Kritik am TV-Geschehen:Wahre Momente der Fake-Kultur

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Realität und Fiktion verschwimmen im TV-Geschäft: Imaginäre Gestalten wohin das Auge reicht - von Brüno bis zum Pseudonym-Schwindel beim NDR.

Jens-Christian Rabe

Es wurde zuletzt eine Menge geschrieben und nachgedacht über Erscheinungen wie den österreichischen Modejournalisten Brüno, den Publizisten und Politiker Horst Schlämmer aus Grevenbroich oder den etwas trotteligen Nerd Uwe Wöllner aus Berlin. Keine, "echten" Menschen waren und sind da, sondern Kunstfiguren von Schauspielern und Komikern wie Sacha Baron Cohen, Hape Kerkeling oder Christian Ulmen. Aber deswegen natürlich umso interessanter, denn die falschen Menschen wurden von ihren Schöpfern mit dem echten Leben konfrontiert.

Und in den Betrachtungen ging es dann natürlich darum, wie geschickt sie dazu benutzt würden, um in unserer Fake-Kultur noch einmal so etwas wie letzte wahre Momente zu kreieren, oder dazu, das Versagen und die Hinfälligkeit der Politik zu entlarven und die Menschenfeindlichkeit und Abgründe unseres Mediensystems.

Dann kam heraus, dass die Fernsehspiel-Chefin des Norddeutschen Rundfunks gemeinsam mit ihrem Mann unter verschiedenen Pseudonymen Drehbücher geschrieben hatte, die sie in ihrer Funktion als leitende Angestellte des Senders schließlich selbst gekauft und für das Spielfilm-Programm des Ersten Deutschen Fernsehens produziert hatte. Ein gewaltiger Schlag für das öffentlich-rechtliche System: skrupellose Vetternwirtschaft und weitreichenden Vertrauensmissbrauch verantwortlicher Mitarbeiter sind nicht gerade das, was sich eine von öffentlichen Geldern finanzierte Anstalt leisten kann. Die Aufklärung des Falls ist noch nicht abgeschlossen und wird wohl noch einige unangenehme Details ans Licht bringen. Anders jedoch, als man zunächst den Eindruck haben konnte, ist der echte Skandal an der Sache aber natürlich nicht, die unlautere Bereicherung der Fernsehspiel-Chefin.

Der Skandal ist, dass die ARD-Führung erst jetzt an ihrer Arbeit zweifelt. Und vor allem: nur an ihrer. Ein Blick in das gesamte deutsche Fernsehspielprogramm wirft die Frage auf, was sich die Verantwortlichen eigentlich dabei denken, bei den schlappen Tatorten und saftlosen sonstigen Heimatfilmen, bei all dem Kram, für den so viel Geld ausgegeben wird, und den eigentlich doch niemand je ertragen konnte.

Man könnte als beinahe auf die Idee kommen, dass all die Schlämmers und Ulmens nur deshalb hinabsteigen aus den Bildschirmen ins Leben, weil sie wissen, dass sie sich von dem, was in den Drehbüchern und Hirnen der Produzenten und Regisseure so los ist, einfach nichts mehr erwarten können. Rein gar nichts mehr.

© SZ vom 08.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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