Kino:Todsünde aus dem Telefon

Lesezeit: 3 min

  • In Bora Dagtekins Gesellschaftskomödie "Das perfekte Geheimnis" müssen für die Dauer einer Dinnerparty die Handys der sieben Teilnehmer auf den Tisch: Jede Nachricht wird laut vorgelesen, jedes Gespräch über Lautsprecher geführt.
  • Wie bei seiner ""Fack ju Göhte"-Comedy-Reihe bringt der Regisseur eine abstrakte Idee in eine zugespitzte Form, an die jeder mit seinen eigenen Erfahrungen anknüpfen kann.
  • Obwohl die Moral von der Geschichte alle kennen, macht das Kammerspiel mit Staraufgebot großen Spaß.

Von Doris Kuhn

Öfter mal die Klappe halten. Den Ratschlag sollte man befolgen, nicht bloß in den sozialen Medien, sondern auch im Umgang mit seinen Freunden. Wenn man nämlich bei einem gemeinsamen Abendessen herumtrötet, dass man keine Geheimnisse hat und auch keine in seinem Smartphone verbirgt, dass man dessen Inhalt sogar jederzeit offenlegen würde, kann man womöglich beim Wort genommen werden. Gerade von Freunden, die können das mit besonderer Vehemenz durchsetzen. Die verlangen dann den Ehrlichkeitsbeweis.

So geschieht es in Bora Dagtekins Komödie "Das perfekte Geheimnis". Für die Dauer einer Dinnerparty müssen die Handys der sieben Teilnehmer auf den Tisch, jede Nachricht, die reinkommt, wird laut vorgelesen, jedes Telefonat über Lautsprecher geführt. Nicht zu vergessen die Fotos - alle sehen, was nur für einen Teilnehmer gedacht war. Die Idee des Films zündet sofort, auf unterschiedliche Weise. Als voyeuristisch veranlagter Zuschauer findet man sie fantastisch. Man weiß, dass es skandalöse Enthüllungen geben wird, weil man sein eigenes Handy kennt.

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Mindestens eine Todsünde steckt da bestimmt drin. Deshalb stößt die Idee auch bei manchen Protagonisten dieser Geschichte auf wenig Begeisterung. Aber noch während die einen versuchen, sich aus der Sache rauszuwinden, zeigen die anderen schon ihre Smartphones vor. Die Ehrlichen. Vermutlich.

Bora Dagtekin zeigt schon in den ersten zehn Minuten, dass er dem Prinzip treu bleibt, das seine Filme so erfolgreich macht. Er erzählt dem Publikum Geschichten aus Situationen, die wirklich jeder kennt. Er bringt eine abstrakte Idee in eine zugespitzte Form, an die jeder mit seinen eigenen Erfahrungen anknüpfen kann. Das war bei den drei Teilen der "Fack ju Göhte"-Comedy-Reihe so, mit ihrem überdrehten Porträt der Schule. Das ist jetzt auch bei "Das perfekte Geheimnis" so, einer Gesellschaftskomödie, die sich um Smartphones dreht. Und die sind vermutlich noch mehr Zuschauern vertraut als die Schulbank.

Der Film ist eine Remake der italienischen Komödie "Perfetti sconosciuti" aus dem Jahr 2016

Die Mitspieler an diesem Abend sollen natürlich Abenteuer versprechen, Kontrast, unterschiedliche Welten. Dagtekin hat bei seinen Protagonisten von Schülern zu Erwachsenen gewechselt, drei Paare mehr oder weniger mittleren Alters, berufstätig, Eltern. Eigentlich vier Paare, aber ein Gast kam ohne seine neue Freundin. Die Paare sind Prototypen bestimmter Milieus, es gibt das wohlsituierte Arzt-Therapeutin-Paar, das hochemanzipierte Werber-Paar, das hippieske Taxifahrer-Tierhomöopathin-Paar und den Lehrer.

Die Beziehungen untereinander sind erfreulich kompliziert. Die Männer kennen sich seit der Kindheit, früher mal beste Kumpels, jetzt mehr im Modus des Quartalsabendessens, das die Vertrautheit stabil halten soll. Die Frauen sind die Anhängsel. Man kennt sich notgedrungen, man schätzt sich nicht unbedingt. Das macht die Loyalitäten unsicher, auf Allianzen wird gehofft, meist umsonst. Zwei der Paare haben sichtlich keine glückliche Phase, das verschärft das Minenfeld, als kleine Dreingabe zu den Telefonen auf dem Tisch. Leider sind es hauptsächlich die Frauen, die schlecht wegkommen. Sie sind streng, zu sich selbst wie zu ihren Partnern. Das macht sie nicht sympathischer, aber wenigstens stehen sie zu dem, was sie tun. Die Männer hingegen halten sich für fröhliche Lausbuben, sie glauben nicht an Konsequenzen. Die müssen von den Frauen durchgesetzt werden, und am Ende haben sich deren Beziehungen verändert, sofern sie noch bestehen. Jedes Geheimnis kostet sie ein Stück Liebe.

Bevor die Konversation ins Hässliche kippt, fängt zum Glück die Küche an zu brennen

Selbstverständlich handeln die Geheimnisse von Sex, da liegt das meiste Konfliktpotenzial. Der Film tut so, als ob der bürgerliche Mittelstand bis zu den Ohren in erotischen Verwicklungen steckt, aber das meiste entpuppt sich als relativ harmlos. Dagtekin will nicht auf außerehelichen Sex hinaus, sondern auf den Mangel an Kommunikation. Es geht um den peinlichen Moment der Enthüllung, um die Rechtfertigung, die den Betroffenen überhaupt keinen Spaß macht, dem Zuschauer hingegen schon. Die Pannen der andern auskosten, das ist der Klassiker unter den Komödien.

"Das perfekte Geheimnis" ist ein Remake der italienischen Komödie "Perfetti sconosciuti" von 2016, die mittlerweile in mehr als zehn Ländern nachgedreht wurde, was viel über ihren Unterhaltungswert sagt. Aber der Film ist nicht nur Wortwitz und Slapstick. Dagtekin sorgt durchgehend für einen Wechsel zwischen privaten Themen und denen, die auf Allgemeingültiges zielen, auf Toleranz meistens, oder den Mangel daran im Berufs- und Familienleben. Manchmal hat man Angst, dass die Konversation richtig ins Hässliche kippt, aber dann fängt zum Glück die Küche an zu brennen oder der Blutmond geht auf.

Dazu ist ein Staraufgebot an Schauspielern zu sehen. Dagtekin kombiniert zum Beispiel Elyas M'Barek mit Frederick Lau, was zu einer Betrachtung der verschiedenen Schulen der Lässigkeit einlädt: immer weltgewandt der eine, immer nah am Proll der andere. Die Kamera verweilt ausreichend auf den Gesichtern, überhaupt findet sie ihren Weg so geschickt um den Tisch, dass niemals die Orientierung verloren geht, was nicht leicht ist bei einem Kammerspiel mit sieben Leuten. Die sind am Ende froh, dass der Film ihnen die Moral erspart, die kennen wir ja alle. Stattdessen setzt Dagtekin auf die Freundschaft, ein anderes Mittel, kein schlechteres, um das Gewissen aufzurütteln.

Das perfekte Geheimnis , Deutschland 2019 - Regie, Drehbuch: Bora Dagtekin. Mit Karoline Herfurth, Elyas M'Barek, Frederick Lau, Jella Haase, Florian David Fitz. Constantin Film, 111 Minuten.

© SZ vom 30.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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