Kurzkritik:Hölle als Hommage

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Die Underground-Größe Lydia Lunch in der Roten Sonne

Von Dirk Wagner, München

"Dein Konzert war viel zu kurz", sagt ein Fan zur New Yorker Underground-Ikone Lydia Lunch, die in der Roten Sonne nach einer Dreiviertelstunde die Bühne wieder verlassen hat. "Nein, Schätzchen, dein Leben ist zu lang", entgegnet diese. Denn ihre Konzerte dauern immer eine knappe Stunde. Was gemessen an der Intensität ihres Vortrags mehr als genug ist. An diesem Abend liefert sie zudem ein spezielles Programm zu Ehren des vor drei Jahren verstorbenen New Yorker Malers, Bildhauers und Sängers Alan Vega. Dessen Band Suicide gilt für den Punk als ebenso wegbereitend wie für den Techno, gehörte sie doch zu den ersten, die Synthesizer und Drumcomputer einsetzten. Unter anderem folgten sie damit schon 1977 dem Protagonisten des Songs "Frankie Teardrop" in die Hölle. Zehn Minuten lang erzählt der Song von dem 20-jährigen Familienvater, dem alles über den Kopf wächst und der darum erst Frau und Kind und dann sich selbst erschießt. Das heißt, er wird es tun. Denn der Text endet an der Stelle, wo Frankie das Gewehr auf jemanden richtet. Und selbst da bleibt offen, auf wen.

In der Roten Sonne schließt Lydia Lunch damit ihr Set, das gemeinsam mit dem französischen Künstler Marc Hurtado von Étant donnés am DJ-Pult Songs von Alan Vega neu aufbereitet. Songs von Suicide, aber auch Songs aus dem Spätwerk "Sniper", das 2010 als gemeinsames Album von Vega und Hurtado entstand. Von "Touch Me" über "Sniper" bis zum apokalyptischen "Frankie Teardrop". Und natürlich macht Lunch aus all diesen Songs wieder ihre eigenen Songs, die ohnehin schon immer große Gemeinsamkeiten mit Vegas Werk aufwiesen. Die Musik sei ihr dabei eigentlich egal, hatte die Spoken-Word-Künstlerin einmal behauptet. Für sie sei sie nur ein weiteres Vehikel für ihre Texte. Und prompt nutzt sie auch Vegas Musik für eigene Textzugaben.

Bei "Frankie Teardrop" formt sie ihre Finger zu einer Pistole, die sie nun dergestalt auf einzelne Zuschauer richtet, als ob sie diese nun abschießen täte. "Kill", schreit sie immer wieder. Einige Zuschauer schreien wie im Blutrausch: "Kill". Willkommen in der Hölle! Lydia Lunch nimmt ihre Flasche Wein und verlässt das Geschehen. Nach solchem Song ist keine Zugabe möglich. Irgendwann verlässt auch Hurtado die Bühne und schaltet das Alan Vega-Video ab, das von den meisten Zuschauern unbemerkt auf zwei Wände projiziert wurde.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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