Film:Endlich zurück

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Die Erde, ein unwirtlicher Planet. Nora Arnezeder in "Tides". (Foto: Filmfest München)

Wieder im Kino, bei der Uraufführung von "Tides". Und man merkt, was einem so lange gefehlt hat, Bilderrausch, Donnerklänge und richtiges Popcorn.

Von Andrian Kreye

Man muss sich seinen Wiedereinstieg ins Kulturleben gut überlegen. Wahrscheinlich will man sich später ja mal daran erinnern, an den ersten Film, die erste Ausstellung nach dem gefühlt längsten Winter des eigenen Lebens. Kino also. Keine Fußgängerzonenmultiplextristesse, sondern Filmfest. Glamour, Trubel, Leute, alles, was so lange fehlte. München zwar, nicht Cannes, aber da sind die Unterschiede nach eineinviertel Jahren in den Kaninchenbauten der Streamingdienste wirklich nur graduell. Vor allem, wenn der erste Film dann "Tides" ist, der Science-Fiction-Thriller des Schweizer Regisseurs Tim Fehlbaum.

Was der mit Bildern und Ton sehr gut beherrscht, ist das, was man in der Musik Terrassendynamik nennt. Anton Bruckner hat das in seinen Symphonien vorgemacht: jedes Fortissimo ein Gipfel, jedes Pianissimo ein Abgrund. Dazwischen spielt die Action. Anfangs werden zwischen Dramabilder voller Lärm in der Mark-und-Bein-Qualität von Dolby Atmos stille schwarze Texttafeln montiert. Das gibt den Rhythmus vor für den Wechsel aus Bildern klaustrophobischer Enge und verlorener Weite in den Rost-, Ocker- und Grautönen eines feindseligen Planeten. Und weil dieser Film sein Genre ein wenig auf den Kopf stellt, ist es die Erde, auf der die drei Weltraumfahrer landen, die vom Planeten Kepler kommen. Das ist ein interstellares Refugium, auf den die Eliten nach den Pandemien, Klimakatastrophen und Kriegen flohen. Nur eine überlebt die Landung bei der Rückkehr im endlosen Watt mit seinen brutalen Gezeiten, die dem Film den Titel gaben. Blake (Nora Arnezeder) erforscht nun diesen Planeten, der in dieser Zukunft so unwirtlich geworden ist, dass die Westküstenwüste aus "Blade Runner 2049" dagegen wirkt wie ein Garten Eden.

Die Zeitsprünge in oft gleichen Streaming-Produktionen? Sollten einen wohl nur wachhalten.

Wobei die Kritik im August folgen wird, wenn der Film in die Kinos kommt. Es geht ja um den Abend. So viel sollte nur verraten werden, um deutlich zu machen, dass auch eine Erzählweise abseits der neuen Skriptschablonen der Netflix- und Amazon-Produktionen dazu beiträgt, dass man deutlich wieder im Kino ist. Wer hat sich diese Schablonen eigentlich ausgedacht, die zwingend vorsehen, dass das Ende am Anfang kommen muss und der Rest durchgemischt wird wie ein Päckchen Schafkopfkarten? Wahrscheinlich ein Schlafforscher mit Tarantinos Gesamtwerk im Nacken, der herausgefunden hat, dass Sofas Schwerkraft entwickeln und nur Kinosessel G-Force.

Die einen im Arri dann eben in eine lineare Geschichte katapultieren kann, ohne dass einen mutwillige Zeitsprünge wachhalten müssen. Weil da Bilder sind, mit denen selbst so ein Coronakauf-4K-Bildschirm nicht fertig werden würde und der Subwoofer im Klangbilddonner kläglich in die Knie ginge. Und ja, das Popcorn von der Kinokasse schmeckt immer besser als das aus der heimischen Pfanne.

Zu viel pandemiemüde Verklärung eines Kinoabends? Vor allem, weil die Geschichte ja wirklich keinen Mut für die Zukunft macht. Tim Fehlbaum und seine Produzenten Thomas Wöbke und Philipp Trauer konnten es nicht wissen, als sie das Drehbuch entwickelten, dass die Welt mitten in der Pandemie, in tödlichen Hitzewellen und am Rande eines Cyberweltkrieges stehen würde, wenn ihr Film in München Uraufführung feiert. Oder vielleicht doch, weil das ist ja die Kunst des Blockbusters. Roland Emmerich erzählte das mal, der bei "Tides" übrigens als Executive Producer und sogar im Schneideraum mitwirkte. Der sagte jedenfalls, dass er regelmäßig in den Buchladen Book Soup auf dem Sunset Boulevard geht und dann vor dem Tisch mit den neuen Sachbüchern grübelt, was die Welt wohl in vier, fünf, sechs Jahren bewegt. So lange dauert es in der Regel von der Idee bis zur Premiere. Hat geklappt. Nerv getroffen.

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