Düsseldorf (dpa/lnw) - Wenige Worte, gewaltige Wirkung - mit ihren knappen Einzeilern rüttelt die US-Künstlerin Jenny Holzer seit bald 50 Jahren die Gesellschaft auf. Ihre provokanten Maxime sind auf Postern, Bänken, T-Shirts und als Leuchtbänder oder gigantische Lichtprojektionen auf Museums- und Gebäudefassaden überall in der Welt zu finden.
Im K21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf hat die 72-jährige Holzer nun das gesamte Untergeschoss mit ihren „Binsenweisheiten“ („Truisms“) und „Aufrührerischen Aufsätzen“ aus den 70er Jahren tapezieren lassen und zu einem spektakulären Gesamtkunstwerk zusammengefügt. Mehr als 5000 bunte Poster mit politischen und künstlerischen Kurzessays aus jeweils exakt 100 Worten in 20 Zeilen sowie weiße Plakate mit kurzen Sätzen in alphabetischer Reihenfolge hat Holzer einzeln an die riesigen Wände kleben lassen.
Holzers bisher größte Posterinstallation ist das Herzstück einer großen Überblicksausstellung, mit der die Kunstsammlung das Werk der US-amerikanischen Konzeptkünstlerin würdigt (bis 6. August). „Gutes Timing zeugt von Genie“, „Frauen lieben Macht“, „Jede Leistung verlangt Opfer“, „Körperkultur ist zweitrangig“, „Genieß das Leben, ändern kannst du doch nichts“ - über jeden einzelnen dieser einprägsamen Sätze ließe sich minutenlang nachdenken oder einfach nur lachen.
Holzers Sätze sind politisch, witzig, ironisch und manchmal auch komplett banal. Niemals aber spiegelten sie ihre eigene politische Meinung wieder, sagt Kunstsammlungs-Direktorin Susanne Gaensheimer. Holzers „verbaler Minimalismus“ zeichne sich durch eine „geradezu paradoxe Neutralität“ aus.
Krieg, Gewalt, Populismus sind bis heute Holzers Themen. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat sie ein LED-Band hoch an einer Wand angebracht. Auf dem bewusst kurzen Leuchtband reihen sich zweieinhalb Stunden Worte der Gewalt aneinander. Es sind Tagebucheintragungen von Kriegsopfern und sachliche Berichte der Vereinten Nationen über Kriegsverbrechen, Mord, Folter, Vergewaltigung in der Ukraine.
In ihre neueren Arbeiten hat Holzer auch zensierte Dokumente der US-Regierungsbehörden aus dem Jahr 2004 auf Leinwände übertragen. Hände von US-Soldaten, denen irakische Gefangene Misshandlungen vorwarfen, wurden geschwärzt. Verurteilt wurden die Soldaten nie. Auf einer kunstvoll mit Blattmetall verzierten „Wunschliste“ listet Holzer sogenannte „alternative Verhörmethoden“ der US-Armee auf, die nicht als Folter kategorisiert werden: Schlafentzug, Schläge mit dem Telefonbuch, Muskelermüdung, Elektroschocks.
„Die Ausstellung wird zu einem politischen Ort“, sagt Kuratorin Vivien Trommer. Holzer sammle die Themen Krieg, Gewalt, Zerstörung, Verbrechen und stelle sie zur Diskussion. Besonders drastisch: Ein Haufen echter menschlicher Knochen, die teilweise mit Silberringen versehen sind, auf denen Texte eingraviert wurden. Die Installation „Lustmord“ aus den 90er Jahren ist eine Reaktion auf Vergewaltigungen und sexuelle Gewalttaten im Bosnien-Krieg. Die Knochen sind ausgemusterte medizinische Unterrichtsmaterialien.
„I hate to write“, soll Holzer einmal gesagt haben. Ihre minimalistische Wortkunst aber hat sich in Köpfen der Menschen bis heute festgesetzt und auch nach Jahrzehnten nichts von ihrer Relevanz verloren.
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