"Werk ohne Autor" im Ersten:Voller künstlerischer Zweifel

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Tom Schilling spielt den Künstler Kurt Barnert, der aus der DDR nach Westdeutschland flieht. (Foto: null; Verleih)

Mit hemmungslosem Hupen und angeberhaften Kamerafahrten erzählt Florian Henckel von Donnersmarck in "Werk ohne Autor" vom Leben Gerhard Richters. Größenwahn ist jedoch nicht das zentrale Problem des Films.

Von Tobias Kniebe

Diese Rezension ist erstmals zum Kinostart von "Werk ohne Autor" im Oktober 2018 erschienen. Nun, da der Film am 2. Januar um 20.15 Uhr im Ersten läuft, veröffentlichen wir die Rezension erneut.

Der Anspruch ist hoch, von Anfang an. "Werk ohne Autor" hat größere Ambitionen als die gängige Filmbiografie, als der übliche Bilderbogen deutscher Geschichte. Florian Henckel von Donnersmarck, Autor, Regisseur und Produzent, hat sich für seine Rückkehr ins Kino acht Jahre Zeit gelassen. Nun möchte er auch weiter vorstoßen als alle anderen, nämlich zum Wesen des Künstlertums an und für sich. Und er verschwendet keine Zeit, wenn er seinen Protagonisten Kurt, der einmal ein weltberühmter Maler werden soll, hier aber erst sechs Jahre alt ist, gleich in die Ausstellung "Entartete Kunst" schickt.

Dresden 1937: Kurt, kurze Hosen, weitgeöffnete Kinderaugen, wird in diesen Momenten geprägt. Er starrt ins verstörende Gesicht von Eugen Hoffmanns Skulptur "Mädchen mit blauem Haar", verweilt vor Werken von Max Ernst, Kirchner, Klee, Kandinsky. Ein siegesgewisser Ausstellungsführer (Lars Eidinger in einer Gastkarikatur) versichert ihm, diese Art von Geschmiere könne jeder hinbekommen, sogar er, und formuliert auch brav die ästhetische Theorie, die es im Folgenden zu überwinden gilt: "Denn Kunst kommt von Können."

Ob Klein-Kurt (Cai Cohrs) das alles schon einordnen kann, ist nicht ganz klar. Das kann aber seine neunzehnjährige, auffallend attraktive Tante Elisabeth, die ihn begleitet (Saskia Rosendahl). Sie versteht viel von Entgrenzung und Ekstase. Wenig später stellt sie eine solche sogar selbst her, mit Hilfe der wartenden Fahrer am zentralen Busbahnhof. Diese drücken, auf Elisabeths Kommando hin, gleichzeitig auf ihre Hupen, es entsteht ein gewaltiger, vibrierender Klang wie von Engelsposaunen, in dem sie mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen badet, während die Kamera sie in wilder Kreisfahrt mehrfach umrundet. Elisabeth danach, atemlos: "Ein Bild zu malen, das sich so anfühlt. Das ist es, was sie versuchen, diese entarteten Künstler."

Joseph Beuys, Günther Uecker und Sigmar Polke tauchen unter anderen Namen auf

Ist das, im Kern, schon die Donnersmarcksche Kunsttheorie, die hier nun in mehr als drei Stunden entrollt werden soll? Auffällig ist zunächst, wie umstandslos die den Nazis verhasste, von Donnersmarck aber natürlich verehrte klassische Moderne hier kunstphilosophisch in eins fallen soll in einem Ekstasemoment, den der Regisseur selbst inszeniert. Und zwar nach allen Überwältigungsregeln Hollywoods, mit überlaut dröhnender Tonspur und dem seit seinen Ursprüngen bei Fassbinder und Ballhaus reichlich abgenutzten Stilmittel der Kamerakreisfahrt, das im Werkzeugkasten des Angeberkinos inzwischen sehr gut aufgehoben ist.

