Jeff Koons auf Hydra:Leinen los

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Ein schrilles Schiff: die von Jeff Koons für den Milliardär und Gründer der Deste-Stiftung Dakis Joannou entworfene Yacht "Guilty" im Hafen der Insel Hydra. (Foto: Catherine Panchout - Corbis/Sygma via Getty Images)

Von Weitem ein kitschiges Ärgernis, von Nahem sieht die Sache ganz anders aus: Jeff Koons präsentiert sein Projekt "Apollo" auf der griechischen Insel Hydra.

Von Julia Werner

Wenn auf Hydra im Hafen eine in Pop-Art-Manier bemalte Yacht namens Guilty direkt neben den Eseln ankert, dann ist: Art Basel, Badehosen-Edition. Auf Einladung des Besitzers dieses Schiffs, dem Milliardär und Gründer der Deste-Stiftung Dakis Joannou, ist die ganze bunte Art World da, um sich selbst und auch ein bisschen den Künstler zu feiern, der in der Insel-Filiale der Stiftung ausstellt. Hydra, das ergibt für so was natürlich Sinn. Schon seit den 30er Jahren ist die kleine Insel das Getaway für Intellektuelle und Künstler. Längst machen hier auch die Fashion People Ferien, aber: Eine Dior-Tasche wäre hier verpönt, man ist nicht auf Mykonos. Die Ausstellungseröffnung der Deste-Foundation ist für all die Künstler, die sich in den letzten Jahren mit ihren Ateliers in Piräus angesiedelt haben, das "Event des Jahres". Piräus, die Hafenstadt, die die meisten nur mit Fährenwahnsinn verbinden, ist schließlich das neue Berlin. Google ist jetzt hier, und Galerien aus London haben hier ihre Dependancen. Kiki Smith war vor der Pandemie einer der großen Stars, für den alle Museumsdirektoren, Galeristen und Künstler nach Hydra reisten. Damals speiste man bei gesetztem Dinner mit strenger Gästeliste. Aber in diesem Jahr heißt der Künstler Jeff Koons, und deswegen ist alles anders, aus vielerlei Gründen. Das fängt schon damit an, dass dessen Projekt "Jeff Koons: Apollo" aus Pandemiegründen zwei Mal verschoben wurde.

Transparenz ist das entscheidende Stichwort

Koons ist der erste Künstler, den der zypriotische Bauunternehmer Joannou in den 80er Jahren kaufte. Und Koons ist der Künstler, der dessen bunte Yacht gestaltete. Für Inselpuristen ist dieses schrille Schiff ein Ärgernis, weil es die Aussicht verschandelt. Aber von Nahem ist es, wie es da so neben den Eseln ankert, irgendwie ganz schön toll. Für Milliardärsverhältnisse ist die Yacht klein und mit ihren riesigen kantigen Fenstern so durchsichtig, dass jeder sandalentragende Tourist die comicartige Wandinnenbemalung aus nächster Nähe bewundern kann. Diese Yacht ist nicht ernst und nicht geheimnisvoll. Sie ist transparent. Und Transparenz ist auch das entscheidende Stichwort für das Kunsthappening in diesem Jahr. Es ist kein exklusives Ereignis für den kleinen Arty-People-Kreis. Koons´ Kunstwerk für Hydra, das ahnt man gleich, ist für alle da, genauso wie der Künstler selbst.

Wenn der Mann für BMW Art Cars gestaltet und ernsthaft Sätze sagt wie: "Schon beim Einsteigen fühlt man die Energie dieses Superhelden-Autos. Sie schießt einem förmlich durch die Venen", möchte man sehr laut seufzen. Klar, der Amerikaner ist der bestbezahlte Künstler der Welt. Klar, diesem anzugtragenden Ex-Wallstreetbroker geht es um Geld - sehr viel Geld - muss der nicht über 130 Assistenten ernähren? Es könnte aber auch alles ganz anders sein. Koons weiß ja so viel, über die Renaissance und über Marcel Duchamp. Neulich, in der Madame zum Beispiel: "Durch ihn habe ich gelernt, das Physikalische in meiner Arbeit auszublenden. So kann ich mich auf den auslösenden Moment, der diesen Gegenstand hervorgebracht hat, konzentrieren." Was heißt das bloß, möchte man fragen. Aber nachfragen traut sich ab einem gewissen Superstar-Status niemand mehr.

