Bilderbuch:Siesta auf dem Lieblingsbuch

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Eine Katze zum Schmökern, aber das ist nur die eine Seite ihres Charakters. Illustration aus Isabelle Simler: "Meine wilde Katze" (Foto: N/A)

Die nadelfeine Studie eines rätselhaften Wesens in Isabell Simlers "Meine wilde Katze".

Von Siggi Seuß

Eben schleicht er auf leisen Sohlen hinter mir herein, der Kater mit dem schwarzen Frack und dem weißen Kragen. Er nimmt neben mir am Schreibtisch Platz. Und schon beginne ich sein Verhalten in meinem Sinn zu interpretieren. Flüstert er mir ein paar Gedanken zur Besprechung von Isabelle Simlers Bilderbuch "Meine wilde* Katze" ein? Oder macht ihn neugierig, was die französische Autorin und Illustratorin unter ihren Fußnotensternchen vermerkt?

So viele Fragen. Und so viele Antworten von Isabelle Simler, die es erlauben, in Frieden mit dem Doppelcharakter des rätselhaften Wesens zu leben: In einem Augenblick kompromisslos freiheitsliebend, im anderen einfach nur anschmiegsam. Isabelle Simlers Katze ist rabenschwarz. Ihr Fell glitzert aber geheimnisvoll, als hätten sich darin Spuren eines Regenbogens verfangen. Die Künstlerin porträtiert das Tier in seiner Umgebung mit unglaublich filigranen, nadelfeinen Farbstrichen.

Der allzumenschliche Blick auf die Katze wird zurechtgerückt

Das ist die eine Seite der Charakterstudie. Sie zeichnet ein Bild der wilden Katze, so wie wir Katzentiere lieben: in allen möglichen niedlichen Lebenslagen, in einer Schachtel, mit den Umrissen des Sofas verschmelzend, in der dunkelsten Nacht mit leuchtenden Augen verschwindend und natürlich bei der Siesta auf dem aufgeschlagenen Lieblingsbuch. Auf der anderen Seite kommentiert Isabelle Simler ( in der Übersetzung von Julia Süßbrich) den festgehaltenen Augenblick mit einem kurzen Satz und versieht ihn manchmal mit einem Fußnotensternchen. Sie stellt dem "süßen" Bild eine nüchterne Erklärung aus der Welt der Wissenschaft bei und rückt damit den menschlichen, allzumenschlichen Blick aufs Tier zurecht.

Wie schon der Röntgenblick auf den Frontispizseiten beweist, steckt in jedem lieblichen Katzentier ein wildes Raubtier. Was zu beweisen war. Isabelle Simler macht das in einer charmanten, witzigen und punkt-, besser: strichgenauen Weise - eine Rarität unter den unzähligen Katzenbüchern. Mein Kater weiß das zu würdigen. (ab 5 Jahre) Siggi Seuß

Isabelle Simler: Meine wilde* Katze. Aus dem Französischen von Julia Süßbrich. Von Hacht Verlag, Hamburg 2021 .60 Seiten, 13 Euro.

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