Jesse Eisenberg über "Die Unfassbaren":"Ich habe nicht oft die Gelegenheit, Leute anzubrüllen"

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Als Schauspieler lernt Jesse Eisenberg noch, das Publikum zu manipulieren - als Zauberer in dem neuen Thriller "Die Unfassbaren" kann er es schon. Ein Gespräch über die Gefahren der Magie, seine Tränen als Schüler und warum er so oft arrogante Typen spielt.

Von Paul Katzenberger

Er wird im Herbst 30 Jahre alt, doch für sein Alter blickt Jesse Eisenberg auf eine lange Schauspieler-Karriere zurück. Er galt als schwieriger Schüler, doch auf der Bühne fühlte er sich schon in jungen Jahren wohl: "Wenn ich eine Rolle spielte, ging es mir besser, da mir vorgeschrieben wurde, wie ich mich zu verhalten hatte", sagte er später dem Guardian . Schon für seinen ersten Spielfilm "Sex für Anfänger" erhielt Eisenberg 2002 einen Preis, doch der große Durchbruch gelang ihm mit einer Oscar-Nominierung vor zwei Jahren für die beste männliche Hauptrolle in "The Social Network", als er Facebook-Gründer Mark Zuckerberg verkörperte. Nun ist Eisenberg an der Seite von Michael Caine, Morgan Freeman und Mélanie Laurent in dem Thriller "Die Unfassbaren" zu sehen, in dem er einen Magier spielt. Neben seinen vielen Fertigkeiten, zu denen das Schreiben von Theaterstücken und von Essays in der New York Times gehört, beherrscht Eisenberg nun auch einige Kartentricks.

SZ.de: Herr Eisenberg, in Ihrem neuen Film "Die Unfassbaren" stellen Sie einen Magier dar, der seine Fähigkeiten einsetzt, um Straftaten zu begehen. Sind Zauberer gefährliche Leute?

Jesse Eisenberg: Meistens sind Zauberer nicht gefährlich, aber ein Gefahrenpotenzial besteht bei diesem Job. Denn Zauberer sind Meister der Manipulation.

Aber doch nur, um das Publikum zu erheitern. Worin besteht genau die Gefahr?

Ich habe als Schauspieler über diese Frage viel nachgedacht. Ich trete in New York häufig im Theater auf. Da weiß das Publikum, dass ich Darsteller einer Rolle bei einer erfundenen Geschichte bin. Doch wenn ein Magier auf die Bühne kommt, dann kündigt er erst einmal an, dass das was jetzt passiert, echt sei. Dann spiegelt er einen Schwindel vor. Allein in diesem Vorgang lauert eine Gefahr. Denn das Abkommen, das zwischen dem Künstler und dem Publikum besteht, beruht auf Täuschung. Das Abkommen zwischen einem Schauspieler und dem Publikum ist ehrlicher, denke ich. Andererseits sind alle Magier, die ich kenne, nette Leute.

Sie heben die Unterschiede zwischen Schauspielern und Zauberern hervor. Doch für diesen Film sind Sie auch ein bisschen zum Magier geworden - Sie haben fünf Monate lang Zaubertricks trainiert. Gibt es auch Ähnlichkeiten zwischen beiden Metiers?

Die gibt es auf jeden Fall. Auch ein Schauspieler kann Einfluss auf das Publikum nehmen. Ich bin kürzlich in einem Theaterstück mit Vanessa Redgrave aufgetreten. Sie steht seit Jahrzehnten auf der Bühne, und ich war beeindruckt davon, wie stark sie mit dem Publikum in Kontakt tritt. Wenn die Zuschauer beispielsweise viel gelacht haben, und sie wollte, dass Ruhe einkehrt, dann konnte sie das mit einer einzigen Handbewegung erreichen. Sie hatte das Publikum buchstäblich in der Hand. Und genau diese Fähigkeit brauchen Magiere.

Mit Fingerschnipsen allein wird's beim Zaubern aber nicht getan sein.

Ein Magier darf das Publikum nie aus den Augen lassen. Bevor er seinen Trick ausführt, muss er Blickkontakt mit dem Zuschauer aufgenommen haben, so dass der nicht bemerkt, was der Zauberer unten mit seiner Hand macht.