Deswegen ist es mit Koons, das lernt man als Kunstwelt-Newbie bei Sonnenuntergang und Wein schnell, so kompliziert: Man darf ihn offiziell nicht toll finden, weil tonnenschwere Balloon Dogs und blumenbesetzte Westhighland-Terrier in Dinosauriergröße doch stark an Verballhornung grenzen. So fühlte sich der Kunstkritiker des New Yorker, Jerry Saltz, auf Hydra auch gleich zu folgendem Tweet gezwungen: "Dies ist das Kunstwerk von Jeff Koons. Ich mag es. Verklagt mich." Andererseits wabert hier sehr viel Bewunderung für den Amerikaner in der flirrenden Luft. Denn was Koons in Perfektion beherrscht, die schwurbelnde Selbstvermarktung, übt der Nachwuchs genau hier.

Ist da am Ende vielleicht doch superviel Bedeutung in seinem neuen Werk an der Steilküste von Hydra? Der Künstler Jeff Koons. (Foto: Christophe Morin/imago images/IP3press)

Um das zu beobachten, muss man nur im Hydra Four Seasons (das kein luxuriöses Four Seasons ist, sondern nur so heißt) auf einer Strandliege verweilen und eine große Sonnenbrille tragen. Die Stimmung ist großartig, denn die großen Deals wurden auf der Art Basel gemacht, weswegen man hier jetzt einfach mit ein wenig Gaga-Kunstkonversation entspannen kann. "Beeindruckend" ist ein Wort, das man immer einwerfen kann. Und um einen jungen griechischen Künstler einzuordnen, hilft der Satz: wirklich ernsthafte und unprätentiöse Arbeit. Der rauchende Berliner Kunststar Michael Müller liegt neben einem älteren Londoner Galeristen, der in Unterhose schwimmen geht und dann sehr laut telefoniert, und ein australischer Hoteldesigner will einen jungen Künstler aus Los Angeles für ein Projekt rekrutieren, dass er, klar, experience nennt. Die Stimmung ist gleichzeitig badehosig und aufgeregt, man wird die ganze Zeit vorgestellt und mitgeschleift. Dafür reicht auch ein schönes Kleid, die Kunstwelt hat es auch gerne einfach schön.

Koons schaut einem in die Augen und schwärmt von Albert Camus

Aber wie gesagt: dieses Jahr ist trotzdem alles anders. Als die gutangezogene Menge nämlich später vom Hafen aus Richtung Kunstwerk pilgert, ist der Weg gesäumt von meterlangen vegetarischen Souvlaki-Buffets. Es gibt Wein aus Pappkanistern und einen DJ, der den ganzen Hafen beschallt. Kunst ist für alle da. Koons ist für alle da. Das ist Koonst!

