Little Britain:Skelette, so wunderschön

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Auf dem Rücksitz unterwegs an die Enden der Stadt. Keinen Penny Geld in der Tasche. Ein Glück, dass John in der Londoner Nacht zu den Wissenden gehört.

Christian Zaschke, London

Das Taxi rumpelte durch die nächtlichen Straßen. Der Fahrer zögerte an keiner Kreuzung, er kannte den Weg. Londoner Taxifahrer müssen jede der 25.000 Straßen in einem Zehn-Kilometer-Radius um Charing Cross kennen. Wer eine Lizenz für ein Londoner Taxi haben will, muss zudem 320 Routen durch die Stadt auswendig lernen.

Wer ein schwarzes Londoner Taxi steuert, hat drei bis vier Jahre damit zugebracht, die Straßennamen zu lernen. (Foto: DPA-SZ)

Der Fahrer hieß John. Er sagte, ich solle ihn als "John Black Cab" in meinem Telefon speichern. Dann könne ich ihn immer anrufen, wenn ich einen Wagen brauche, und wenn er gerade in der Nähe sei, käme er sogar vorbei. Mit gefiel die Idee, einen Privat-Taxifahrer zu haben, der nur vorbeikommt, wenn's ihm grad in den Kram passt. Also tippte ich seine Nummer ins Telefon.

Als wir meine Wohnung erreichten, stieg ich aus. Bei schwarzen Taxis gilt: erst aussteigen, dann durchs Fenster zahlen. In Minicabs zahlt man im Auto. So ist die Regel. Ich griff in die Innentasche meiner Jacke, in der sich normalweise mein Portemonnaie befindet, und fand dort Leere. Ich griff in jede andere Tasche der Jacke und fand dort Schlüssel, Telefon, U-Bahn-Karte und Fisherman's Friend, Geschmacksrichtung schwarze Johannisbeere.

Wer ein schwarzes Londoner Taxi steuert, hat drei bis vier Jahre damit zugebracht, die Straßennamen zu lernen. In dieser Zeit durchqueren die künftigen Fahrer die Stadt wieder und wieder auf einem Motorroller. Sie sind überall: Männer auf Rollern, die sich die Gegend einprägen. Selten sieht man eine Frau. Am Ende legen die Fahrer einen Test ab, der "The Knowledge" heißt, das Wissen.

Ich erzählte John die Wahrheit: Ich hatte geträumt, dass ich mein Portemonnaie verlieren würde. Nun war es passiert. Er schaute mich voller Skepsis an. Ich rief zehn Mal bei G. an, bei dem ich zu Abend gegessen hatte, aber es ging niemand mehr ran. John fragte: "Du hast wirklich geträumt, dass du dein Portemonnaie verlieren würdest?" Ich nickte. John dachte nach. Dann sagte er: "Du hast meine Nummer" und rumpelte in die Nacht. Entweder war er der naivste Taxifahrer der Stadt oder ein großer Menschenkenner.

In meiner Wohnung kramte ich eine vergessene CD der Band Suede aus dem Regal und hörte ein Lied, in dem es erfrischend sinnlos heißt: Manchmal fliegen wir in einem Taxi an die Enden der Stadt, wie große Sterne auf dem Rücksitz, wie Skelette so wunderschön. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, rief G. an, um zu fragen, wie ich den Taxifahrer bezahlt hätte, da ja mein Portemonnaie bei ihm auf dem Küchentisch liege.

Ich sah mein Handy durch und fand tatsächlich den Eintrag "John Black Cab". Er ging beim zweiten Klingeln ran und sagte: "Ich wusste, dass du anrufen würdest."

© SZ vom 18.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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