Leipziger Buchpreis:Doppelt hält schlechter

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Kopieren ist kein Kavaliersdelikt, ein Preis für ein geklautes Buch würde den Betrug bagatellisieren. Eine Leipziger Erklärung vor der möglichen Verleihung des Buchpreises an Helene Hegemann.

Lothar Müller

Die Leipziger Buchmesse, die an diesem Mittwoch eröffnet wird, hat schon vor Beginn ihr erstes großes Thema gefunden: das Urheberrecht. Der Verband deutscher Schriftsteller (VS), der Gewerkschaft Verdi angeschlossen, hat vorab eine "Leipziger Erklärung zum Schutz des geistigen Eigentums" veröffentlicht. Sie beginnt so: "Wenn ein Plagiat als preiswürdig erachtet wird, wenn geistiger Diebstahl und Verfälschungen als Kunst hingenommen werden, demonstriert diese Einstellung eine fahrlässige Akzeptanz von Rechtsverstößen im etablierten Literaturbetrieb."

Die alte Garde schlägt zurück

Der Satz spielt, ohne den Namen der Autorin oder des Buches zu nennen, auf das im Januar erschienene und sogleich für den Leipziger Buchpreis 2010 nominierte Romandebüt Axolotl von Helene Hegemann an, das in der ersten Auflage unausgewiesen zahlreiche Zitate aus einem - auch gedruckt erschienenem - Internettagebuch enthielt. Weil zu den Erstunterzeichnern der Leipziger Erklärung Günter Grass, Erich Loest und Christa Wolf gehören, lässt sich nun, wie geschehen, leicht titeln: "Die alte Garde schlägt zurück."

Nun ist aber weder Hinrich Schmidt-Henkel, der Vorsitzende des Verbandes deutscher Übersetzer, ein Methusalem, noch ist es sehr charmant, die Leipziger Preisträgerin des Vorjahres, Sibylle Lewitscharoff, die ebenfalls zu den Erstunterzeichnern gehört, der alten Garde zuzuordnen. Weder die Neigung zu Plagiaten noch zu Plagiatsvorwürfen ist an das Lebensalter gebunden, auch wenn die Verfasser der Leipziger Erklärung selbst dies nahelegen: "Kopieren ohne Einwilligung und Nennung des geistigen Schöpfers wird in der jüngeren Generation, auch auf Grund von Unkenntnis über den Wert kreativer Leistungen als Kavaliersdelikt angesehen. Es ist aber eindeutig sträflich - ebenso wie die Unterstützung eines solchen 'Kunstverständnisses'."

Kafka darf man abschreiben

Es ist nicht die Jugend, sondern ein junges Medium, das die Diskussionen über das Urheberrecht auf die Tagesordnung gesetzt hat. Das Internet stellt Kanäle für die Zirkulation von Textkopien bereit, die technisch auf die Unterscheidung von freien und urheberrechtlich geschützten Werken nicht Rücksicht nehmen. Die Interventionen gegen das fraglose Einscannen auch geschützter Werke durch Unternehmen wie Google sind der erkennbar Hintergrund der Leipziger Erklärung. Ihre Pointe aber liegt in der Verknüpfung der Sorge um das Urheberrecht mit dem aktuellen Plagiatsfall, den es anonym zitiert, in der unmissverständlichen Mitteilung an die Leipziger Jury, sie habe durch die Nominierung des Buches das Plagiieren zugleich bagatellisiert und nobilitiert.

Über den literarischen Rang eines Werkes ist nicht schon dadurch ein Urteil gefällt, dass es unausgewiesene Zitate enthält. Eben dies erkennt die Leipziger Erklärung selber an: "Jedes literarische Werk ist ein originäres Kunstwerk. Das gilt für alle Arten von Techniken der Texterstellung, auch für literarische Collagen."

Erst durch diesen Satz erreicht die Erklärung das geltende Urheberrecht. Denn das Urheberrecht kennt keinen spezifischen Plagiatstatbestand, nur die Verletzung des Urheberrechts durch die unrechtmäßige Aneignung der Werke anderer. Unrechtmäßig angeeignet werden können naturgemäß nur solche Werke, die urheberrechtlich geschützt sind. Platon gehört nicht dazu, Kafka seit ein paar Jahren auch nicht mehr.

Das aber ist nur die eine Seite. Denn das Urheberrecht schützt nicht nur den Autor eines Werkes. Es sucht zugleich dem Umstand Rechnung zu tragen, dass einmal veröffentlichte Werke ein Eigenleben zu führen beginnen, in dem sich die Bindung an den Autor lockert. Dies wird dadurch befördert, dass Schriftsteller in aller Regel zugleich Leser sind und ihre Werke auf der Basis der Nutzung fremden Geistesgutes schaffen.

