Fünf Favoriten der Woche:Drei Akkorde und die Wahrheit

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Neuer Lieblingswiener: Ian Fisher aus Missouri (Foto: Ian Fisher Music/Free Dirt Records)

Das neue Album von Ian Fisher, John McWorthers Blog, John Cages Stille-Komposition, das Spotlight-Festival, und die Frage, wie man ein Hausboot repariert.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Ian Fisher - "American Standards"

Als Ian Fisher vor einigen Jahren auf die Bühne des Münchner Residenztheaters stolperte, nur mit Rock und Gitarre bekleidet, und dann mit seiner brüchigen Stimme ein Shakespeare-Sonett zu singen begann, war es, als verstünde da jemand zum ersten Mal den Zauber dieser Texte. Die Inszenierung von "Was ihr wollt" war damals ein Renner, mit ziemlicher Sicherheit lag das auch an Fisher und seinen Sonett-Vertonungen. Seitdem tingelt der Amerikaner durch Europa und beglückt die Menschen mit seiner Musik, mal hier, mal da, immer wieder meldet er sich zwischendurch von der heimatlichen Farm im mittleren Westen der USA, wo er es aber nie lang auszuhalten scheint. Inzwischen hat er sich so etwas Ähnliches wie niedergelassen in Wien, vorerst zumindest, denn Fisher ist, wie er selbst sagt, ein tourender Mensch, einer, der auf die Straßen in die Clubs gehört. In Wien jedenfalls sind sie zu Recht ganz verschossen in den kleinen Mann aus Missouri, denn diese Art Folk, die er mitten unter ihnen macht, die kriegen einfach nur die Amerikaner so gut hin.

Nun ist Ian Fishers neues Album "American Standards" erschienen. Zwölf Songs, amerikanischer als jeder amerikanische Standard ("American Standard" ist übrigens auch der Name eines Toiletten-Herstellers, aber das sei hier mal beiseitegelassen). Auf dem Album gibt es alles, was das Folk-Herz begehrt: Steel Guitar, Banjo, bisschen Rhythmus, Roadtrips und irgendwas über Nashville, Tennessee. Die Zauberformel für Countrymusik laute, so sagte das einst der Musiker Harlan Howard, "Three Chords and the Truth", also drei Akkorde und die Wahrheit, mehr nicht. Fisher hat das auch beherzigt und eines der schönsten Lieder auf dem Album so genannt. Darin trauert er einer verlorenen Liebe nach, mit seiner jugendlichen, zerbrechlichen Stimme singt er: "Art is just something we use to decorate space", die Kunst ist auch nur dazu da, die Leere zu dekorieren, und das zu sagen, was man dem anderen nicht ins Gesicht sagen kann. Aber was soll er machen? Nicht über diese Liebe zu singen, wäre nun mal nicht die Wahrheit und somit keine Option. Zum Glück. Christiane Lutz

Spotlight

Beim Spotlight-Festival kann man sehen, was Werbung wirklich kann (Foto: Spotlight/Shutterstock)

Werbung in bewegten Bildern muss nicht sein wie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Die Werber-Kreativität reicht zu mehr als zur Inszenierung von Pudelmützen-Typen, die bei einem Pülleken-Bier ihrer Küstengerste beim Reifen zusehen. Was Werbung tatsächlich kann, belegt seit fast einem Vierteljahrhundert das Festival "Spotlight", bei dem Kreative und Publikum zusammenkommen, aber auch Studenten von Film- und Animations-Hochschulen, um die besten Werbeproduktionen eines Jahres zu küren. Normalerweise treffen sich Publikum und Professionelle dazu in einem Stuttgarter Großkino. Zum zweiten Mal findet die Publikumsabstimmung pandemiebedingt nur online statt: https://spotlight-festival.de/, ab jetzt, für eine Woche. Was einerseits schade, andererseits toll ist. So können mehr Menschen mitmachen - und staunen, was in der Werbung alles möglich ist. Bernd Graff

Das Hausboot

Zwei Männer und der Wille, ein Hausboot zu reparieren (Foto: Netflix)