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Jedenfalls versteht man nach dieser Szene gleich besser, warum dem Film seit seiner Weltpremiere auf dem Festival von Venedig ein gewisser Ruf vorauseilt. Kritiker haben ihm bereits die räuberische Aneignung einer Künstlerbiografie vorgeworfen, eine geschmacklose Gaskammerszene, sogar Relativierung von Naziverbrechen. Das hängt alles mit einer gewissen Hemmungslosigkeit im Einsatz der Mittel zusammen; und mit einer - freundlich formuliert könnte man sagen: Furchtlosigkeit - angesichts der größten denkbaren Themen: Schuld und Sühne, Wahrheit und Schönheit.

Kurze Positionsbestimmung, bevor es tiefer in die Analyse geht: Der Film lädt zu schnellen tödlichen Urteilen ein, das ist klar - und das in einer Social-Media-Gegenwart, die Schnelligkeit und Tödlichkeit des Urteils mehr als alles andere belohnt. Grundsätzlich aber ist festzuhalten: Es ist gut, dass es noch Filmemacher gibt, die mit derart gewaltigen Ansprüchen antreten, die herrschende intellektuelle Ödnis ist schlimm genug; und gut ist auch die Arbeit an Geschichten, die spezifisch mit diesem Land zu tun haben. "Das Leben der Anderen", Donnersmarcks wirklich gelungenes Debüt, das ihm den Oscar einbrachte, ist eng verwandt mit diesem neuen Werk. Damals wurde im Kern ebenfalls die Frage verhandelt, welche Wahrheit die Kunst hervorzubringen vermag, und was das in der Seele sogar eines Stasi-Offiziers anrichten kann.

Aber nun weiter mit Kurt, der bald erfahren muss, dass seine schöne, ekstasebereite, ästhetisch klarsichtige Tante schizophren ist. Verzweifelt protestierend wird sie in eine Anstalt abtransportiert. Damit wäre ein neues Feld aufgerissen, das auch schon andere eifrig bestellt haben: der Wahnsinn als Verbündeter der Kunst, mit direkterem Zugang zur Wahrheit, und so fort. Nach ein paar Szenen, in denen Elisabeth um ihr Leben fleht, fällt sie dem "Euthanasie"-Programm der Nazis zum Opfer und wird in die Gaskammer geführt, was man auch sieht - bis zur Verriegelung der Tür und zum Aufdrehen des Gashahns durch eine Hand mit SS-Totenkopfring.

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Schon da kann man mit guten Gründen aussteigen, aber es kommt noch heftiger, denn die Szene ist Teil einer Montage. Zugleich erlebt Kurt von erhöhter Position aus, wie alliierte Bomber den Himmel verdunkeln und Dresden brennt, und mitten in dieser Flammenhölle brennt auch noch speziell eine Mutter mit ihren Kindern. Man kann diese Schnittfolge als Gleichsetzung interpretieren. So ist sie vermutlich aber nicht gemeint, worauf ein drittes Element der Montage hindeutet - zwei Onkel Kurts fallen zusätzlich noch im Winterkrieg an der Ostfront.

Nimmt man zu Gunsten des Filmemachers an, dass er hier nur eine Art Kataklysmus des Schreckens inszenieren wollte, der Kurt und seiner Familie im Dritten Reich widerfährt, eine Art Worst-of-Bilderbogen - macht das die Sache dann besser? Ein wenig. Aber auch dann wirkt der Einsatz der Mittel befremdlich: Alles ist erlaubt, um zu zeigen, was die Seele des künftigen Großkünstlers Kurt prägen wird, und folgerichtig auch, was dem Großkünstler Donnersmarck im Schneideraum einen Kick gibt. Der will sein virtuelles Dresden brennen sehen wie Nero einst Rom.