Kruder, simpler, anspruchsloser

Dem Umstand, dass Autoren daher ein Interesse nicht nur am Schutz des eigenen, sondern auch an der Nutzung fremder Werke haben, trägt Paragraph 24 im Urheberrechtsgesetz Rechnung: "Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen wird, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden." Damit ist eine Lizenz zur Nutzung auch urheberrechtlich geschützter Werke eröffnet. Sie ist aber an die anspruchsvolle Bedingung geknüpft, dass das neu entstehende Werk in unverkennbarer Eigenart dem Werk gegenübersteht, das es, etwa in Form der Collage oder Montage, in sich aufnimmt.

Über Axolotl Roadkill haben die Autorin, der Verlag und diejenigen Kritiker, die das Meisterwerk einer begabten Jungautorin entdeckt zu haben glauben, gerne von "Intertextualität", von "Collage" gesprochen. Das klang vage nach ästhetischem Raffinement. Der Roman selbst aber, vom Furor der Überbietung von Büchern wie Charlotte Roches Feuchtgebieten vorangetrieben, ist erkennbar kruder, simpler, anspruchsloser gestrickt. Er lebt in seiner literarischen Strategie von der Suggestion, unmittelbar aus dem Leben der fiktiven Heldin herausgeschrieben zu sein.

Hinter dem Modell des Tagebuchs zeichnet sich das der Reportage ab: Lasst euch berichten aus den euch unbekannten Regionen der Großstadtjugend von heute; hört ihren O-Ton. Mit diesem Gestus wurde das Buch vermarktet, ob seiner Authentizität wurde es teilweise bejubelt. Deswegen konnte es den Plagiatsvorwurf nicht überzeugend durch nachgereichte Quellenangaben oder Begriffe wie "Collage" oder "Intertextualität" kontern. Es hatte bei seinem ersten Auftritt allzu erfolgreich mit einem anderen Format kokettiert.

Übersteht die Jury die Attacke?

Es hatte im "Ich war da"-Gestus von dunklen Diskotheken berichtet, und so war es durch den Nachweis der Schilderung aus zweiter Hand ähnlich betroffen wie posthum diejenigen Texte des polnischen Reporters Ryszard Kapuscinski Schaden nahmen, in denen er von seinem vertrauten Umgang mit Che Guevara berichtete - den er nach jüngsten Recherchen nie getroffen hat. Der Axolotl-Roman hätte die Kollision zwischen scheinbarem O-Ton und angelesenem Leben nur als bedeutendes, eigenständiges literarisches Werk unbeschädigt überstehen können.

Zu den Fragen, die von der "Leipziger Erklärung" aufgeworfen werden, gehört nicht zuletzt die, ob und wie die Jury des Buchpreises auf diese Attacke reagiert.Über den konkreten Fall hinaus aber stellt sich die Frage nach dem verhältnis zwischen Urheberrecht und den Techniken der literarischen Collage.

In dem Marginalienband, den der Berlin Verlag 2001 der deutschen Ausgabe des großen Romans Harmonia Caelestis von Péter Esterházy mit auf den Weg gegeben hat, findet sich eine lange Liste der im Buch enthaltenen "Gasttexte". "Grass", steht da, schlicht und ohne Nennung eines Buchtitels. Was wo von Grass in Esterházys Roman selbst unausgewiesen zitiert ist, kann, aber muss der Leser nicht herausfinden.

Ein riskantes Verfahren

Ohne Anführungszeichen übernommen ist im Roman auch wortwörtlich ein ganzes Kapitel aus dem Buch eines Listen-Nachbarn von Grass, aus Sigfrid Gauchs Vaterspuren. Gauch hat sich darüber Anfang dieses Jahres öffentlich beschwert. Er hat das Urheberrecht auf seiner Seite; aber sein Text ist in eine eigenständige Inszenierung des Autors Esterházy eingegangen, der gleich im ersten Satz seines Romans einen Erzähler von kaum überbietbarer Unzuverlässigkeit eingesetzt hat: "Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt."

Dieser Erzähler wird zum Ich-Erzähler dadurch, dass er einen Vater hat. Der aber ist mehr als der leibliche Vater, er ist der Vater als grammatische Figur mit deutlich religiöser Prägung, eine Figur in der das "Vater unser" anklingt. In diese grammatische Figur hinein zitiert Esterhazy zahlreiche Fremdtexte, unausgewiesen und wörtlich. Ein riskantes Verfahren, aber er hat seine Collage als Collage ausgewiesen. Und vor allem: Der Roman, der dabei entstanden ist, weist ihn als souveränen Autor aus.

Im Video: Am 18. März wird der begehrte Preis der Leipziger Buchmesse verliehen. In den Kategorien Belletristik, Übersetzung und Sachbuch können sich jeweils fünf Autoren bzw. Übersetzer Hoffnungen auf die begehrte Auszeichnung machen.

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© SZ vom 17.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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