Was kann schlimmstenfalls passieren, wenn Olli Schulz und Fynn Kliemann als blutige Laien das Hausboot des verstorbenen Schlagersängers Gunter Gabriel kaufen und zu einem fahrtauglichen Studioschiff umbauen? Die Frage wäre eher, was nicht passiert. Auf Netflix kann man den beiden in der Miniserie "Das Hausboot" ungefähr zwei Stunden beim Streiten, Verzweifeln, Schrauben und Lackieren zusehen. Die Serie - die eigentlich eher "Das Hausbout" heißen müsste, Olli Schulz ist ja ein norddeutscher Jung - ist zwischen Dokumentation und überlangem Vlog angesiedelt, wobei schnell klar wird, dass die Kernsanierung eines Hausboots weniger Spaß als Arbeit ist. Zum Glück haben sie sich auch Profis, wie Boots-Bauer Max oder den Schiff-Tüv in seiner orangenen Weste, mit ins Boot (badumm-zsss) geholt, die den Kahn schlussendlich vor dem Sinken retten. Lina Wölfel

John McWorther

Streitbar: John McWorther (Foto: Neilson Barnard/Getty Images)

Ist das Bewusstsein für Anti-Rassismus und soziale Machtstrukturen in der Gesellschaft endlich soweit, dass entscheidender Fortschritt möglich wird? Oder werden im Diskurs darüber gerade nur die Geisteswissenschaften zerstört? Um diese Fragen wird überall gestritten, aber wahrscheinlich nirgendwo klarer und schärfer als unter schwarzen Intellektuellen in den USA.

Beim Blick über den Atlantik erscheinen Stimmen wie die von Ibram X. Kendi, Bestseller-Autor und Star des anti-rassistischen Diskurses von der Boston University, derzeit sehr dominant. Nicht weniger klug und scharf aber argumentiert John McWorther, der angesehene schwarze Linguist an der Columbia University. Er ist seit jeher konservativ, aktuell muss er sich gegen den Zeitgeist stemmen, aber umso wortmächtiger formuliert er seine Gegenposition.

Verfolgt man McWorthers Newsletter und Blog auf johnmcwhorter.substack.com, erstaunt der apokalyptische Tonfall. In seiner Sicht haben die Anhänger der Critical Race Theory den Kampf um die amerikanischen Universitäten schon weitgehend gewonnen, alle entscheidenden Positionen besetzt. Für McWorther ein Horrorszenario, weil es dabei längst um unangreifbare Glaubenssätze gehe, die man mit Logik nicht mehr hinterfragen könne. Folgerichtig bezeichnet er seine Gegner als eine religiöse Bewegung und nennt sie abwertend "The Elect" (Die Auserwählten).

Da beide Seiten sich als Kämpfer für die Sache von Schwarzen und People of Color verstehen, erscheinen die Bruchlinien umso härter. Im Januar berichtete McWorther etwa mit Empörung über einen Fall an der University of Chicago, wo in einem juristischen Fallbeispiel für Diskriminierung das N-Wort vorkam, allerdings in der üblichen, unlesbar gemachten Form. Dennoch gab es Beschwerden von schwarzen Studenten, und der überraschte weiße Rechtsprofessor wurde suspendiert.

Wer den Beschwerdeführern glaube, dass sie sich selbst von einem unlesbar gemachten Wort bedroht fühlten, falle auf "Performance Art" herein, wetterte McWorther, das sei alles nur noch Fake. Und die College-Verantwortlichen, die den Professor vom Campus verbannt hatten, zeigten in Wahrheit nur die allerneueste Form von Rassismus: "Sie operieren mit der Annahme, dass schwarze Menschen Trottel sind." Tobias Kniebe

4.33

John Cage (Foto: Bob Child/AP)

Kann Schweigen Musik sein? In jedem Stück finden sich Pausen und Musik setzt das Schweigen des Publikums voraus. Doch ist das schon Musik? Vor fast 70 Jahren gab John Cage dann seine definitive Antwort ("Ja!") auf diese Frage mit "4'33''", einem dreisätzigen Werk von titelgebender Länge, in dem nur geschwiegen wird. Die Musiker kommen, schweigen, werden beklatscht. "4'33''" ist ein provokantes und viel gespieltes Stück, sogar Kirill Petrenko hat es unlängst mit seinen Berliner Philharmonikern aufgeführt. Denn "4'33''" ist der Inbegriff der in Seuchenzeiten zum Schweigen verurteilten Live-Konzerte. Gerade ist es ein Jahr her, dass die letzten Konzerte unter den unbeschwerten Präseuchenbedingungen stattfanden. Seither wird "4'33''" in einer ins Unendliche verlängerten Variation gespielt. Reinhard J. Brembeck

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