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Das haben Sie für den Film ja gelernt. Zeigen Sie Ihre Tricks im Freundes- oder Familienkreis jetzt vor?

Leider beherrsche ich viel zu wenige Tricks. Wenn ich eine Zaubershow abhalten würde, dann wäre die nach 30 Sekunden vorbei. Ich hatte nur ein paar Monate Zeit, um etwas zu lernen, was man erst nach 25 Jahren beherrscht. J. Daniel Atlas, den ich im Film darstelle, hätte in der Realität 25 Jahre lang jeden einzelnen Tag trainieren müssen, um das zu können, was er im Film zeigt. Die Zauberer, mit denen ich mich auf diesen Film vorbereitet habe, haben alle in jungen Jahren angefangen.

Wie geht es Ihnen jetzt mit Zaubershows? Jetzt, nachdem Sie wissen, wie das Ganze funktioniert.

Ich habe mehr Respekt davor bekommen. Die Kunst der Zauberei besteht nicht darin, zu wissen, wie sie funktioniert, sondern darin, die Tricks zu beherrschen und sie vorzuführen. Das ist wie wenn man den ganzen Tag Basketball spielt und dann abends Basketballprofis im Fernsehen zuschaut. Dann denkt man sich: "Wahnsinn, die Jungs sind unglaublich. Ich hab das jetzt den ganzen Tag lang probiert, und es nicht auf die Reihe bekommen." Wenn man sich hingegen einfach ein Spiel anschaut, dann sieht das Ganze kinderleicht aus. Und so ist das auch mit der Zauberkunst. Indem ich mich an sie herangewagt habe und dabei gescheitert bin, habe ich verstanden, wie schwierig sie ist.

Ihr J. Daniel Atlas in "Die Unfassbaren" ist wieder ein recht arroganter Typ. Auch in Ihren früheren Rollen haben Sie immer wieder großspurige Menschen verkörpert, wie etwa Mark Zuckerberg in the "The Social Network". Ist das reiner Zufall oder gibt es dafür einen besonderen Grund?

Ich übernehme solche Rollen lieber als andere, denn in meinem echten Leben bin ich eher schüchtern und zurückgenommen. Ich habe da nicht so oft die Gelegenheit, Leute anzubrüllen ( lacht). Deswegen spiele ich das gerne, denn dadurch kann ich diese Gefühle ausleben. Ich finde es gut, wenn mir Rollen etwas geben können, wenn sie für mich therapeutisch sind.

Die Schauspielerei ist für Sie ein Ventil?

Sie wirkt für mich in wunderbarer Weise kathartisch. Als ich noch klein war, habe ich jeden Tag in der Schule geweint, weil ich es dort kaum ausgehalten habe. Es ist in der Schule absolut unangebracht zu weinen, aber wenn du eine traurige Rolle spielen sollst, dann ist das Zeigen von Trauer nicht nur adäquat, sondern sogar eine Notwendigkeit.

War das der Grund, warum Sie zur Schauspielerei gefunden haben?

Ganz klar. Als ich damit anfing, war das wie eine riesige Befreiung für mich. Denn ich habe schnell begriffen, dass das etwas war, womit ich all meine schlechten Gefühle loswerden konnte. Durch die Schauspielerei habe ich sie untertags weniger gespürt. Ich stand abends auf der Bühne, und am nächsten Tag war ich wieder in der Schule und fühlte mich sehr erleichtert.

"Die Unfassbaren" ist zumindest in Teilen ein Actionfilm, und zwar Ihr erster. Wie war das für Sie?

Es hat Spaß gemacht. Szenen, in denen du nur rumrennen musst, sind ziemlich leicht zu spielen. Die Hälfte davon übernimmt ohnehin ein Stuntman. Es ist viel anspruchsvoller, Gefühlsausbrüche und Emotionen darzustellen - in solchen Szenen liegt die echte Herausforderung für einen Schauspieler. Ich empfinde es als angenehm, jemanden darzustellen, der nicht innerlich zerrissen und traurig ist. Wenn ich rumrenne und über Mauern hüpfe, fühle ich mich einfach besser.

