Juhu, endlich wieder eine Portion kalte Currywurst für zehn Euro! Es ist Sonntag Abend in der Mercedes-Benz-Arena - von den allermeisten Berlinern stoisch weiter O2-Arena genannt, weil ja auch egal ist, wer den Klotz jetzt sponsort. Justin Timberlake spielt das erste der zwei Berlin-Konzerte seiner "The Man Of The Woods"-Tour, und auf der Bühne stehen Baum-Attrappen.
Warum? Ganz einfach, Anfang des Jahres hatte Timberlake, wie im vergangenen Jahr schon Miley Cyrus, beschlossen, jetzt mal Country zu machen. Wenn die politische Lage schärfer wird, will man eben mal wieder Karohemden und Heimatverbundenheit herzeigen, alle brauchen ein bisschen Wärme ums Herz und Lagerfeuer - und eben Baum-Attrappen. Außerdem hat er einen ganzen Haufen richtiger Musiker dabei, die angejubelt werden, bis er selbst auf die Bühne kommt, angezogen wie ein Vierzehnjähriger (orange leuchtende Turnschuhe, neonfarbener Kragen), aber schmuck und charmant, wie's sich gehört.
Neues Album von Justin Timberlake:Er holt "das Biest" heraus und macht viel "Uh" und "Huh"
Justin Timberlake hat ein neues Album. Es ist gut, wirft aber unter anderem die Frage auf, was heute einen guten Sex-Song ausmacht.
Timberlake ist ein Vollprofi, das merkt man auch daran, wie er geschickt die großen Crowdpleaser in die Setlist eingewoben hat: "Sexyback" kommt als vierter Song, "Man of the Woods" funktioniert live erstaunlich gut, bei "Higher Higher" groovt er sich endgültig ein. Er hat Tänzer bei sich, bräuchte er aber eigentlich nicht, denn er füllt die Bühne auch allein mehr als aus - man merkt bei jeder Geste, dass er sehr wohl weiß, dass er Justin Timberlake ist, und das Publikum gehört ihm, wenn er, beide Handflächen offen, mit einer Handbewegung seine Fans entwaffnet. Sein Blick scheint zu sagen "Hey, ich bin Justin Timberlake, was wollt ihr mehr?" Und sie wollen genau das. "Cry Me A River". Das Bild, das er verkauft, hat sich zwischen Disco, Pop und Country eingependelt. Er ist die hochfunktionale Spießerfassung von Michael Jackson.
Mit Justin am Lagerfeuer
Das Konzert könnte vollkommen sein, wäre es nicht, mit Verlaub, viel zu lang. Etwa in der Mitte der Setlist wird tatsächlich eine Art Lagerfeuer veranstaltet, an dem Timberlake und Freunde sich gegenseitig Songs vorsingen, während ein Tänzerpaar in einer Feldattrappe rummacht. Die Songs sind von Fleetwood Mac, den Beatles, Lauryn Hill und so weiter, und das wär ja ganz nett, wenn man sich nicht permanent fragen würde, was in aller Welt das jetzt soll und wann es mal weitergeht.
Und ab dem Punkt kippt der Charme so ein bisschen in Ödnis. Timberlake wird vom netten Schwiegersohn, der zum ersten Mal zum Abendessen kommt und eigentlich ganz reizend ist, zum nervigen Schwiegersohn, der um drei Uhr nachts immer noch nicht gegangen ist. Das heißt, alle Anwesenden, die kein sexuelles Interesse an Timberlake haben (also etwa fünf, die Security-Leute eingerechnet), sind nur noch genervt, und hoffen, das er bald mal abhaut. Macht er aber nicht, denn morgen spielt er ja noch mal! Juhu.