Während man also gutgelaunt und inklusiv neben älteren Herren mit runden Brillen (Museumsdirektoren), Issey-Miyake-Hosenträgern (Galeristen), schönen jungen Frauen in bunten Kleidern (Baumwolle!) und ein paar stark gelifteten Damen (Erbinnen) die Klippe entlang flaniert, möchte man ob des Titels des Kunstwerks allerdings noch mal mit den Augen rollen. Apollo. Geht es noch offensichtlicher in einem Land, in dem so gut wie jede Insel über die Reste von alten Apollo-Tempeln verfügt? Und dann biegt man um die Ecke und schaut direkt in das glühende Gesicht einer goldenen Riesensonne, deren Strahlen sich kraftvoll wie eine Mühle drehen. Sie thront auf dem alten Schlachthaus, der Sommer-Filiale der Deste Foundation, und sieht aus wie digital ins Panorama reingephotoshoppter Kitsch. Wieder, von weitem: ein Ärgernis. Von Nahem: irgendwie toll. In das kleine Schlachthaus selbst ist erst mal kein Reinkommen. Aber auch das ist schon wieder toll. Weil die bunte Art-People-Schlange in gebührendem Abstand auf Einlass warten muss und Richtung riesige Sonne starrt, die wiederum Richtung untergehende Sonne starrt. Es ist wahnsinnig ernst und wahnsinnig lustig zugleich, ein wunderschöner Akt der Anbetung. Drinnen, also unter der Sonne, werden diese schönen Menschen, von denen man nur sehr wenige erkennt, weil sie alle so gülden von der Sonne geküsst werden - zum Beispiel Superstar Maurizio Cattelan oder der Galerist Thaddaeus Ropac - eine bunt bemalte Apollo-Statue mit Schlange bewundern, davor ein Paar bemalter Turnschuhe.

Aber wer ist denn jetzt der Gott, den alle anbeten? Ist das Jeff Koons oder Apollo? Als die Sonne untergegangen ist und einer dieser Götter Richtung Hafenparty absteigt, teilt sich das Menschenmeer nicht. Echte Götter mischen sich bekanntlich unters Volk. Jeff Koons spaziert den Berg hinab, schüttelt einem verbindlich die Hand und lässt sich im Laufen befragen. Er erzählt vom Original der Apollo-Statue in London im British Museum, die er scannen durfte. Er schaut einem in die Augen und schwärmt von Camus und seiner Auffassung von Licht, es sei ja alles nur Illusion, und das sei das Tiefsinnigste, was er je gelesen habe. Und dann fragt man ihn nach der Ausrichtung der Sonne über seinem Apollo, und ob das so mathematisch kompliziert sei wie früher bei den Apollo-Tempeln der alten Griechen, und da sagt er: Ich habe keine Ahnung. Das ganze dauert vier Minuten, dann bedankt er sich und entschwindet wieder im Menschenmeer, man ist einerseits sehr göttlich berührt von so viel Ernsthaftigkeit und andererseits auf urkomische Art und Weise zurückgelassen mit einem riesengroßen: Hä?. Das man sodann mit anderen Menschen wie dem Digitalkünstler Elliot Woods, der einen Hälfte des koreanischen Künstler-Duos Kimchi and Chips, versucht zu entschwurbeln. Gerade war ihre Installation "Another Moon" im Zollverein Essen zu sehen: eine Installation, die Sonnenlicht über Solarzellen sammelt und dann nachts zurück in den Himmel schickt, ein faszinierender Umgang mit dem Thema Sonne. Aber Essen ist nicht Hydra und Elliot Woods nicht Jeff Koons. Es wird also getanzt. Und diskutiert. Ist das mit dem British Museum nicht vielleicht ein eleganter Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung London, wo man die Parthenon-Skulpturen, die Lord Elgin vor 200 Jahren in Athen entwendete, nicht an Griechenland rausrücken will? Ist Apollo nicht der Gott, der Epidemien übers Volk bringt, aber auch der Beschützer der Geflüchteten und der Künste? Ist da am Ende vielleicht doch superviel Bedeutung in diesem kleinen Steinhaus an der Steilküste von Hydra? Vielleicht ist aber Bedeutung am Ende komplett bedeutungslos? Am Ende dieses Kunst-Happenings sitzt man auf den Stufen vor der Piraten-Bar, leicht angetrunken, und auf der Guilty findet, das sieht man ja wegen der Volksnähe, enttäuschenderweise keine Afterparty statt. Der Kunstmäzen ist zwar cool, aber eben auch schon 80. Ein älterer einsamer Herr im Anzug fragt höflich, ob man kurz zur Seite rücken könne. Es ist ein Mann, der von der Arbeit nach Hause kommt. Es ist Jeff Koons, der völlig unangebetet die Stufen hinaufsteigt. Auch Götter müssen irgendwann ins Bett.

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