Lee Ufan in Berlin:Stahl, Steine, Scherben

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Lee Ufan in seiner Retrospektive im Hamburger Bahnhof. (Foto: © Lee Ufan. Courtesy of Studio Lee Ufan/Jacopo La Forgia/VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Der Künstler Lee Ufan wird in Berlin mit einer großen Retrospektive geehrt, die es in sich hat. Sogar Rembrandt ist als Überraschungsgast dabei.

Von Peter Richter

Sieht so aus, als solle man sich Sisyphos in Berlin jetzt nicht nur, wie seit Camus üblich, als glücklichen Menschen vorstellen. Sondern als einen älteren Herrn aus Japan, der im Hamburger Bahnhof, der sogenannten Nationalgalerie der Gegenwart, seine großen Steine liegen lässt, wo es ihm gefällt: einen auf einer Spiegelplatte, sodass man staunt, wie die davon keine Sprünge bekommen konnte, und einen anderen auf einer Spiegelplatte, die sehr wohl ein paar dekorative Sprünge davon getragen hat. Hier ist der Stein gezielt fallen gelassen worden.

Das ist zwar noch nicht ganz das, was "Geworfenheit" bei Heidegger meint. Aber Lee Ufan, 1936 im damals japanisch okkupierten Korea geboren und seit 1956 in Japan lebend, hat nun einmal nicht nur Kunst studiert, sondern auch Philosophie. Und er hat es dabei nun einmal sehr eindeutig mit den Europäern, mit Heidegger im Speziellen und mit den deutschen Idealisten, auch wenn er in seinen eigenen Schriften mitunter ein bisschen damit hadert, dass die das Sein so strikt hinter das Bewusstsein sortiert hatten.

Jedenfalls: Da zeigen sie im Hamburger Bahnhof mal einen Künstler, der von wirklich weit herkommt. Und dann bezieht sich dieser in Japan lebende Koreaner so ostentativ auf alteuropäische Mythologien und Denkschulen wie kaum jemand von hier. Es ist ja nicht nur die europäische Philosophie, was Ufan umtreibt, oder eben der Sisyphos-Mythos (tatsächlich aber wohl eher in der antiken Deutung als in der von Camus.) Es ist auch so, dass er offensiv das Zwiegespräch mit Europas Altmeistern sucht, er hat sich aus der Berliner Gemäldegalerie Rembrandts "Selbstbildnis mit Samtbarett" von 1634 geben lassen und selbst im Gegenzug eine Arbeit in der Gemäldegalerie installiert.

Ufan lässt sich nicht in eine Schublade mit der Aufschrift "fernöstlich" wegexotisieren

Das Rembrandt'sche Selbstbildnis, das immer schon leicht verdutzt aus seinem Rahmen schaute, hat jetzt tatsächlich allen Grund zum Staunen. Es schaut auf einen Raum voller weißer Kieselsteine mit wieder mal zwei kometenhaft hier eingeschlagenen Großklamotten, mittig dazwischen: ein langer Streifen Spiegelglas wie ein Teich im Steingarten. Darin kann Rembrandt sich nun spiegeln. Lee Ufan hat in einem hübschen kleinen Statement dazu beschrieben, wie Rembrandts Porträts nicht zufällig immer in halbdunklen Räumen präsentiert werden, weil sie von innen heraus zu leuchten scheinen. "Ein Leuchten aus den Tiefen des Gesichts" sei das, schreibt er, "aus den Tiefen der Menschheit und aus den Tiefen der Erde." Es sei "der Ruf des Lebens und seiner Existenz, der sich aus der Dunkelheit emporkämpft."

Rembrandts "Selbstbildnis mit Samtbarett" schaut verdutzt von der Wand. (Foto: Lee Ufan. Courtesy of Studio Lee Ufan/Jacopo La Forgia/VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Diese Wahrnehmung ist nun genauso wenig von der Hand zu weisen, wie die Kombination mit Steingarten und gläserner Wasserstraße inhaltlich besonders zwingend wirken würde. Aber signifikant - und erfreulich - ist diese Grußgeste durch die Jahrhunderte und Kulturen eben doch. In einer Zeit, in der gerade in der Gegenwartskunst ethnoidentitäre Fundamentalismen in aggressiver Blüte stehen, ist es schließlich schon eine Setzung für sich, wenn sie im Hamburger Bahnhof jetzt diesem Mann eine Retrospektive ausrichten, nachdem er vor 50 Jahren zum ersten Mal auf einer Gruppenausstellung in der Bundesrepublik gezeigt wurde. (In Düsseldorf, wo sonst?)

