Kinofilm "The World's End":Der Unbeugsame

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Oliver (Martin Freeman, v.l.n.r), Steven (Paddy Considine), Gary (Simon Pegg), Andrew (Nick Frost) und Peter (Eddie Marsan) machen eine Kneipen-Tour und bekommen es mit Zombies zu tun. (Foto: dpa)

Ordnungsliebende Zombies, britisches Bier und durchgeknallte Kleinstädter - klingt nach schräger Horrorkomödie. Aber Edgar Wrights Kino-Sauftour "The World's End" deckt viele Wahrheiten auf.

Von Tobias Kniebe

Das erste Gesetz des "English Way" sieht vor, das Leben in stiller Verzweiflung zu ertragen, egal was passiert. Aber es kennt ein paar Ausnahmen. Eine davon ist der "Pub Crawl". Bei diesem Ritual formieren sich die Engländer zum Rudel, um möglichst lautstark von Kneipe zu Kneipe zu ziehen. An jeder Station wird mindestens ein Pint Bier getrunken, und gegen Ende der Reise nähern sich die Teilnehmer phänotypisch dem Kriechtier an - daher der Name.

Zwölf Pubs umfasst die sogenannte "goldene Meile" in der Kleinstadt Newton Haven, ein berühmt-berüchtigter Kneipen-Parcours, der in der Persönlichkeitsentwicklung von Gary King (Simon Pegg) eine entscheidende Rolle spielte. Es war das Jahr 1990, Gary und seine vier besten Freunde feierten ihren letzten Schultag, Rave eroberte gerade die Welt, und zwar von der britischen Provinz aus, man grölte "Loaded" mit Primal Scream und "I'm free" in der Version der Soup Dragons. Die goldene Meile wurde nicht vollständig bewältigt, aber doch fast. So konnte das Leben weitergehen. Ging es dann aber nicht.

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Jetzt sind die fünf Mittvierziger, sie haben heile oder schon wieder kaputte Familien, sie haben Schulden und verantwortungsvolle Positionen, und die stille Verzweiflung hat sie fest im Griff. Nur eben den zerzausten Gary nicht. Der ist keineswegs still, der lebt sein Leben so unbeugsam infantil und chaotisch, als sei seit jener legendären Sauftour kein einziger Tag vergangen. Dank seiner Energie versammeln sich die Kumpels in der alten Heimatstadt, um die goldene Meile noch einmal anzugehen, diesmal aber richtig. Und so manisch, wie Gary die anderen dabei antreibt, wird klar: Er ist natürlich der Verzweifeltste von allen.

Unter der drolligen Oberfläche lauert Verzweiflung

Auf den ersten Blick macht Hauptdarsteller Simon Pegg, dessen Phänotyp in nüchternem Zustand eher an ein gerupftes Spatzenjunges erinnert, ziemlich britische und ziemlich alberne Jungskomödien, die er auch noch selber schreibt - zusammen mit seinem Freund Edgar Wright, der dann die Regie übernimmt. Ebenfalls dabei ist immer auch ihr schwergewichtiger Kumpel Nick Frost, der den Sidekick spielt. So entstanden ""Shaun of the Dead", in dem die Londoner Vororte von einer Zombie-Invasion überrannt wurden, und die Polizei-Farce "Hot Fuzz", in der ein winziges britischen Musterstädtchen in mörderischen Sauberkeitswahn verfiel.

Unter der drolligen Oberfläche dieser Filme, die Pegg inzwischen auch in Hollywood einen Status als gefragter Underdog verschafft haben, lauern aber nicht nur Verzweiflung und existenzielle Dunkelheit - die gibt es schließlich in jeder echten Komödie. Pegg und Wright haben immer auch eine soziale Agenda, sie werfen einen gnadenlosen Blick auf die Wahrheiten des britischen Lebens, die sich in der Überspitzung erst zeigen.

"The First Post", der Startpunkt des Abends, ist schnell absolviert. Beim zweiten Pub aber wird es schon unheimlich, denn er wirkt wie eine exakte Kopie des ersten. Die gleiche holzgerahmte Menü-Tafel mit den gleichen Gerichten, aufgelistet in exakt der gleichen, gefakten Kreideschrift; die gleichen goldgerahmten Bilder an den Wänden, die gleichen Flipperautomaten neben der Dartscheibe, die gleichen gelben, glockenförmigen Glaslämpchen. Die ganze Meile scheint inzwischen in der Hand einer einzigen Pub-Kette zu sein.

Noch sind die Freunde abgelenkt - der dicke Andy (Nick Frost) droht das ganze Ritual zu sprengen, als er standhaft ein Wasser bestellt - aber bald können sie die Augen nicht mehr vor dem Offensichtlichen verschließen: Nicht nur die Pubs wirken hier wie geklont, sondern auch die Menschen, egal ob vor der Theke oder dahinter. Im "The Cross Hands" wird dieser Verdacht schließlich zur Gewissheit, als die erste Schlägerei beginnt - vom "Crawl" zum "Brawl" ist es schließlich nur ein winziger Schritt. Der lokale Gegner in der Herrentoilette kämpft sehr merkwürdig - und geht dann zu Bruch. Inwendig ist er hohl und mit blauer Tinte gefüllt. Offenbar ist die ganze Kleinstadt in der Hand von Robotern, die nur noch die äußere Form jener Bewohner haben, die die Jungs von früher kennen.

Infantil und chaotisch

So nimmt die finale Station der Reise, der Pub "The World's End", eine völlig neue Bedeutung an, und der Film biegt mittendrin in eine unerwartete Richtung ab: Plötzlich sind die geklonten "Stepford Wives" ganz nahe, und auch die "Invasion der Körperfresser" lässt herzlich grüßen. Ohne zu viel preiszugeben, kann man verraten, dass die Macht hinter diesen ominösen Transmutationen form- und gesichtslos ist - und eigentlich nichts Böses will: Die Menschen (oder besser gesagt ihre neuen Avatare) sollen mit modernster Kommunikation vernetzt und damit auch kontrolliert werden, sie sollen im Job und im Alltag zuverlässiger funktionieren, rationaler handeln und sich gegenseitig nicht mehr unkontrolliert abschlachten. Wer das einsieht und verspricht, sich fügsam zu verhalten, darf sogar seine Hülle behalten: "Dies ist keine Invasion", erklärt einmal die körperlose Stimme aus dem Kontrollzentrum, "dies ist eine Fusion."

Und nun ist es auf einmal nur noch der zerzauste und inzwischen stockbesoffene Gary King, der noch zwischen der Menschheit und ihrem Untergang steht. Weil er wider alle Vernunft auf seinem Recht beharrt, infantil und chaotisch zu bleiben, weil er für alle Zeiten Stone Roses und Primal Scream hören will, weil er entschlossen ist, sich die Welt für immer schönzusaufen, und niemanden ertragen kann, der ihm anderes befiehlt. Wer aber jemals ein Rudel Engländer bei einem wirklichen Pub Crawl erlebt hat, der weiß: In solcher Entschlossenheit liegt eine Kraft, die es mit allen Kontrollversuchen des Universums locker aufnehmen kann.

The World's End , GB 2013 - Regie: Edgar Wright. Buch: Simon Pegg, Wright. Kamera: Bill Pope. Mit Simon Pegg, Nick Frost, Paddy Considine, Martin Freeman. Universal, 109 Minuten.

© SZ vom 16.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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