Nachruf auf Jimmie Durham:Der Radikale, der die Tauben fütterte

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Jimmie Durham 2015 in London. (Foto: Eamonn M. McCormack)

Der Künstler, Philosoph und Aktivist Jimmie Durham ist in Berlin gestorben.

Von Till Briegleb

Jimmie Durham war zu allen Menschen freundlich. Selbst wenn er über die "Idioten" der kapitalistischen Lebensart redete, die nichts von der Welt begreifen als ihre kurzfristigen Interessen, zeigte er Verständnis. Schließlich sei die westliche Gesellschaft ja auch nur Ausdruck einer tiefen Verzweiflung. Und dann lächelte er milde wie ein Mann im Park, der zufrieden die Tauben füttert und Großmütter wie Kinder gleichermaßen herzlich begrüßt. Dieser amerikanische Künstler, Weltenbummler, Philosoph und Aktivist hatte eine ganz spezielle und herzerweichende Vorstellung von Radikalität als Daseinsform. "Radikale Politik" war für Durham eine Einstellung zum Alltag, die darin bestand, immer und überall Verbindungen herzustellen.

Viele Kommentatoren und Interviewer, die sich mit Durham und seinem riesigen Werk an Objekten, Texten und Taten in politischen Kontexten beschäftigt haben, führten diese Idee der verborgenen Verbindungen zurück auf Durhams familiären Hintergrund. Seine Lebenserzählung begann mit der Aussage, er stamme von den Cherokee ab, so dass sein vielfältiges Werk sofort mit Vorstellungen von Spiritualität in Verbindung gebracht wurde, mit indianischen Riten und berühmten Sprüchen ihrer Häuptlinge. Allerdings wurde vor einigen Jahren von Vertretern dieser indigenen Gemeinschaft der Vorwurf erhoben, Durham sei gar nicht verwandt mit den Stämmen der Cherokee Nation. Doch all diese Aspekte der äußeren Verortung berühren das große Thema von Durhams Kunst vor allem als Missverständnis.

Wenn er seine berühmten bunten Skulpturen aus Zivilisationsabfall, Tierskeletten und Gesichtern wie Totemstätten inszenierte, dann war das kein Schmücken mit fremden Federn, sondern eine sinnliche Aufforderung, Identitäten zu hinterfragen. Ebenso wie seine Aktionen gegen den Warenfetisch, etwa wenn er einen riesigen lächelnden Fels einen Mercedes zerschmettern ließ, oder seine schäbigen Nachbauten von Repräsentationsarchitektur. Uberall spürte Durham die trügerische Sicherheit auf, die klar umrissene Ideen über Sein und Herkunft liefern. Und das tat er in religiösen und kulturellen Feldern ebenso wie bei Fragen der Abstammung oder Konflikten um Identität und Gerechtigkeit.

Der Mensch war für ihn nur eine andere Form von Tier, keine bessere

Ob als politischer Aktivist des "American Indian Movements" in den Siebzigern, als Künstler seit den Achtzigern oder als Autor und Poet, stets formulierte Durham eine Weltsicht, die über alle Abgrenzungen hinweg Gemeinsamkeiten suchte, bis hin zu den Tieren. Der Mensch war für Durham nur eine andere Form von Tier, keine bessere. Und die Gewalt, mit der Menschen sich Tiere zu eigen machen, ohne sie zu verstehen, gleicht für Durham der Gnadenlosigkeit, mit der die bewaffneten Europäer die indigenen Kulturen auf dem amerikanischen Kontinent zerstört haben. Wenn es in Durhams Installationen etwas gibt, mit dem er keine Verbindung herstellen möchte, dann ist es die Arroganz, sich für etwas Besseres zu halten.

Dieser grundsätzlichen Kritik an der Zerstörung durch Unverständnis folgend schuf Durham erst in den USA, dann in Mexiko und seit 1994 an seinen europäischen Wohnsitzen in Berlin und Neapel eines der thematisch vielfältigsten und symbolisch abwechslungsreichsten Werke der Gegenwart. Ob er stundenlang einen Kühlschrank mit Pflastersteinen bewarf oder eine halbverbrannte lächelnde Figur mit erigiertem Penis schnitzte, eine Abfallsammlung kartografierte, deren Elemente Europa darstellen, oder einen Film über das Streben nach Glück drehte, Durhams Fantasie schien unerschöpflich.

Seine Arbeiten waren in den wichtigsten Museen der Welt zu sehen. Trotzdem sagte er über sich, das treibende Element seines Lebens sei das schlechte Gewissen, dass er im Alltag mit seiner Idee von Aufmerksamkeit und freundlicher Achtung versagt haben könnte. So spricht kein Karrierist. So spricht ein Mensch von höchster Sensibilität.

War das auch Spiritualität? Bei Durham bezog sich dieser Spirit höchstens am Rande auf Außerweltliches. Sein Geist beschäftigte sich vor allem mit der konkreten Verbesserung der Verhältnisse zwischen Menschen, Tieren und anderen lebendigen Erscheinungen.

Doch auch zum Verhältnis von Leben und Tod suchte Jimmie Durham Überbrückendes. "Leben und Tod sind nicht so sauber unterschieden, wie wir es gerne glauben", sagte Durham einmal. Jetzt, wo er im Alter von 81 Jahren in Berlin gestorben ist, kann man nur hoffen, dass er Recht hatte, und dass zumindest die Bedeutung seiner großen lebensfreundlichen Radikalität nicht so radikal endet wie das Leben.

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