Die Kuratoren weisen zwar, schon der guten Ordnung halber, auf die Mono-ha-Schule in Japan hin und auf die Dansaekhwa-Bewegung aus Korea, denen Lee Ufan jeweils verbunden war, auch auf den besonderen Stellenwert von Leere und Nichts vor dem Hintergrund spezifisch japanischer Philosopheme. Aber deutlich wird vor allem die Aversion, sich in eine Schublade mit der Aufschrift "fernöstlich" wegexotisieren zu lassen, wie das bei frühen Ausstellungen im Westen zuweilen passiert ist. Der Anspruch dieser Kunst ist schon universal, und das ist ja auch nur billig, wenn der halbe Nachkriegskunstbetrieb des Westens sich mit Zen und anderen ostasiatischen Lehren auseinandersetzte.

Die verhuschenden Farbstreifen erinnern an den Film "Matrix"

Im Vergleich mit den amerikanischen und europäischen Spielarten des Minimalismus wird der von Lee Ufan schließlich nicht uninteressanter. Das ist besonders bei den Gemälden auffällig. Es gibt ja eine ganze Tradition der westlichen Malerei, deren ästhetisches Faszinosum man mit Wörtern wie peinture, brush work, pincelada oder halt Pinselschrift umschrieben hat. Rembrandt spielt dabei keine ganz geringe Rolle, und noch Roy Lichtenstein hatte immerhin eine Pop-Art-Huldigung auf den farbsatten Pinselstrich im Programm. Lee Ufan hatte das Ganze nun radikal auf die Grundmechanik des Malens an sich zurückgeführt: Erst hat ein Pinsel viel Farbe, dann gibt er sie ab und hat weniger.

Lee Ufan: From Point, 1973, Leim und Pigmente auf Leinwand (Foto: Lee Ufan/Courtesy Gallery Yonetsu, Tokyo/VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Als gelte es, diesem Alltagswissen in einer physikalischen Versuchsanordnung noch einen Beweis nachzuliefern, tupfte Lee immer wieder farbgetränkte Pinsel nebeneinander weg leer: Punkt neben Punkt, immer schwächer werdend. Bisschen wie ein Musiker, der einen Ton anschlägt und dann seinem Verhallen hinterherlauscht. Am Ende werden ersterbende Linien daraus. Exzellente Gelegenheit für Kenner der japanischen Malerei, hier den Finger zu heben und daran zu erinnern, dass das Weglassen und die Zwischenräume dort generell eine größere Rolle spielen als in der westlichen. Allerdings ebenfalls eine gute Gelegenheit für Leute, die mit amerikanischem Kino sozialisiert wurden, den Kopf mal seitlich zu legen: Wenn die horizontal verhuschenden Farbstreifen nämlich vertikal herunterregnen, sieht so ein Gemälde von Lee Ufan ziemlich exakt aus wie eine Wand der "Matrix" in den gleichnamigen Filmen der Wachowski-Geschwister, nur dass es dort stilisierte Codes, Algorithmen, Zahlenreihen sind, die Pinselstriche des Digitalen. (Und hier nun wiederum endlich Gelegenheit für Wachowski-Experten, auf den Einfluss japanischer Kultur, speziell von Animes, in diesen Filmen hinzuweisen ...)

Wie die Wände der "Matrix", nur horizontal und mit Farbe statt Zahlen: Gemälde von Lee Ufan in seiner Berliner Retrospektive (Foto: Lee Ufan. Courtesy of Studio Lee Ufan / Jacopo La Forgia/VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Bemerkenswert auch, dass derart gewaltige Steinbrocken auf Museumsfußböden im Westen zuletzt bei Maurizio Cattelan oder Alicja Kwade zu sehen waren, wo sie jeweils für Kometen oder Planeten standen, Gesteine als Gestirne. Bei Lee Ufan haben sie anscheinend eher Stellvertreterfunktion fürs Kreatürliche, womöglich sogar den Menschen. Einige wurden in einer Art Stuhlkreis platziert, der Künstler hat ihnen sogar echte Sitzkissen untergelegt. Sie treffen hier jedenfalls als Agenten roher, gewachsener Natur auf glatte, industrielle Oberflächen wie die Spiegel. Dass Erstere immer noch anorganisch sind, Letztere hingegen immerhin menschengemacht, ist natürlich eine Pointe, die unbedingt dazugehört.

Schließlich: Stahl. Auch so ein Lieblingsmaterial der Kunst, zweite Hälfte zwanzigstes Jahrhundert. Kalt und herrisch, wenn auch bei der Verarbeitung maximal heiß und formbar. Und schwer natürlich. Natürlich? Lee Ufan lehnt scheinbar leichter Hand ein paar Stahlplatten an die Wand, von denen einige von dort aus in den Raum schlittern, als wären es von einem Stapel gewehte Blätter aus Papier.

Vielleicht ist das tatsächlich die überraschendste Arbeit in dieser Ausstellung. Und hier ist der Vergleich mit Richard Serra und anderen Amerikanern und Europäern sogar unverzichtbar: Wie elementar und grundsätzlich gewichtig Stahl bei denen immer ist. Das macht Lee Ufans Arrangement nur noch charmanter.

"Lee Ufan", im Hamburger Bahnhof - Nationalgalerie der Gegenwart. Bis 28.4. Katalog 20 Euro.

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