Opernprojekt "Amopera":Wunderschön schmerzlich

Lesezeit: 3 min

Die umwerfende Sängerin Sarah Maria Sun sowie Vera Fischer an der Bassflöte. (Foto: Valerie Maltseva)

Hier werden die Musiker selbst zu Performern: In Erl erfindet das Klangforum Wien eine neue Form kollektiven Musiktheaters.

Von Egbert Tholl

Am Ende verlischt das Licht, die nachtschöne, dunkel leuchtende Rauminstallation von Grace Ellen Barkey zieht sich zurück auf das Abbild zweier Rehe. Das wirkt wie aus einer Camera obscura und wird immer kleiner, während im Schwarz der riesigen Bühne überirdisch schöne Musik erklingt. Sarah Maria Sun singt von Träumen und "versunkenen Schätzen des Schlafs", ein betörendes Nachgespinst, begleitet von ein paar Instrumenten, ganz zart. Und noch zarter verhallt die Musik in einzelnen, fast unhörbaren Tönen der Harfe. So endet "Amopera", endet im Glück, obwohl der Untertitel lautet: "Eine dystopische Ballade".

Was Sun hier singt, ist ein Part des Frauenchors aus Benjamin Brittens "The Rape of Lucretia". Der Chor besingt Lucretias letzten Moment der Seligkeit, dann schleicht sich Tarquinius in ihr Schlafgemach und vergewaltigt sie. Aber diesen Kontext muss man hier gar nicht wissen, denn "Amopera" ist kein Musikratespiel, kein Tableau für analytische Experimente. Man sollte der Aufführung weniger mit dem Verstand als mit dem Gefühl begegnen, dann hat man ein grandioses Erlebnis.

Im Lockdown des Jahres 2020 wollte Peter Paul Kainrath, Intendant des Klangforums Wien, nicht stillsitzen und gab den Musikerinnen und Musikern des Ensembles eine Hausaufgabe. Jede und jeder sollte, ausgehend von dem Buch "Liebesverrat" von Peter von Matt, Musikstücke suchen, die von Liebe und deren Unmöglichkeit künden, von Freude und Schmerz. Das Klangforum, das während Corona keinen Abonnenten verloren hat, hat eine irrsinnige Kompetenz in zeitgenössischer Musik, die Auswahl sollte aus den vergangenen hundert Jahren Musikgeschichte stammen. Heraus kam ein "Schatzkästlein" (Kainrath) von 90 Musikstücken, Ausschnitten aus Opern, aber auch aus Kantaten oder Songs, Hauptsache, Stimme und Musik. 16 dieser Stücke fanden Eingang in "Amopera", die anderen warten auf weitere "Meta-Opern", die Kainrath erfinden will.

Noch nie war zeitgenössische Musik so leicht hörbar, weil Raum, Bewegung, Musik auf die Vermittlung des emotionalen Gehalts dringen

Meta-Oper? Das sollte man sich nicht als Oper über Oper denken, eher als Selbstermächtigung aller Beteiligten - "I am Opera". Die Musiker des Klangforums sind ein Haufen verschworener Individualisten, jeder tritt für den anderen und die Sache ein. Für die Herstellung der Aufführung im Festspielhaus Erl trafen sie auf Jan Lauwers und dessen Needcompany. Die Truppe funktioniert seit 1986 ähnlich wie das Klangforum, nur im Performancebereich. Zwei Kollektive treffen also aufeinander, und aus der Selbstbestimmtheit der Mitwirkenden entsteht die Neuerfindung von Musiktheater.

Lauwers inszenierte 2018 zum ersten Mal Oper, Claudio Monteverdis "Poppea" in Salzburg, vergangenes Jahr zeigte er dort seine fantastische Umsetzung von Luigi Nonos "Intolleranza". Hierbei schaffte er mit den Bewegungen des Chors ein sinnliches Abbild von Nonos Kompositionstechniken, in "Amopera" nun löst er die Emotion in Bewegung auf. Unterstützt von Grace Ellen Barkey und Maarten Seghers von der Needcompany werden die Musiker selbst zu Performern, die ihr musikalisches Spiel spielen, auch tanzen, Körperbilder bauen. Natürlich musizieren sie unter der Leitung von Bas Wiegers alle auch noch fabelhaft, schaffen ein wogendes, tönendes, irrlichterndes Umfeld für die Sopranistin Sarah Maria Sun und den Bariton Holger Falk.

Falk und Sun sind das Paar der Liebe, der Gier, der Eifersucht, des Hasses. Aber nie sind sie die Figuren der jeweiligen Opern, sie sind autonom in ihrer Kunst und in der umwerfenden Vermittlung der Emotionen. Sie wispern Salvatore Sciarrinos "Luci mie traditrici", tönen schwer Iannis Xenakis' "Kassandra", geistern durch Beat Furrers "Helle Nacht". Die Auswahl ist keine der Hits des 20. Jahrhunderts, die Bandbreite ist enorm, reicht von den erwähnten über Sara Glojnarić' Jazzrocknummer "Artefacts" bis zu Luciano Berio und Bernhard Lang. Berios "Recital" ist Megaoper in sich, Sammelsurium von gefühlt tausend Splittern der Opernliteratur, Langs "I hate Mozart" trägt die totale Zertrümmerung in sich. Sarah Maria Sun wird damit dennoch zur Heroine der Weiblichkeit, ihr gleißender Gesang verlässt grundsätzlich die Gefilde des Nachvollziehbaren.

Manche der Komponisten, so noch lebendig, schufen Neuarrangements, um die Übergänge kümmerte sich das Klangforum. Jedes Stück bleibt letztlich in sich unberührt, aber die Gesamtanlage verändert jedes. Noch nie war zeitgenössische Musik so leicht hörbar, weil Raum, Bewegung, Musik selbst und alles miteinander auf die Vermittlung des emotionalen Gehalts dringt. Und Momente eines Narrativs gibt es auch: Erst spuckt die Infantin in Alexander Zemlinkys "Zwerg" ihre Verachtung über diesen, dann rächt sich der Mann in Gestalt von Jack the Ripper aus Alban Bergs "Lulu".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Uraufführung in Salzburg
:Die Einsamkeit des Hornisten

"Fragmente - Stille": Bei den Salzburger Festspielen präsentiert das Klangforum Wien eindringliche Musik von Salvatore Sciarrino.

Von MICHAEL STALLKNECHT

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: