische Comicautorin sich des Themas annimmt, überrascht nicht. Mit feministischem Blick hatte sie zuletzt die Bedingungen der Liebe im Spätkapitalismus in ihrem Buch "Ich fühl's nicht" untersucht; sie hat männliche Genies vom Sockel geholt in "I'm Every Woman" und in "Der Ursprung der Welt" die Kulturgeschichte der Vulva erzählt. Nun also Schönheit. Fünf Essays, jedes ein Buchkapitel, nähern sich dem Thema mit unterschiedlicher Perspektive an. Anschauungsmaterial liefern historische Personen, Märchenfiguren oder heute lebende Frauen, die für ihr Aussehen berühmt sind: Neben Kylie Jenner treten etwa Schneewittchens (Stief-)Mutter, Nofretete, Sisi, Kim Kardashian oder Rachel und Lea aus dem ersten Buch Mose auf.

Strömquists Stil ist ein satirisch-punkiger Sachcomic-Stil, klug und ziemlich respektlos. Sie reist durch 2000 Jahre Kulturgeschichte und zitiert, wie schon in früheren Büchern, bekannte Philosophen, Historikerinnen oder Soziologinnen als Kronzeugen für ihre Thesen. Beginnend mit dem französischen Philosophen René Girard und seiner mimetischen Theorie: Der Mensch begehrt, was andere begehren. Deshalb machen wir jede noch so bekloppte Mode mit. Die Historikerin Stephanie Coontz wird mit Aussagen aus ihrer "Geschichte der Ehe" erwähnt: Während in der frühen Versorgungsgemeinschaft Sexyness keine große Rolle spielte, wurde sie essenziell auf dem freien Liebesmarkt nach der sexuellen Revolution. Der Standard im Spätkapitalismus: "Man muss sexy sein, auch wenn man gar nicht nach Liebe sucht ... weil ,Sexyness' ... zu einem eigenen Wert geworden ist, der den eigenen Status signalisiert."

Liv Strömquist: Im Spiegelsaal. Comic. Aus dem Schwedischen von Katharina Erben. Avant Verlag, Berlin 2021. 168 Seiten, 20 Euro. (Foto: N/A)

So ganz neu ist das alles nicht, aber Strömquists Schlussfolgerungen werden so prägnant und unterhaltsam präsentiert, dass man das Buch jeder Instagram-hungrigen 15-Jährigen sofort in die Hand drücken möchte. Ein leicht wegzulesendes Buch als Wartezimmer-Ersatz für die Frauenzeitschrift ist "Im Spiegelsaal" allerdings nicht. Dafür ist die Struktur zu labyrinthisch - was der verzwickten Thematik entspricht und die Schönheitsfalle ganz gut nachbildet, in der wir alle stecken.

Ein Lichtblick immerhin sind Zitate aus Interviews mit fünf Frauen im Alter von 53 bis 73 Jahren, die Strömquist aufgeschrieben und illustriert hat. Im Wettstreit um die Krone der Schönsten dürfte keine von ihnen mehr eine Chance haben; sie machen sich als ältere Frauen ihren ganz eigenen Reim auf das Thema "Schönheit". Eine hat sich vom Weltlichen schon weitgehend gelöst, eine andere verteidigt Schönheitsoperationen, weil Schönheit demokratisch sei: "Es ist eine Ressource, die sich Menschen, die sonst keine Ressourcen haben, zu Nutze machen können." Strömquist hat die Auftritte dieser Frauen mit märchenhaften Attributen versehen - sie hat sie als Königinnen inszeniert.

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