Ausstellung zu Dantes "Göttlicher Komödie":Eine Topographie des Bösen

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Die Scuderie del Quirinale in Rom haben eine Kunst-Ausstellung zur Göttlichen Komödie inszeniert. Am Anfang steht ein Höllentor, am Ende ein Gemälde von Gerhard Richter.

Von Thomas Steinfeld

Diesen beiden Gestalten aus der Literaturgeschichte scheint kein italienisches Schulkind entkommen zu können: Die eine ist Pinocchio, das gutmütige, aber unzuverlässige Kind, das von einem schlimmen Abenteuer ins nächste gerät und immer wieder von einer Fee gerettet werden muss. Die andere ist Dante, der mittelalterliche Dichter, der in seiner "Göttlichen Komödie" durch die Hölle ging, von der obersten Etage, in der die "Sünder aus Maßlosigkeit" büßen, bis hinunter zu dem im Eis steckenden Teufel. Er kam schließlich im Himmel heraus. "Dante ist unser", sagte Papst Franziskus, als er im vergangenen Frühjahr den 700. Todestag des Dichters mit einem apostolischen Schreiben würdigte. "Jeder von uns", erklärte der Regisseur und Schauspieler Roberto Benigni aus demselben Anlass, "spürt, dass in uns ein unsterblicher Funke steckt, und Dante weiß es auch." Der eine sprach für die katholische Kirche, der andere für die Italiener, aber das "wir" dürfte weitaus größer sein als die Schnittmenge zwischen beiden.

Es gibt hier kein Entrinnen. Die Hölle ist da

In den Scuderie del Quirinale in Rom, dem ehemaligen Marstall einer ehemals päpstlichen Residenz, wird gegenwärtig eine Ausstellung zur Bildgeschichte des "Inferno" gezeigt, des ersten - und ob der darin entfalteten Grausamkeiten eindrücklichsten - Teils der "Divina Commedia". Die Schau, das letzte große Ereignis in einer langen Reihe von Veranstaltungen, die in diesem Jahr Dante gewidmet waren, ist nicht nur wegen seiner mehr als zweihundert Exponate monumental: Eröffnet wird sie durch einen Gipsabguss des "Höllentors" (1917), das dem Bildhauer Auguste Rodin zum unbewältigten Lebenswerk wurde und das man, obwohl mehr als sechs Meter hoch und mehrere Tonnen schwer, eigens aus Paris holen ließ. Daneben ist nun Fra Angelicos Flügelaltar "Jüngstes Gericht" (1425) zu sehen, eine der klassischen Darstellungen der kosmischen Teilung in Himmel und Hölle, Erlösung und Verdammnis. Und was in den nächsten Sälen folgt, angefangen bei Bildern von Hieronymus Bosch, Pieter Huys oder Jan Brueghel d. Ä., ist mehr als eine repräsentative Auswahl von Ansichten der Hölle aus der Frühen Neuzeit. Ein Weltzustand aus verrenkten und zerrissenen Menschenleibern, aus Teufeln und Ungeheuern wird in diesen Räumen dargeboten, so umfassend, dass jeder Besucher versteht: Es gibt hier kein Entrinnen. Die Hölle ist da.

Die Hölle ist im Glaubensbekenntnis nicht vorgesehen, ebenso wenig wie der Teufel. Sie ist eine späte Erfindung und ein Gegenstück zum Himmel. Erst gegen Ende des Mittelalters, beginnend im 11. und 12. Jahrhundert, gewinnt sie ein Gesicht, und sie tut es mit den Mitteln der Kunst. Im selben Maß, wie Macht und Herrlichkeit des Himmels wachsen, entfaltet sich auch das Gegenüber. So geordnet, wie Gottes Welt erscheint, von den obersten Engeln hinunter bis zum kleinsten Erdenwurm, so systematisch geht es auch im Reich des Bösen zu: Jeder Sünde ist eine Strafe zugeordnet, die das Vergehen in seiner Eigenart spiegelt, weswegen die Unglücklichen, die nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaubten, für alle Ewigkeit in glühenden Särgen liegen müssen. Die Strafen hindern die Verdammten im übrigen nicht daran, sich mit den Besuchern auf lange Gespräche einzulassen. Gelegentlich scheint in dieser Hölle bei Niedrigtemperatur gegart zu werden.