Wie war für Sie die Zusammenarbeit mit Regisseur Louis Leterrier, der ja ein Experte für Actionfilme ist?

Das stimmt, aber er ist auch ein großer Freund guter Schauspieler. Das heißt, es ging ihm nicht nur darum, dass wir losrennen und über Hindernisse springen, sondern dass wir rennen und dann oben auf der Mauer stehen und die FBI-Agenten unten anlächeln, weil wir sie wieder ausgetrickst haben. Die Geschichte lebt für mich durch ihre Figuren und wirkt auf mich nicht so beliebig wie viele andere Actionfilme.

In "Die Unfassbaren" hatten Sie Gelegenheit, mit einigen der erfahrensten und erfolgreichsten Schauspieler der Welt, wie etwa Morgan Freeman oder Michael Caine, zusammenzuarbeiten. Haben Sie von denen etwas lernen können?

Mit Sicherheit. Mir fällt es zwar schwer, zu beschreiben, was ich konkret gelernt habe, denn Schauspieler geben sich untereinander keine unaufgeforderten Ratschläge, das gehört sich nicht. Aber mit Vanessa ( Redgrave; Anm. d. Red.), mit der ich jetzt fünf Monate lang gemeinsam aufgetreten bin, hatte ich fast jeden Abend ein persönliches Gespräch. Da habe ich sie einmal um ihren Rat bei einer Szene gefragt. Es stellte sich heraus, dass sie genau für diese Szene schon seit Monaten einen Verbesserungsvorschlag im Kopf hatte. Aber weil sie mich nicht brüskieren wollte, hatte sie nichts gesagt. In der 66. Vorstellung habe ich es dann genau so probiert, wie sie geraten hatte, und es hat das erste Mal funktioniert.

Können Sie von erfahreneren Schauspielern lernen, auch wenn Sie nicht fragen?

Natürlich. Ich beobachte ihre Arbeitsweise. Ich habe vor allem festgestellt, dass die wirklich guten Schauspieler härter arbeiten als die anderen. Vanessa war zum Beispiel immer schon nachmittags um drei Uhr im Theater, obwohl die Vorstellung erst um acht Uhr abends losging. Auch nach vier Monaten hat sie ihre Rolle vor jeder Vorstellung einstudiert. Ich glaube daher nicht, dass bei Schauspielern die Devise gilt: "Je besser du bist, desto weniger musst du dafür tun." Es ist wohl eher andersrum.

Sie schreiben Theaterstücke. Wird es künftig auch Drehbücher für Filme aus Ihrer Feder geben?

Ich schreibe gerne Theaterstücke, weil die Produzenten ihnen mehr Respekt entgegenbringen. Sie wollen sie in aller Regel nicht mehr ändern und akzeptieren die Vorstellungen des Autors. Ich habe auch schon Film-Drehbücher geschrieben, von dene ich sogar einige bei Produktionsfirmen einreichen konnte. Doch es war jedes Mal eine Katastrophe. Die Produzenten wollten immer alles ändern, wobei die Gründe dafür für mich nie nachvollziehbar waren. Es hieß dann immer: "Mach diese Rolle liebenswürdiger." Als ob das nicht von vornherein eine vollkommen sinnentleerte Phrase wäre.

Schreiben Sie die Theaterstücke auch, damit Sie dann selbst darin auftreten können?

Eigentlich mache ich immer genau das Gegenteil. Ich fange meine Theaterstücke immer so an, dass ich in keinem Fall darin irgendwie auftauchen kann, denn es ist wahnsinnig stressig, jeden Abend auf der Bühne zu stehen. Doch irgendwie taucht dann immer so eine Figur auf, die mir entfernt ähnelt und so redet wie ich, und dann muss ich diese Rolle dann doch übernehmen. Mein nächstes Stück handelt von zwei Frauen, aber da ist auch schon wieder der Freund einer der beiden, der immer auftaucht und Witze macht. Scheinbar habe ich mich schon wieder selbst eingebracht, natürlich nur unterbewusst.

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