Gegen Zweifel dieser Art hat Donnersmarck allerdings eine intellektuelle Verteidigungslinie in den Film eingezogen. Sie beruht auf zwei Kernsätzen, die beide ebenfalls aus dem Mund der schizophrenen Tante stammen, denen der Film aber eine tiefe Wahrheit zubilligt. "Nie wegsehen, Kurt", sagt sie. "Dann wird dein Blick stark wie Stahl werden. Alles, was wahr ist, ist schön." Abgesehen von der schon wieder komplett irren Stahlmetapher heißt das ja wohl, dass der Film alles zeigen darf, was er will, wenn dadurch am Ende Wahrheit und sogar Schönheit entsteht. Diese Hoffnung kann man ja haben. Sie ist so alt wie die Kunst selbst.

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Schaut man also weiter hin, sieht man den erwachsenen Kurt (Tom Schilling) in der DDR, der erst einmal versucht, wegzuschauen und als sozialistisch-realistischer Kunststudent ein Auskommen zu finden. An der Akademie lernt er Ellie (Paula Beer) kennen, seine große Liebe, und diese Szenen haben etwas Leichtes und Antiautoritäres, man verliebt sich durchaus in dieses Paar und seine Darsteller. Dagegen steht Ellies Vater (Sebastian Koch): Er war der SS-Gynäkologe, der die hellsichtige Tante in den Tod schickte, als Medizinprofessor ist er aber auch dem neuen System nützlich, er wird nie für seine Verbrechen büßen müssen. Dafür terrorisiert er Tochter und Schwiegersohn, ein Schurke wie aus dem Bilderbuch, und Sebastian Koch frieren bei so viel Bosheit fast die Gesichtszüge ein.

Allein die Reifung des Helden zum Malergenie kommt in der DDR nicht recht voran, dafür bedarf es dann der Auswanderung in den Westen und der Kunstakademie Düsseldorf. Dort treiben sich allerhand Figuren herum, die leicht als reale Protagonisten der damaligen Zeit erkennbar sind, auch wenn sie andere Namen tragen. Oliver Masucci versucht sich bis in den rheinischen Singsang hinein an einer Joseph-Beuys-Imitation, Hanno Koffler gibt Günther Uecker mit seinen Nagelskulpturen, Sigmar Polke ist auch dabei mit seinen frühen Kartoffel-Konstrukten. Nagel-Uecker wird sogar Kurts bester neuer Freund. Er sucht immer wortreich "die Idee", was ihn als marktkonformen Selbstvermarkter ausweist und in eine mindere Künstlerkategorie einsortiert. Beuys dagegen kommt besser weg, er ruft recht originalgetreu zur Radikalität auf und insistiert auf gelebter Erfahrung. Das weist Kurt offenbar den richtigen Weg.

Und an dieser Stelle kann man wirklich nicht mehr ignorieren, wer das Malergenie sein soll, dessen Formung "Werk ohne Autor" nachzeichnen möchte, auch wenn der Name im Film nie genannt wird: Gerhard Richter.

Richter hatte wirklich eine Tante, die in einer "Euthanasie"-Anstalt umgebracht wurde, und einen Schwiegervater, der für NS-Zwangssterilisationen im Raum Dresden verantwortlich war. Fast alle weiteren Details dieser Familiengeschichte hat Donnersmarck dazugedichtet, inklusive der extremen Zuspitzungen. Jetzt aber, als der Maler Kurt endlich zu sich selbst und zu seiner Kunst findet, wird die Entstehung zweier Richter-Schlüsselwerke im Atelier fast eins zu eins nachempfunden.

Draußen vor den Fenstern der Akademie rauschen wildbewegt die Bäume, sogar sie nehmen an dieser mystischen Offenbarung im Jahr 1965 teil. Denn ohne die Verbrechen seines Schwiegervaters wirklich zu kennen, kopiert Kurt wie ferngesteuert ein Zeitungsfoto - die Verhaftung eines ehemaligen "Euthanasie"-Arztes in der Bundesrepublik. Kaum verschleiert ist dies Richters Bild "Herr Heyde", inklusive Unscharf-Verwischungspinsel. Als nächstens malt er ein Albumfoto ab, das ihn selbst als Kind mit seiner ermordeten Tante zeigt - das ist Richters "Tante Marianne". Was passiert, als der Schwiegervater endlich diese Bilder sieht, sagt alles über Donnersmarcks Glauben an die wortlose Macht der Kunst.