Für Dantes "Inferno" kommt hinzu, dass sich die Belegschaft der Hölle nicht zuletzt aus guten Bekannten des Dichters sowie aus prominenten und womöglich bewunderten Gestalten der Vergangenheit zusammensetzt. Die Hölle ist tatsächlich die Welt. Aus diesem Ineinander erklärt sich die andauernde Geltung der "Göttlichen Komödie", insbesondere des ersten Teils und zumindest für Italien: Dargestellt wird eine gesellschaftliche, tief in die Geschichte der Nation zurückreichende Einheit. Dante, der Wanderer durch Hölle, Fegefeuer und Paradies, dient darin als Mittler, unter dessen Führung sich das italienische Leben, so, wie es ist, in die Sphären eines höheren Sinns übertragen lässt. Aus demselben Grund ist die Ausstellung nicht streng chronologisch angelegt: Den Gemälden aus der frühen neuen Zeit werden bald Werke aus dem Barock oder aus dem 19. Jahrhundert hinzugesellt.

Eine "Topographie des Bösen" nennen der französische Kunsthistoriker Jean Clair und seine Frau Laura Bossi, die Kuratoren, ihre Ausstellung. Entsprechend systematisch gestalteten sie die Säle: Auf den "Höllenschlund" folgt der Abstieg in die tieferen Regionen, dann wird Bekanntschaft mit Dante und dessen Führer Vergil geschlossen, woraufhin die Wandlungen des Teufels betrachtet werden, und schließlich wird über Versuchung und Sünde nachgedacht.

In einem zweiten Teil der Ausstellung wird das Infernalische dann in der jüngeren Vergangenheit gesucht: im Irrenhaus und im Gefängnis, im Krieg und im Holocaust. In der Hölle verberge sich, so die Botschaft, ein Weltzustand, dem das übliche Gerede von einer "Krise" grundsätzlich unangemessen sei. Die Hölle erscheint als Dasein und Ausdruck einer grundsätzlich fehlerhaften Welt, zu der sich die Kuratoren weniger als Historiker denn vielmehr als Führer in zweiter Instanz verhalten. Sie nehmen das "Wir", von dem der Papst und Roberto Benigni sprachen, unmittelbar ernst. Sie verdoppeln Dante, indem sie ihn kuratieren, und der Erfolg der Ausstellung, auch bei jungen Menschen, gibt ihnen recht, zumindest im Hinblick auf die öffentliche Geltung des "Inferno".

Zum Schluss entfaltet sich ein Sternenhimmel

Im unteren Stockwerk, in der eigentlichen "Topographie des Bösen", geht das Verfahren auf, seiner Systematik wegen. Im oberen Stockwerk, wo es um die Motive geht, in denen die Hölle in der Neuesten Zeit feste Gestalt angenommen haben soll, fällt die Ausstellung auseinander, auch angesichts der vielen bekannten Werke, die dort versammelt sind. Dort liegen auch die annotierten Druckfahnen von Primo Levis "Ist das ein Mensch?" (1947), einem Buch, das ausdrücklich auf Dantes "Inferno" repliziert. Gewiss, die traditionellen Requisiten der Hölle, das Feuer, die zerrissenen Körper, die vielen Menschen in ihrer Qual sind in den Werken auch des 20. Jahrhunderts erhalten. Aber es fehlen die Peiniger, die das "Inferno" des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zu einer individuellen Angelegenheit werden ließen. Und es fehlt das Motiv der Strafe. Stattdessen wird ein universales Verhängnis ausgebreitet, das an seinem weltanschaulichen Charakter keinen Zweifel lässt.

Dante kannte den Zweifel an sich selbst. Sollte die "Göttliche Komödie" nicht ein vollständiges Werk sein? War sie nicht eine Art Turmbau zu Babel, allerdings vollendet? Und hatte sich Dante nicht im 13. Gesang des "Fegefeuers" vor der Strafe gefürchtet, die ihn, weil Hochmut eine Todsünde ist, nach dem Tod erwarten könnte? Von der "superbia" ist indessen im römischen "Inferno" nicht die Rede. Vielmehr schließt die Ausstellung wie im letzten Gesang des Gedichts mit Dantes Rückkehr an die Erdoberfläche. Er sieht die Sterne, und mit Hilfe von Gerhard Richter ("Sternbild", 1969), Anselm Kiefer ("Sternenfall", 1995) und Thomas Ruff ("17 h 16m / - 45°", 1990) entfaltet sich der Nachthimmel in aller Pracht.

"Inferno", Scuderie del Quirinale , Rom. Bis 9. Januar 2022. Der Katalog ist auf Italienisch und auf Englisch erhältlich und kostet 50 Euro.

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