So hochspekulativ das ist, es hat etwas. Aber dann lässt der Regisseur schon wieder alle Hemmungen fahren. Er nimmt Presseauftritte und Zitate Richters, in denen dieser sich weigert, als Künstler nur aus seiner Biografie heraus erklärt zu werden, legt sie seinem Helden in den Mund und belächelt sie zugleich als Ausflüchte. Dann kommt ein minderbemittelter Fernseh-Kunstkritiker, der Kurts Schaffen als "Werk ohne Autor" bezeichnet und damit offenbar auf dessen Verschleierungstaktik hereingefallen ist. Der Titel des Films ist also: eine Verhöhnung.

Denn nur einer weiß, wie wahnsinnig biografisch alles wirklich war: Florian Henckel von Donnersmarck. Er weiß es sogar besser als Gerhard Richter selbst. Es gehört schon Chuzpe dazu, das einem Künstler anzutun, der sich stets mit allen Mitteln gegen solchen Vereinfachungskitsch gewehrt hat. Es ist nichts anderes als der Versuch, Richter die Deutungshoheit über das eigene Werk zu entreißen und dies als konsensualen Akt hinzustellen. Der Künstler höchstpersönlich habe ihm alle nötigen Einblicke geliefert, sagt Donnersmarck dazu. Richter hat sich in der Tat mit ihm getroffen und mit ihm geredet, hüllt sich jetzt aber in ein Schweigen von zunehmender Eisigkeit. Wenn das mal gebrochen wird, könnte es noch heiter werden.

Chuzpe und Größenwahn sind dennoch nicht das zentrale Problem dieses Films. Das steckt tatsächlich schon in jener Busbahnhof-Szene mit den Hupen wie Engelsposaunen, die Kurt am Ende, endlich befreit und berühmt, noch einmal durchlebt. Vor allem steckt es in diesem Satz: "Ein Bild zu malen, das sich so anfühlt. Das ist es, was sie versuchen, diese entarteten Künstler." So würde Donnersmarck gern eine ungebrochene Linie von Klee und Kandinsky über Gerhard Richter bis hin zu sich selbst ziehen, aber die Frage ist doch die: Hat er mit seinen filmischen Mitteln ähnlich gerungen wie Kandinsky mit seinem Bild "Empor", vor dem Klein-Kurt am Anfang steht? Hat er auf ähnliche Weise am Sinn seines Handwerks und seines ganzen Tuns gezweifelt, hat er wie besessen nach neuen Wegen des Ausdrucks gesucht?

Die Antwort gibt schon in der Szene selbst der Dröhnsoundtrack und die Angeberkamerafahrt, die Antwort gibt die Gaskammer-Dresden-Montage und die Träne der flehenden Tante auf dem Schuh des Euthanasie-Arztes, und dazu einige Szenen mehr, die am Geschmack ihres Schöpfers zweifeln lassen. Das eigentliche und unglaubliche Rätsel aber - wie jemand einen dreistündigen, gar nicht einmal dummen Film über das existenzielle Ringen eines Künstlers um seine Ausdrucksmittel drehen kann, ohne die eigenen ästhetischen Entscheidungen auch nur ansatzweise mit auf den Prüfstand zu stellen - das bleibt ungelöst.

Werk ohne Autor , D 2018 - Buch, Regie: Florian Henckel von Donnersmarck. Kamera: Caleb Deschanel. Musik: Max Richter. Mit Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer, Saskia Rosendahl, Oliver Masucci, Cai Cohrs. Disney, 188 Minuten.

© SZ vom 02.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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